Siegen. . Die Ehrenamtlichen der Initiative Dschungelbuch Siegen um Klaus Reifenrath engagieren sich für Flüchtlinge. Manche von ihnen haben selbst wenig.
134 Fahrräder haben sie in sechs Monaten repariert und aus alten Drahteseln neu zusammengebaut. Und alle verschenkt. „Wenn man die Freude in den Augen der Kinder sieht – das war den Tag Arbeit auf jeden Fall wert“, sagt Klaus Reifenrath. Er hat das Fahrrad-Repair-Café in der ehemaligen Hammerhütter Schule erfunden und gegründet, jetzt betreibt er es. Zusammen mit Walid Alalo und Mohammad Alali, Cousins, geflohen aus Syrien. Beide ohne Abschluss. Aber begnadete Schrauber. „Die bauen aus zwei kaputten Rädern drei neue“, sagt Reifenrath.
Die Räder werden zwar verschenkt, das heißt aber nicht, dass keine Gegenleistung erbracht wird: Das Fahrrad-Repair-Café ist eine Selbsthilfewerkstatt. „Man macht sich unter unserer Anleitung selbst die Finger schmutzig“, das ist Reifenrath wichtig, damit die Leute einen Bezug zu dem Fahrrad entwickeln, das sie dann geschenkt bekommen. Außerdem verbindet nichts so sehr, wie zusammen an irgendetwas herumwerkeln. „Man hat das Gefühl, dazuzugehören“, sagt Reifenrath.
Ehrenamt ist ein Vollzeit-Job
An manchen Sommertagen stehen 70 Leute auf dem Hof und bitten um Hilfe bei der Reparatur. „Viele Familien, die sich fast nichts leisten können“, sagt er. Jetzt, im Winter, steht der ganze Keller noch voller alter Räder, die sie bis zum Frühling wieder flott machen wollen.
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Wenn es einen ehrenamtlichen Hans Dampf in allen Gassen gibt – Klaus Reifenrath ist so einer. Das „Dschungelbuch Siegen“ (siehe rechts) ist auch so eine Erfindung von ihm, es gibt noch einige andere. Inzwischen werde die Broschüre gut angenommen, sagt er, Behörden nutzten das Heft, Sozialämter und Jobcenter geben es ihren Kunden mit, zur Orientierung. Reifenrath ist Rentner, ihm gehe es gut, er habe Zeit, also nutzt er sie für andere: Küche aufbauen, Kita-Platz suchen, Möbel schleppen, Teppich kaufen, was so anfällt im täglichen Leben.
Weil Ehrenamt ein Vollzeitjob ist, wie er sagt, hat er weitere Engagierte dazugeholt. Knapp zwei Dutzend sind sie, die sich engagieren, für Flüchtlinge, für Langzeitarbeitslose, für Bedürftige. Teils haben sie selbst nicht viel und helfen trotzdem den anderen, denen es noch schlechter geht.
Fremdenführer in Venezuela – bis Chavez kam
„Bedürftig?“, fragt Walid Alalo. „Wenn man wenig Geld hat“, erklärt Reifenrath. Er zuckt die Achseln, grinst: „Wir lernen dabei auch noch Deutsch.“ Wenn ein Brief in der Post ist, den Walid Alalo nicht versteht, kommt er damit zu Reifenrath. Wenn jemand eine Bewerbung schreiben soll, bittet er Klaus Reifenrath um Hilfe. Wenn’s Probleme mit einer Behörde gibt – Klaus Reifenrath. Der hat eine interessante Lebensgeschichte. In Venezuela hat er als Fremdenführer gearbeitet, bis Hugo Chavez an die Macht kam. Er war Maschinenschlosser, Fahrlehrer, Bürokaufmann. Hobbyschrauber ist er auch, als Elfjähriger frisierte er die Mofas für die Dorfjugend in Hilchenbach.
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Alalo und Alali leben seit zwei Jahren in Siegen. Reifenrath nahm sie unter seine Fittiche, sie wurden Freunde, mit einem aus dem Boden gestampften ad hoc-Basis-Deutschkurs fing das an. „Hallo, ich heiße Klaus, ich komme aus Venezuela“, solche Sachen. Inzwischen ist der Freundeskreis größer geworden und sie lernen nicht nur, sondern fahren zum Beispiel in den Zoo oder den Panoramapark.
Syrien hat keine Handwerkskammer
Oder reparieren eben Fahrräder. Reparieren können Alalo und Alali im Grunde alles. In Syrien gibt es keine Handwerkskammer, die eine Gesellenprüfung abnimmt, aber Walid Alalo hat zum Beispiel eine vollautomatische Zigarettenstopfmaschine konstruiert. Das Video zeigt er stolz Norbert Kiefer, Verein Handycap, der auch regelmäßig zum Schrauben vorbeikommt, auf seinem Handy. Wenn Alalo seine Deutschprüfung bestanden hat, kann er eine Ausbildung zum Busfahrer antreten.
„Fahrräder gibt es überall und sie gehen überall kaputt“, sagt Klaus Reifenrath. Aber die wenigsten haben Werkzeug, einen Raum und Ahnung, um das zu beheben. Aus dem ganzen Kreis kämen die Leute zur alten Hammerhütter Schule. Die Ehrenamtlichen tauschen Teile mit anderen Repair-Cafés, kaufen Werkzeug von Geldspenden, irgendwie klappt das schon, „wir brauchen nicht viel Geld“. Als sie mal welches übrig hatten, kauften sie Kinderfahrräder bei Ebay-Kleinanzeigen und verschenkten sie gleich wieder. Doris Münker macht die Bürokratie, und oft sitzen sie einfach nur zusammen, trinken Kaffee, quatschen und lachen zusammen. Und weinen. „Die Videos aus meiner Heimat sind traurig“, sagt Walid Alalo.
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