Siegen. . Die Kunsthistorikerin leitet das Siegerlandmuseum seit 1998. Im Interview erläutert sie, wie ein Museum seine Bedeutung behält.
- Mit der Digitalisierung ändern sich Gewohnheiten und Ansprüche des Publikums
- Das Siegerlandmuseum müsse sich stärker als außerschulischer Lernort etablieren
- In einem großem Umkreis sichtbar zu sein, sei für Museen zunehmend wichtiger geworden
Selbst neue Erkenntnisse können längst Binsenweisheiten sein: Mit der Digitalisierung ändern sich Gewohnheiten und Ansprüche des Publikums in allen Lebensbereichen. Ein heimatgeschichtlich ausgerichtetes Haus wie das Siegerlandmuseum kann sich aber auch in dieser Situation behaupten, ist dessen Leiterin Prof. Ursula Blanchebarbe überzeugt.
Wie wär’s mit ein paar Vorurteilen zum Einstieg? Heimatmuseen sind muffig, staubig, oll und öde.
Blanchebarbe:Museen sind alles andere als diese Klischees. Da gibt es noch viele Altlasten in manchen Köpfen.
Altlasten?
Schon optisch. Vor 25 Jahren war die Kaffeestube in Eiche rustikal sicher noch hip. Heute haben wir dafür einen hellen, ansprechenden Raum. Oder das Licht, das ist mittlerweile ganz wichtig. Wir haben inzwischen fast überall eine warme LED-Beleuchtung.
Im Rubenssaal hingen früher schwere, samtrote Vorhänge – jetzt haben wir Fenster mit leicht getönter UV-Schutzfolie, sodass der Blick nach draußen gewährt ist. Wir haben auch in einigen Räumen hellere Böden. Schon durch solche Maßnahmen fällt ganz viel von dem Verstaubten weg.
Ambiente ist aber nur ein Teil der Lösung?
Wenn in einem Museum Struktur drin ist, wenn man einen roten Faden erkennen kann: Dann ergibt sich ungeheuer viel Spannendes.
Welchen roten Faden haben Sie im Siegerlandmuseum?
Laut Untertitel sind wir ein Museum für Kunst- und Regionalgeschichte. Das entspricht auch dem Sammlungsbestand. Außer der Wohnkultur sind alle unsere Bereiche miteinander verwoben. Keine Wirtschaftsgeschichte ohne die Nassauer; dann gibt es den Nebenzweig der Oranier, dann Fürst Johann Moritz: ohne ihn kein Krönchen, keine Fürstengruft, keine Taufschale. Und wir haben Rubens und die Stadtgeschichte.
Diese Menschen sind schon sehr lange tot. Welche Bedeutung hat das für die Gegenwart?
Regionalgeschichte trägt dazu bei, lokale Identität zu stiften – wenn man sieht, was sich von den Kelten an getan hat. Ich glaube außerdem, dass Regionalgeschichte im Zusammenhang mit Wirtschaftsgeschichte immer wichtiger wird.
Es geht darum, Verbindungslinien der Vergangenheit in die Gegenwart zu vermitteln?
Da gibt es ganz spannende Möglichkeiten. Beispielsweise beschäftigen wir uns bei Führungen mit Mode auf Bildern. Oder mit Schmuck. Dabei wird deutlich, dass unsere heutigen Kollektionen auch auf dem Schmuck der Kelten beruhen.
Oder wir erzählen, etwa bei Sonntagsführungen, über Rubens als Person. Der wäre heute ein absoluter Promi, der dauernd in der Presse erscheinen würde.
Dafür müssen die Leute aber erst einmal ins Museum kommen.
Kultur spielt eine ganze wichtige Rolle im Leben, ohne geht’s nicht. Wir möchten natürlich auch Leute ins Museum locken, die von sich aus sonst nicht kommen würden. Und wir müssen uns stärker als außerschulischer Lernort etablieren. Wenn die Eltern es zulassen, bekommen wir Kinder leicht hierher.
Die haben wahnsinnig viel Spaß an der Bergwerksführung „Glück auf“: Da kriegt jeder einen Helm auf und eine Grubenlampe in die Hand. Auch Angebote, bei denen es um Ritter oder Prinzessinnen geht, funktionieren gut. Und viele Kinder kehren später mit ihren Eltern zurück.
