Siegen. . Angeklagter räumt sexuelle Kontakte mit Tochter der Ex-Lebensgefährtin ein. Wegen einer Gesetzesänderung ist dennoch keine Verurteilung möglich.

Die Anklage lautet auf sexuellen Missbrauch einer Schutzbefohlenen in 27 Fällen. Nach nicht einmal zwei Stunden gibt es ein Urteil: Freispruch aus rechtlichen Gründen. Das sei vergleichsweise selten und wenig zufriedenstellend, stellt die Vorsitzende Richterin der 1. Großen Strafkammer, Elfriede Dreisbach, ausdrücklich fest. Zumal der Angeklagte gestanden habe, „was auch nicht unbedingt üblich ist“. Bestrafen kann ihn die Kammer trotzdem nicht.

Der Zeitraum

Das Hindernis ist § 174 des Strafgesetzbuchs in seiner alten Fassung. Der ist in seinen Voraussetzungen deutlich günstiger für den Angeklagten und muss auf die vorliegende Sache angewandt werden, weil es um Vorfälle aus den Jahren 2004 bis 2006 geht. Da soll der 36-jährige Siegerländer die Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin 27 Mal missbraucht haben. Sie war zum Zeitpunkt der ersten Tat 14 Jahre alt, die letzte soll kurz vor ihrem 16. Geburtstag geschehen sein.

Der Angeklagte

Er könne sich nicht an Einzelheiten erinnern, aber grundsätzlich stimme alles, was ihm vorgeworfen werde, sagt der Angeklagte. „Ich weiß heute, wie Scheiße es war, was ich damals gemacht habe“, gibt er zu. Er sei neun Jahre jünger als die Mutter und ebenso viel älter als das Mädchen gewesen, habe sich nie als ihr Vater verstanden, eher als großer Bruder oder bester Freund. Er schäme sich, wünsche sich, das alles irgendwie rückgängig machen zu können und habe eine Therapie begonnen: „Ich habe inzwischen zwei Kinder. Ich will ja auch nicht, dass ihnen jemand so etwas antut.“ Er wolle der jungen Frau mit seiner Aussage auch den Auftritt vor Gericht ersparen.

Die Rechtslage

Genau dies geht aber aus Sicht des Gerichts nicht. Während die Taten nach der aktuellen Gesetzeslage eindeutig strafbar wären, musste nach der alten Fassung eine klare Erziehungsposition des Angeklagten vorliegen. Nur dann, wenn er berechtigt und verpflichtet war, auf die Lebenssituation des Mädchens einzuwirken, für sie verantwortlich war, konnte er sich nach der damaligen Vorschrift strafbar machen. Und das Gericht sei nun einmal angehalten, die für den Angeklagten mildeste Strafmöglichkeit anzuwenden, stellt Elfriede Dreisbach fest. Unstreitig sei, dass der Mann sich „sehr schlecht verhalten“ habe, aber ob das ausreiche?

Das Opfer

Das Opfer, inzwischen 27, und ihre Mutter müssen also gehört werden. Die junge Frau bestätigt mehr oder weniger die Aussage des Angeklagten. Sie habe ihn nie als Vater betrachtet, wenngleich durchaus „als Respektsperson“. Auch sie spricht vom Bruder oder guten Freund. Es habe in keiner Situation Gewalt oder Zwang von ihm gegen sie gegeben. Der Angeklagte hält die Hand vors Gesicht. „Es tut mir leid, dass ich nicht in die Richtung sehen kann“, sagt die junge Frau nach einer Frage von Verteidiger Wolf Heller, starrt an die Wand und bricht immer wieder in Tränen aus.

Die Mutter

Die Mutter hat erst vor kurzem durch die Anzeige ihrer Tochter und einen Chat ihres „Ex“ mit einer weiteren, gemeinsamen Tochter von den damaligen Vorfällen erfahren. „Ich bin wütend“, sagt sie, kann sich aber an Einzelheiten des Zusammenlebens kaum erinnern. Allerdings habe es damals sexuelle Probleme zwischen ihr und ihrem Partner gegeben. Die Beziehung sei von ihr beendet worden, „weil vieles falsch gelaufen ist“. Der Angeklagte habe sich auch ihrem Sohn gegenüber nicht wie ein Vater verhalten: „Er hat ihn mit in die Spielhalle genommen, statt ihn in die Schule zu bringen!“ Sie habe sich den Mann als Stiefvater für ihre Kinder gewünscht, das sei aber überhaupt nicht so geworden.

Das Urteil

Für die Nebenklagevertreterin liegt ein gewisses Erziehungsverhältnis vor, immerhin habe der Angeklagte hin und wieder für die Kinder gesorgt. Das genüge aber nicht für eine Verurteilung nach den Anforderungen des Bundesgerichtshofs, bedauert die Vorsitzende. Sie bedankt sich für die „sehr offenen“ und fairen Aussagen der beiden Frauen, die deutlich machten, dass allein die Mutter letztlich für die Erziehung der Kinder und damit auch des Opfers verantwortlich gewesen sei. Die Staatsanwältin beantragt Freispruch aus rechtlichen Gründen. Der Angeklagte solle das auf keinen Fall als Sieg betrachten, „sonst haben Sie etwas nicht verstanden“, macht ihm die Richterin deutlich. Moralisch sei das alles völlig daneben gewesen. Der Täter entschuldigt sich schluchzend noch einmal. Er werde seine Therapie fortsetzen und sei bereit, alle Ansprüche auf Schmerzensgeld und ähnliches zu erfüllen.

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