Hilchenbach. . Der Hilchenbacher Dr. Peter Neuhaus bietet die „Redefeder“ als Dienstleistung an. Ein Gespräch über Reden und Schweigen und die Grenzen des Redenschreiber
Dr. Peter Neuhaus ist studierter Theologe, gelernter Krankenpfleger, beruflich derzeit Mitarbeiter eines Betreibers von Senioreneinrichtungen, ehrenamtlich Kommunalpolitiker — Fraktionschef der Hilchenbacher Grünen. „Redefeder“ ist sein neues Projekt: Über das professionelle Redenschreiben sprach er mit Steffen Schwab.
Was ist „Redefeder“?
Peter Neuhaus: Die Redefeder ist ein Angebot an Menschen, die in die Situation geraten, eine bedeutende Rede oder ein Grußwort halten zu müssen, zum Beispiel der Vorstand eines Unternehmens oder ein Bürgermeister oder eine politische Mandatsträgerin, die aber weder die Zeit und vielleicht auch nicht die ausreichende Ausbildung haben, um einen guten Text zu fertigen. Denen biete ich eine Dienstleistung an, nämlich die Erstellung seines Manuskripts.
Was muss der Kunde denn liefern?
Den Anlass, Angaben über die Zuhörerschaft und die zur Verfügung stehende Zeit. Er oder sie muss sich mit mir über die zentralen Botschaften verständigen, die der Zuhörerschaft in Erinnerung bleiben sollen.
Wenn der das alles weiß – warum schreibt er das nicht gleich selbst?
Wenn er es selber kann, wird er mich nicht fragen. Viele können es nicht, weil die Erstellung einer Rede eben mehr ist als die Bestandteile für den Text. So wie ich die Noten der Tonleiter kenne, aber noch lange kein Komponist bin. Bei der Komposition der Rede unterstütze ich den Kunden. Weil ihm selbst die Zeit dazu fehlt, der rhetorische Werkzeugkasten, vielleicht die Erfahrung. Oder weil er zu sehr involviert ist in den Zusammenhang, in dem er reden will. Nehmen wir an, es handelt sich um eine Beerdigung, bei der er reden muss, weil es um einen verstorbenen Angehörigen geht — er dazu aber in dieser Situation gar nicht in der Lage ist, sich auf eine Ansprache vorzubereiten.
Wie haben Sie das denn gelernt?
Dass es die Dienstleistung des Redenschreibens überhaupt gibt, weiß ich noch nicht so lange. Bislang war ich davon ausgegangen, dass etwa politische Mandatsträger ihre Reden selbst schreiben — so naiv bin ich gewesen. Dann bin ich in die glückliche Situation gekommen, dass mich der ehemalige Umweltminister Johannes Remmel eingeladen hat, in seinem Ministerium für ihn als Redenschreiber zu arbeiten. Das habe ich sieben Jahre lang gemacht und mich darauf auch vorbereitet bei der Deutschen Rednerschule. Da geht es darum, saubere Bilder zu formulieren, einen guten Anfang und einen guten Schluss zu bringen, präzise Botschaften zu setzen und das fürs Redenschreiben zentrale Gleichgewicht zwischen Unterhaltung und dem Transport von Inhalten oder Informationen hinzubekommen.
Johannes Remmel hat dann auch Ihre Reden gehalten?
Es gibt die Erfahrung, dass nichts vom Manuskript das Licht der Welt erblickt. Oder nahezu 100 Prozent. Im zweiten Fall ist man stolz wie Bolle, nicht nur weil man den eigenen Text hört, sondern weil man die Erfahrung macht, den Punkt getroffen zu haben, an dem der Redner selber sagt, was er zu sagen hat. In dem anderen Fall kann man trotzdem noch einen Nutzen daraus ziehen. Armin Halle, ehemaliger Redenschreiber von Helmut Schmidt, hat ebenfalls von dieser Erfahrung erzählt. Der Kommentar von Schmidt gegenüber Halle war: Ich wusste dann zumindest, was ich nicht sagen wollte.
Sind Sie für jeden Redner der geeignete Schreiber?
Es muss die politische Schnittmenge geben. Der Typ muss aber auch passen. Ich bin emotional, neige zum Predigen. Ein reiner Wirklichkeitsmensch könnte mit mir nichts anfangen – dem würde ich auf den Geist gehen.
Frei sprechen oder vom Manuskript ablesen: Was ist der richtige Weg?
