Siegen. . Gerade in zentralen Lagen wie der Oberstadt und Teilen Weidenaus konkurrieren viele gesellschaftliche Gruppen um immer weniger Wohnungen.

  • Eigentümer versuchen, aus ihren Wohnungen in Zentrumslagen das Maximum herauszuholen
  • Mieterbund fordert neue Gemeinnützigkeit: Der Staat als Bauträger ohne wirtschaftliche Interessen
  • Stadt bemüht sich, Flächen nicht an Meistbietende zu verkaufen, sondern unter Auflagen

Kleine, günstige Wohnungen in Innenstadtlage mit guter In­frastruktur sind in Siegen immer knapper. Das Problem ist nicht neu, verschärft sich aber zunehmend: Auf diesem Sektor konkurrieren verschiedene Gruppen um den Wohnraum: Studenten, Menschen mit Behinderung, Senioren, Singles, Alleinerziehende, sozial Schwache, Flüchtlinge. Inzwischen versuchen Eigentümer, aus ihren Wohnungen in Zentrumslagen das Maximum herauszuholen; die Mieten steigen. Kehrseite: Auf dem Land lassen Eigentümer ihre Häuser leerstehen, weil Mieten teils so gering sind, dass sich der Unterhalt nicht mehr lohnt.

Der Mieterbund

„Im Niedrigsegment steigen die Preise schneller. Die Nachfrage wird nicht nachlassen, das Streben ins Zentrum hält absehbar an.“ Marco Karsten, Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Siegerland, identifiziert den Rückzug des Staats aus dem Wohnungsmarkt als Hauptproblem. Zwar gibt es in Siegen große Genossenschaften mit niedrigen Mieten, private Investoren hätten aber kaum Anreize, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Wer gewinnorientiert arbeitet, strebt nach möglichst viel Gewinn. „Skrupel werden auch auf dem privaten Sektor ganz schnell abgelegt“, sagt Karsten. Es gebe zunehmende Fälle vorgetäuschter Eigenbedarfskündigungen, die sich später als reine Verdrängungsmaßnahme entpuppen, um dem nächsten Mieter mehr Geld abzuknöpfen.

Siedlung am Lindenberg: Noch gehören große Bestände den Wohnungsgenossenschaften.
Siedlung am Lindenberg: Noch gehören große Bestände den Wohnungsgenossenschaften. © Hans Blossey

Konsequenz: „Wir brauchen eine neue Gemeinnützigkeit“, so Karsten; Stadt und Land als Bauträger ohne primär wirtschaftliche Interessen. Der Wohnungsmarkt sei eben kein Markt, der den Bedingungen von Angebot und Nachfrage unterliege: „Niemand kann unter der Brücke darauf warten, dass die Wohnung günstiger wird“, so Karsten. Also: Regulierung.

Außerdem fehle Bauland. Zwar gebe es in Siegen viele Baulücken, die Stadt sei auch bestrebt, hier zu bauen – häufig scheitere eine entsprechende Nutzung aber an den Eigentümern. Auch, wenn Münchner Verhältnisse in Siegen noch nicht erreicht sind – „Unser München ist die Oberstadt“ – habe man das Problem über Jahrzehnte schleifen lassen. „Es brennt an allen Ecken und Enden.“

Das Sozialwerk

„Bezahlbarer Sozialwohnraum ist Mangelware.“
Laut Tino Strackbein, Leiter der Tagesstätten beim Sozialwerk St. Georg Westfalen-Süd, sei eine eigene Wohnung für die Klienten des Sozialwerks – Menschen mit psychischen Erkrankungen – ein wichtiger Schritt hin zu einem eigenständigen, selbstbestimmten Leben – der aber immer seltener gegangen werden könne. Strackbein: „Das ist ein Riesenproblem.“

Die Studenten

„Hier und da mal ein paar neue Wohnungen sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Burkhard Lutz, Abteilungsleiter Wohnen des Studentenwerks, nennt drei Kriterien, die für Studenten entscheidend bei der Wohnungssuche sind: Preis, Zustand und Entfernung. Und danach suchen auch die anderen Bevölkerungsgruppen aus: Senioren, Menschen mit Behinderung, Alleinerziehende. Unter anderem. „Der Markt bestimmt die Preise“, sagt Lutz, dessen Warteliste für die Wohnheime des Siegener Studentenwerks konstant hoch bei rund 500 Interessenten liegt. Bei den Studenten komme außerdem noch der Faktor Internet dazu: Setzen beispielsweise sei durchaus uninah – aber wegen fehlenden Breitbands für kaum einen Studenten attraktiv. Gerade zu Semesterbeginn müssten viele bei Kommilitonen unterkommen und darauf hoffen, dass sich schnell ein Zimmer findet.

„Wir bekommen täglich Anrufe.“
Marie Kirschstein vom AStA-Sozialreferat wird häufig von Studenten um Hilfe gebeten, die in Uninähe nach einer Wohnung suchen. Sie sieht drei Probleme: Viele Wohnungen würden mehrfach angeboten, also in zahlreichen Portalen auftauchen und entsprechend schnell vergriffen sein. Die Zahl der Interessenten bei WG-Besichtigungen steige, Studenten müssen sich unter Umständen viele Male in Wohngemeinschaften vorstellen, bis sie womöglich eine Zusage erhalten. Und es gebe einen Anstieg der Härtefallanträge: „Immer mehr Studis haben nicht genug Geld“, sagt Kirschstein.

„Nach wie vor gibt es riesigen Druck auf diesem Wohnsektor.“ Stadtbaurat Henrik Schumann verweist darauf, dass vereinzelte Projekte wie das geplante Studentenwohnheim der Kommunalen Entwicklungsgesellschaft am Lohgraben kaum helfen könnten, das strukturelle Problem zu lösen. Die Stadt bemühe sich, Flächen nicht an den Meistbietenden zu verkaufen, sondern an Investoren, die eine gewisse Zahl Wohneinheiten zu bestimmten Preisen planen. Schumann: „Aber auch das reicht nicht.“

>>>>KOMMENTAR von Hendrik Schulz

Die Siegerländer Topografie lässt sich nicht ändern. Siegen wird in die Höhe wachsen müssen: Mit zweigeschossigen Häusern gibt es keine Wohnverdichtung in den Zentren.

Siegen hat es erstaunlich gut hinbekommen, Landleben und Urbanität unter einen Hut zu bekommen: Grüne Großstadt, Familienfreundlichkeit, auch im Stadtbild immer mehr Universitätsstadt. Als Siegener kann man inzwischen zu Recht mit breiter Brust auftreten – das war mal anders. Heute sind wir alles: Ländlich, lässig, lebenswert.

Und damit das in Zukunft auch so bleibt, muss es Siegen anders hinbekommen als andere (Groß-) Städte, die im Durchschnitt zwar prosperieren, wo aber die Stadtgesellschaft auf den zweiten Blick auseinanderdriftet, weil nicht mehr alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen teilhaben können am neuen Boom. Wir wollen nicht das Siegen sein, das sich die Stadtmitte als Lebensraum aufhübscht, in dem dann nur lebt, wer es sich auch leisten kann.

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