Siegen. . Historiker rätseln, was es mit dem trutzigen Gemäuer auf der Hammerhütte in Siegen auf sich hat. 1946 wurde es abgerissen – jetzt gibt es neue Erkenntnisse

Die Stadtgeschichte Siegens beginnt nicht im 13. Jahrhundert. Man weiß nur ziemlich wenig über die Zeit davor. Vermutlich im 9. Jahrhundert fasste die Kirche Fuß im Siegerland, die hatte Schreiber, die alles Mögliche dokumentierten. Allerdings eher spärlich in so ländlichen Regionen. Erst mit den Grafen von Nassau begann die Zeit des gründlichen Aufschreibens im Siegerland. „Irgendwas war auch schon davor hier besiedelt und wurde verwaltet“, sagt der Historiker Christian Brachthäuser. Er hat ein Buch geschrieben, „Das Rätsel des ,Gemauerten Hauses’ von Siegen“, das zumindest etwas Licht in das finstere Siegener Mittelalter bringen kann. Spotlight on history: Eine kleine Verwaltungsburg an einer Furt durch die Sieg.

1940 gab es eine Detonation auf der Hammerhütte, das gemauerte Haus (rechts) blieb weitgehend unversehrt.
1940 gab es eine Detonation auf der Hammerhütte, das gemauerte Haus (rechts) blieb weitgehend unversehrt. © Privatsammlung Torsten Kirsch

Die Hammerhütte

Nicht weit vom damaligen Ort Siegen lag im Mittelalter die Hammerhütte, damals die Siedlung „Leimpe“ – wohl eine weitere, uralte Ortschaft an einer Furt durch die Sieg (urkundlich erwähnt 1280). Hier wurde Metall verarbeitet: Bei Ausgrabungen wurden Mauer- und Schlackenreste, Rückstände von Verhüttungsplätzen gefunden. Die Hammerhütte wurde 1417, vor 600 Jahren, erstmals urkundlich erwähnt, sagt Brachthäuser. Er ist im Quartier geboren und aufgewachsen und hat das Jubiläum der Hammerhütte zum Anlass genommen, sich mit dem rätselhaften Gemauerten Haus zu beschäftigten.

Erste Erwähnung im Jahr 1079  als „Sigenia“

Die Anfänge der Stadt Siegen liegen irgendwo zwischen Spätantike und Frühmittelalter. Die Kelten schürften bereits seit Jahrhunderten im Siegerland nach Erzen – besiedelt war die Gegend also schon mal. Aber bereits damals war das Siegerland eine Grenzregion, wechselnde geistliche und weltliche Herrscher prügelten sich um die Macht – noch ein Faktor, der es Historikern heute erschwert, Erkenntnisse über die Karolingerzeit, das frühe und das Hochmittelalter zu gewinnen – wer führt Buch, wenn die Bosse ständig wechseln?

Siedlung am Fuß des Siegbergs

Als einigermaßen sicher gilt, dass es im 10./11. Jahrhundert eine Siedlung unterhalb des Siegbergsporns gab – die Martinikirche (oder ein Vorläufer) thronten über dem Dorf, 1079 als „Sigenia“ erstmals urkundlich erwähnt. Denn mehr dürfte Siegen damals kaum gewesen sein. 1175 immerhin galt Siegen dann schon als „Stadt“, nach einem Brand wechselten die Einwohner vom Fuß auf den Rücken des Siegbergs und gründeten die Oberstadt.

Auf der Hammerhütte kreuzten sich historische Verkehrswege: Der vom Leimbachtal zum Fischbacherberg, der von Norden Richtung Westerwald. Ein Stück die Weiß hinauf: Das Nonnenkloster St. Magdalena an der heutigen St. Johann-Straße. „Die Hammerhütte ist nur eine kleine Hausnummer“, sagt der Historiker. Aber gerade weil es dazu so wenig Material gibt – und seiner Herkunft wegen –, reizte Brachthäuser das Thema. Der Hammerhütte ist ein Kapitel in seinem Buch gewidmet.

„Diese Epoche ist ein schwarzes Loch“, sagt Brachthäuser, für Erkenntnisse kann einzig die Archäologie sorgen. Weil das mitten in der Stadt kaum möglich ist, bleibt nur die Suche nach Parallelen zu anderen Bauwerken.

Das Gemauerte Haus

An wichtigen Punkten war es üblich, sagt Brachthäuser, Verwaltungsgebäude aufzustellen: Hier wachte der damalige Staat. „Ein mehrgeschossiges Gebäude mit wehrhaftem Charakter“, so formuliert es der Mitarbeiter des Siegener Stadtarchivs. Weil das Gebiet in einer feuchten Mulde im Mündungsbereich des Leimbachs in die Sieg lag, bot es sich an, etwas zu errichten, das nicht aus Holz ist. Und zwar auf etwa sieben mal sieben Metern Grundfläche. Gebaut wurde das feste Haus vermutlich im 12. Jahrhundert.

Heute befinden sich an dieser Stelle das Holiday Inn Express Hotel und die daran angrenzenden Privatwohnungen.
Heute befinden sich an dieser Stelle das Holiday Inn Express Hotel und die daran angrenzenden Privatwohnungen. © Hendrik Schulz

Dass das Gemauerte Haus ein solcher Verwaltungssitz war – dem immer auch Militärisches anhaftete, gerade zu damaliger Zeit –, dafür sprechen die Indizien: Verkehrswege, Nähe zum Kloster, Grenzgebiet, Tonnengewölbe, vergitterte Fenster. „Niederungsburgen“ ist der Fachbegriff für die Gemäuer, viele solcher steinernen Häuser aus dieser Zeit dienten als Zollstation, als Wachposten, zur Überwachung von Verkehr und Wirtschaft – als kleine Verwaltungsburg eben. „Dass das Gemauerte Haus eine solche Kontrollfunktion hatte, lässt sich nicht beweisen“, sagt Christian Brachthäuser – aber es weist eben auch erstaunlich viele Parallelen zu vergleichbaren kleineren Turmburgen im südlichen Siegerland und dem Westerwald auf.

Spärliche Schriftquellen und historische Karten

Historiker und Burgenforscher rätseln seit Jahrzehnten über das Gemauerte Haus, Bracht­häuser wertete für sein Buch die nur spärlich zur Verfügung stehenden Schriftquellen und historisches Kartenmaterial aus.

„Das Rätsel des ,Gemauerten Hauses’ von Siegen“ ist erschienen im Ancient Mail Verlag.

Wie wehrhaft das „Gemuurde Hus“ tatsächlich war, zeigte sich im Jahr 1940: Die Explosion der Siegerländer Kleiderfabrik auf der Hammerhütte riss zehn Menschen in den Tod, mähte die Fachwerkhäuser im Viertel nieder wie die Sense Ähren auf dem Feld. Bis auf die alte Feste mit ihren einen Meter dicken Wänden.

Gerettet hat das den mittelalterlichen Wachturm nicht. Die Grundstücke wurden neu parzelliert, 1946 dann der Abbruch. Beim Wiederaufbau, sagt Brachthäuser, hatte alles Mögliche Priorität – aber nicht der Erhalt historischer Gebäude. An der Stelle, wo einst das gemauerte Haus über die Handelswege wachte, an einer Stelle, wo Reisende und Kaufleute zu Fuß oder mit Fuhrwerken durch die seichte Sieg wateten, steht heute eine andere Anlaufstelle für Reisende: Das Holiday Inn Express Hotel.

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