Die Frage, ob man frei spricht oder nicht, ist sekundär gegenüber der Frage, ob man mit einer inneren Beteiligung, also engagiert und emotional spricht, oder ob man das nicht tut. Neben der emotionalen Beteiligung ist die Wahrhaftigkeit dessen, was jemand vorträgt, viel entscheidender als freie oder nicht freie Rede. Wem man nicht abnimmt, was er sagt, wem es nicht zumindest ansatzweise gelingt, seine Position überzeugend darzustellen, der kann so frei sprechen wie er will — es ist für die Tonne.
Es könnte ja sein, dass man Sie auch aus dem politischen Raum heraus anspricht...
Die Grenzen der Zusammenarbeit sind da erreicht, wo die Grenzen der nachvollziehbaren und für mich inhaltlich vertretbaren Positionsbeschreibungen erreicht sind. Mit einem Auftraggeber aus dem politischen Spektrum müsste ich mich grundsätzlich darüber ins Benehmen setzen, was er möchte. Das darf nicht dem widersprechen, was ich für mich an politischen, moralischen, religiösen Überzeugungen für verbindlich erkläre. Innerhalb der SPD, CDU, CSU, der FDP, auch der Linken ist das durchaus möglich. Keine Gedanken müsste ich mir machen bei all dem rechten Schmutz, die schließe ich von vornherein aus.
Und die Hilchenbacher? Könnte man den Verdacht bekommen, dass dort alle Ihre Reden halten?
Das Risiko, dass ich aus dem politischen Raum in Hilchenbach angesprochen werde, ist relativ gering. Nur wenn der Bürgermeister mich ansprechen würde – dann würde ich das tun.
Ist es wichtig, sich auf jede Rede vorzubereiten?
Es gibt Stand-Up-Reden, die man bei einiger Übung und Erfahrung spontan halten kann, im Rahmen einer Ratssitzung kleine Redebeiträge oder auf einer Geburtstagsfeier, wenn einen plötzlich alle angucken und man drei, vier nette Sätze zu dem Jubilar sagen muss. Bei allem, was von größerer Bedeutung ist, von grundsätzlicher Art, mit einer gewissen Öffentlichkeit verbunden, sollte man gut überlegen, was man von sich gibt, insbesondere dann, wenn man dazu neigt, spontan oder ironisch oder selbstbeweihräuchernd zu sein, weil diese grundsätzlichen Charaktereigenschaften dann vermutlich auch bei Reden durchschlagen. Um sich vor sich selbst und den eigenen Schattenseiten in Schutz zu nehmen, ist es schon ganz gut, wenn man sich vorbereitet.
Wenn man genügend schlechte Reden hört: Motiviert das, reden zu lernen?
Oder den Mund zu halten.
Leidet Politik unter schlechten Reden?
Politisches Reden ist oft doppeldeutig. In den seltensten Fällen wird ausschließlich zur Sache geredet, sondern unterschwellig immer auch, um die eigene Klientel zu bedienen. Dabei kann es dazu kommen, dass man das Gegenteil von dem vorträgt, wovon man eigentlich überzeugt ist und was man im vertrauten Kreise spricht. Darunter leiden der Redner, die Rede und das politische Geschäft, weil es unaufrichtig wird. Um das nicht merkbar zu machen, wird vermutlich in der Politik viel zu viel geredet. Von meinem 2012 verstorbenen Freund Hartmut Thomas habe ich den guten Satz in Erinnerung: Zehn Jahre braucht man, um reden zu lernen, und zwanzig, um das Schweigen zu lernen.
Was für Sie geschäftsschädigend wäre...
Ich habe mir die Redefeder genommen, nicht um Geschäfte zu machen, sondern weil ich Freude an der Sprache habe. Ich muss damit nichts verdienen, das ist ein reines Spiel aus Freude an der Kommunikation.
Was kostet denn eine Rede?
Seit 20 Jahren gibt es den Verband der Redenschreiber deutscher Sprache, der eine Vergütungsordnung für die einigen hundert Redenschreiber hat, die es in Deutschland gibt. Ich glaube übrigens, ich bin der einzige in Siegen-Wittgenstein, der das anbietet. Aus Fairness würde ich mich diesen Honorarvorstellungen anschließen. (Der Verband empfiehlt für „durchschnittliche“ Reden zwischen 700 Euro [fünf Minuten, privater Anlass] und 5000 Euro [45 Minuten, geschäftlicher Anlass], d.Red.)