Was ist mit Schulen?
Da haben wir das Problem, dass die vierten Klassen schon lange nicht mehr kommen. Früher war das ein Pflichtbesuch, jetzt passiert das allenfalls noch freiwillig beim Schulausflug. Früher kamen auch viele Lehrer noch aus der Region. Für die war das selbstverständlich, das Siegerlandmuseum zu besuchen.
Das ist sicher nicht die einzige Veränderung beim Publikum?
Das Publikum, das vor 25 Jahren gekommen ist, erwartete eher noch die Heimatstuben. Das hat sich sehr verändert – durch die wachsende Zahl an Blockbustern, die es in anderen Museen im Umfeld gibt, in Köln, Düsseldorf, Bonn.
Was sind Blockbuster im Museum?
Große Namen, die ziehen. Wenn ein Museum etwa Caravaggio zeigt, sagt jeder: ,Da muss ich hin’. Wir hatten das 2004 mal mit der Picasso-Ausstellung. Große Museen arbeiten da mit ganz anderen finanziellen Mitteln, als wir es können.
Was gibt es für Alternativen?
Vernetzung ist ganz wichtig. Dass wir 1991 die Sammlung von Rubensgrafiken kaufen konnten, war ein Glücksfall. Wenn man so etwas an andere Museen ausleihen kann, wird man aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.
Und das Publikum in diesen Städten nimmt uns wahr und kommt vielleicht vorbei. In großem Umkreis sichtbar zu sein, ist viel wichtiger geworden.
Das Projekt „Zeit.Raum Siegen“ mit dem 3D-Stadtmodell hat doch Blockbuster-Qualitäten? In dieser Form gilt es als einmalig.
Das muss sich aber erst rumsprechen. Wir bieten jetzt regelmäßig Indoor-Stadt-Führungen an, erst an diesem Modell, dann in der Stadtgeschichte. Ein junger Mann schreibt gerade seine Masterarbeit darüber, wie sich dafür Bildschirmdarstellungen verändern müssen – ohne Text, denn was zu erzählen ist, obliegt dem Stadtführer.
Ich verspreche mir auch viel von der künftigen Förderung für das an das Projekt angeschlossene Stadt-Wiki: 70 000 Euro für zwei Jahre. Die Hälfte übernimmt die Kulturregion Südwestfalen, den Rest unser Förderverein und die Stadt. Ich denke, dass so ein Projekt helfen kann, Barrieren einzureißen und Menschen ins Haus zu locken.
Wie weit kann Digitalisierung gehen?
Man sollte ein Museum schon ein Museum sein lassen. Aber im kommenden Jahr haben wir – hoffentlich – in allen Räumen Wlan. Das eröffnet neue Möglichkeiten. Erläuterungstexte stehen nicht mehr vorgefertigt an der Wand, sondern Besucher können sie sich in der gewünschten Tiefe auf dem Touchscreen anschauen.
So ließen sich verwandtschaftliche Beziehungen im Hause Nassau-Oranien darstellen. Oder Sie könnten im Rubenssaal, während Sie vor dem Original stehen, ein Bild im Detail analysieren, indem Sie auf dem Touchscreen Bereiche anklicken und Erläuterungen erhalten.
Die Zeiten, als ich mich im Museum auf anstrengende Theorieblocks einstellen musste, sind vorbei?
Das ist auch so ein Klischee, dass Texte im Museum hochwissenschaftlich sein müssen. Das ist Quatsch. Man kann es auch anders vermitteln. Einer der am meisten genutzten Flyer bei uns ist der in einfacher Sprache.
Jeder kann kommen und gucken. Wenn man Erklärungen und Texte will, nimmt man sie – wenn nicht, lässt man’s sein. Und man kann ohne Vorwissen kommen: Man sollte nur unvoreingenommen sein.
>>>> INFO: Zur Person
Prof. Dr. Ursula Blanchebarbe, 60, wurde im saarländischen Rehlingen-Siersburg geboren.
Sie ist Honorarprofessorin an der Fachhochschule Bielefeld. Dort gibt sie neben ihrer Arbeit als Museumsleiterin in Siegen Blockseminare: „Ich biete klassische Kunstgeschichte an.“
- Die Lokalredaktion Siegen ist auch auf Facebook.