Siegen. . WDR Funkhausorchester präsentiert im Apollo „La Fiesta!“: Kompositionen von Cole Porter, Glenn Miller, George Gershwin und Astor Piazzolla.
- Das Orchester hatte nur eineinhalb Tage Zeit, dieses Ersatzprogramm einzustudieren
- Das ursprüngliche wurde gekippt, da es dem Orchester nicht gerecht geworden wäre
- Obwohl einige Gäste Karten zurückgeben wollten, bekamen die Musiker viel Applaus und Lob
Lange Schlangen vor der Abendkasse. Doch diesmal ist das kein gutes Zeichen: Es sind Konzertbesucher, die ihre Karten zurückgeben wollen. Sie hatten sich auf Woodstock-Songs eingestellt, orchestrale Versionen unvergänglicher Titel von Janis Joplin, Joe Cocker, John Lennon und Paul McCartney bis hin zu Crosby, Stills & Nash. Doch präsentiert wird ein „Ersatzprogramm“, das im Foyer des Theaters für skeptische bis enttäuschte Gesichter sorgt. Um es gleich zu sagen: Der Abend entwickelt sich für alle, die geblieben sind, zu einem Fest für Augen und Ohren. Dabei hatte das Orchester nur eineinhalb Tage Zeit, dieses Programm einzustudieren.
Schon bei den ersten Takten von Cole Porters Eingangsstück hört man: Da spielt eine riesige Big Band, deren Bläser fulminante Riffs zaubern, eine Rhythmusgruppe, die es federleicht swingen lässt, und Streicher, die alles mit großen Bögen zu wunderbaren Klängen veredeln. Einer, der aus dem über 50-köpfigen Funkhausorchester von Anfang an besonders hervorsticht, ist Andy Miles, der Herrscher aller Saxophone. Die Magie eines großen Orchesters setzt sich bei „A String of Pearls“ fort, eine der Erkennungsmelodien der Big Band-Legende Glenn Miller.
Virtuose Improvisationskunst
Dann zieht Enrique Ugarte, der temperamentvolle spanische Tausendsassa am Dirigentenpult, seine weiße Jacke aus. Kompositionen des argentinischen Tangokönigs Astor Piazzolla stehen auf dem Programm, und den Solisten macht Ugarte selbst. Das ist auch körperliche Schwerstarbeit, denn statt des traditionellen Bandoneons spielt er auf einem hochmodernen Akkordeon mit beträchtlichem Gewicht. Ob tanzbare Stücke im typischen Tangorhythmus, Melodien aus dem Baskenland, seiner Heimat, oder im zweiten Konzertteil das traurig-melancholische „Adios Nonnino“, das Piazzolla zum Tod seines Vaters geschrieben hatte und bei dem sich zum Taktteppich eines Trauermarschs der helle Ton des Akkordeons erhebt: Enrique Ugarte entführt das Siegener Publikum mit seiner virtuosen Improvisationskunst in die Atmosphäre der lateinamerikanischen Tango-Kultur. Und auch die anderen Solisten des Abends, der Bassist Martin Gjakonovski und der Tastenkünstler Pablo Paredes, holen sich immer wieder spontanen Szenenapplaus ab.
Besonders im Gedächtnis bleiben wird dem Publikum der musikalische Dialog zwischen Enrique Ugarte und Andy Miles. Die zarten Melodienbögen auf dem Sopran-Saxophon, so weich wie eine Daunendecke, und als Kontrast der perkussive Charakter des Akkordeons. Smooth-Jazz in Vollendung.
Stilmix und Vielseitigkeit
Zum Genuss für die Ohren kommt noch etwas fürs Auge. Susana Raya aus Andalusien interpretiert George Gershwins unsterbliche Kompositionskunst. Mit samtig-einschmeichelnder Stimme in den Mittellagen. Und bei den Kompositionen des Jazz-Pianisten Chick Corea, einem Stilmix aus spanischer Folklore und amerikanischem Jazz, kann Susana Raya beeindruckend ihre Vielseitigkeit zeigen. Ihre Scat-Einlagen beim Chorea-Titel „La Fiesta“ sind große Improvisationskunst. Die Rhythmen steigern sich bis zum Finale Furioso, das jeden im Theatersaal aus dem Sessel reißt und aus den Zuhörern Akteure macht. Denn dass diese minutenlang im Stehen applaudieren, versteht sich fast von selbst. Sie feiern die Künstler und vor allem auch sich selbst – dass sie nicht nach Hause gegangen sind.
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