Siegen. . Die Fritz-Busch-Musikschule will auch Kinder aus nicht Musik-affinen Familien erreichen. Leiterin Angelika Braumann erläutert die Ansätze.
Im Elternhaus kommen viele Kinder nicht mehr mit Musikinstrumenten in Berührung. Trotzdem lässt sich ihre Begeisterung dafür wecken. Über erfolgreiche Ansätze und Initiativen spricht Musikschulleiterin Angelika Braumann im Interview.
Ist es für eine Einrichtung wie die Musikschule heute schwieriger als früher, Kinder zu erreichen?
Braumann: Es ist eher andersherum. Durch unsere Projekte in Kitas, Grundschulen und der offenen Jugendarbeit stoßen wir auch auf viele Kinder, die früher nicht bei uns gelandet wären. Wir kommen so in Kontakt mit Eltern, die wir sonst nicht erreichen würden, und die gar nicht wussten, dass es die Möglichkeit für Unterricht bei uns gibt.
Was für Projekte sind das?
Ganz bekannt ist Jekits, „Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“, an den Grundschulen. Das erfasst jeweils eine komplette Jahrgangsstufe. Im ersten Jahr bekommen die Kinder erst einmal Instrumente vorgestellt und lernen generell Musik kennen. Für das zweite Jahr können sie sich für ein Instrument entscheiden, dann bieten wir Gruppenunterricht an.
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Und wenn jemand nach dem ersten Jahr gar kein Instrument lernen möchte?
Kein Problem – im ersten Jahr ist Jekits ein Unterrichtsbestandteil, im zweiten Jahr freiwillig. Aber etwa die Hälfte der Kinder bleibt dabei.
Zwei Jahre sind aber nicht genug, um ein Instrument zu beherrschen.
Wenn die Kinder sagen: ,Das macht mir Spaß, das möchte ich weitermachen’, dann reichen ein oder zwei Jahre nicht. Darüber sprechen wir dann mit den Eltern. Es ist für uns schon ein Anspruch, dass die Schüler auch die Einzelförderung erhalten, die sie brauchen. Oft gelingt das, aber oft müssen wir da auch echt Überzeugungsarbeit leisten.
Nicht bei allen Eltern rennen Sie offene Türen ein?
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Manche argumentieren: ,Jetzt hat mein Kind das zwei Jahre ausprobiert – jetzt soll es mal etwas anderes versuchen’. Oder Eltern sagen, im vierten Schuljahr soll das Kind die Musik aufgeben und sich auf die Schule konzentrieren – um auf jeden Fall die Gymnasialempfehlung zu kriegen.
Spielt die Herkunft der Eltern eine Rolle, wenn es um die musikalische Förderung des Nachwuchses geht?
Was uns auffällt, und das nicht erst seit der so genannten Flüchtlingswelle, ist, dass viele Eltern, die zugewandert sind oder aus zugewanderten Familien stammen, die Angebote für ihre Kinder zunehmend nutzen. Ein Musikinstrument zu erlernen hat da bei vielen Menschen einen hohen Stellenwert. Das ist seit jeher sehr ausgeprägt bei Familien mit russischem oder asiatischem Hintergrund, zunehmend wenden sich aber Familien aus wirklich allen möglichen Herkunftsländern an uns.
Für breite Streuung braucht es normalerweise hohen Werbeaufwand.
Steigende Nachfrage
Das Schulgebäude der Fritz-Busch-Musikschule ist in der Frankfurter Straße 55.
Anfang der 1990er Jahre gab es knapp 1000 Schüler und insgesamt 800 Wochenstunden Unterricht. Mittlerweile liegt die Stundenzahl knapp unter 800 – aber es gibt fast 2000 Schüler.
Unseren Nachwuchs erreichen wir vor allem dadurch, dass die Kinder viele Möglichkeiten haben, unser Angebot zu sehen. Wir haben zum Beispiel auch ein Instrumental-Unterricht-Projekt in der Bluebox, bei dem sehr viele Jungen und Mädchen aus zugewanderten Familien mitmachen – aus derzeit acht verschiedenen Nationen. Das spricht sich bei den Jugendlichen rum – und immer mehr schauen rein und bleiben dann dabei.
Musikinstrumente sind teuer, auch der Unterricht kostet Geld.
Für Eltern, denen es finanziell nicht so gut geht, gibt es Unterstützungsmöglichkeiten – etwa über die Jekits-Stiftung oder Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket. Die Anträge müssen sie selbst stellen, und das ist – man muss es so sagen – eine Hürde. Wir versuchen aber, auch da zu helfen.
Wenn die musikalische Förderung nach den zwei Jekits-Jahren endet – bringt das überhaupt etwas?
Auf jeden Fall. Es zeigt den Kindern, dass die Beschäftigung mit Musik und das Zusammenspiel mit anderen Spaß machen kann – und dass das, was Musiker auf Youtube oder im Fernsehen machen, nicht einfach so funktioniert, sondern einen längeren Prozess und Arbeit erfordert. Es fördert Kinder aber auch emotional.
Und was gewinnen die, die langfristig dabei bleiben?
Wer ein Instrument erlernt, lernt auch für sich ganz persönlich eine andere Art des Sich-Ausdrückens kennen, jenseits von Worten und Sprache. Junge Menschen setzen sich dabei außerdem während des Lernprozesses mit verschiedenen Stilen und Epochen auseinander, das trägt auch zur Identitätsbildung bei.
Aber nicht aus jedem wird ein Paganini oder Clapton.
Muss ja auch nicht. Wir haben alles dabei – auch Leute, die nach einem Jahr alles abbrechen. Viele lernen auch ein Instrument, weil sie in einem Orchester oder einer Band spielen, in die Gruppe integriert sein und Freunde finden wollen.
Und die Cracks?
Wir haben einige wirklich sehr gute Schülerinnen und Schüler. Wenn Jugendliche selbst von etwas träumen und ein Ziel haben, ist es wunderbar zu sehen, was ihnen für große Flügel wachsen. Lehrer können da motivieren – aber das ist etwas, was bei einem Menschen selbst stattfinden muss.
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