Siegen. . Siegener Ärzte warnen vor dem Einsatz des Medikaments in der Krebstherapie. Sie spüren zunehmend den Druck der Patienten.

  • Der Hype sei nicht gerechtfertigt: Die nötigen klinischen Studien würden fehlen
  • Patienten verspüren Hoffnung, obwohl das Medikament nicht zugelassen ist für diesen Bereich
  • Ein Iserlohner Arzt verschreibt es dennoch und hat gute Erfahrungen gemacht

Die Lösung für Schwerstkranke scheint ganz leicht zu sein: Das Opioid Methadon nehmen und den Krebspatienten geht es besser – möglich, dass sie sogar gesund werden. Dieses Gerücht hält sich aufgrund einiger Medienberichte über die Chemikerin Claudia Friesen vom Institut für Rechtsmedizin der Uni Ulm seit einigen Monaten hartnäckig. Und das ist ein Problem, sagen drei Siegener Ärzte nun bei einem Gespräch im St. Marien-Krankenhaus. Der Hype bringe die Schulmedizin in Verruf.

„Die Patienten schlagen in allen Bereichen auf und fragen nach Methadon – egal ob Erstdiagnose, schwerstkrank oder dazwischen“, sagt Dr. Badrig Melekian, Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Marien-Krankenhauses. Er behandelt rund ein Viertel der Krebsfälle des Krankenhauses in seiner Klinik, sagt er. „Es wird getan, als ob Methadon ein Heilmittel für alles ist. Aber es gibt keine klinischen Studien“, sagt Dr. Melekian. Es werde nicht zwischen verschiedenen Krebsarten unterschieden, allein fünf Arten von Brustkrebs gebe es. „Es werden Hoffnungen geweckt.“ Die Patienten würden sich unnötig Gedanken machen. Viel Aufklärung sei nötig.

Was ist Methadon und worauf fußt die Diskussion?

Das sogenannte L-Methadon ist zur Behandlung von starken Schmerzen zugelassen und wird in der Palliativmedizin für Patienten mit nicht heilbaren Krebserkrankungen eingesetzt, erklärt Dr. Regina Mansfeld-Nies. Sie ist Fachärztin für spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin, Leiterin des Schmerzzentrums in Siegen sowie Gründerin des PalliativNETZ Siegen-Wittgenstein-Olpe. „Es ist eine schwierige Substanz“, sagt sie und erklärt, dass sie das Mittel deshalb nur als zweite oder dritte Wahl nutze. Die Nebenwirkungen seien heftig, andere Medikamente dahingehend besser.

Dr. Regina Manfeld-Nies, Fachärztin für spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin.
Dr. Regina Manfeld-Nies, Fachärztin für spezielle Schmerztherapie und Palliativmedizin. © Jennifer Wirth

Methadon ist jedoch eine Mischung aus zwei Molekülen, D und L, und wird deshalb DL-Methadon genannt. Diese Form steht jetzt im Fokus: Laut der Chemikerin Friesen soll es dafür sorgen, dass Chemotherapien besser wirken. An 27 Patienten mit Gliomen (Hirntumoren) in unterschiedlichen Stadien, mit verschiedenen Krankheitssituationen und Risikofaktoren hat Friesen eine retrospektive Studie durchgeführt. Die Patienten haben zusätzlich zur Chemo auch Methadon bekommen. Laut der Veröffentlichung hatten nur neun der 27 Menschen einen Rückfall.

Wieso wird die Studie kritisiert?

Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie sowie weitere Institute weisen jedoch darauf hin, dass die Studie nicht korrekt ausgeführt worden sei und Ergebnisse keine konkreten Rückschlüsse auf das Methadon zuließen.

Auch die Uniklinik Ulm nimmt Stellung und schreibt in einem Statement: „Die wissenschaftlichen Erkenntnisse [...] beziehen sich ausschließlich auf vorklinische Experimente entweder mit Zellkulturen oder tierexperimentellen Studien.“ Und weiter: „Um die Wirksamkeit eines solchen Konzepts, wie des Einsatzes von Methadon zur Therapie von Tumoren, zu beurteilen, ist es daher unbedingt notwendig, prosektive, kontrollierte, randomisierte Studien bei Patienten durchzuführen.“

Wo liegt das Problem?

Aussagekräftige, korrekt durchgeführte Studien gibt es bisher nicht, sagt Prof. Dr. Ralph Naumann, Chefarzt der Hämatologie und Medizinischen Onkologie am Marien-Krankenhaus. Der Experte spricht von einer unzureichenden Datenbasis. „Die Datenlage ist im Moment zu gering, um Aussagen zu treffen. Klinische Studien wären der nächste Schritt.“ Am besten welche, bei denen die Patienten per Zufall ausgesucht würden und nicht wissen, ob sie eine Chemotherapie plus Methadon oder nicht bekommen.

„Methadon ist als Drogenersatzstoff und als Schmerzmittel zugelassen“, sagt Naumann. Bei Krebs handle es sich um einen „Off-Label-Use“ – so nennen Fachleute den zulassungsüberschreitenden Einsatz eines Mittels außerhalb der genehmigten Anwendungsgebiete. Davor warnt der Experte eindringlich. Dennoch gebe es Ärzte, die das Betäubungsmittel, das eine engmaschige Kontrolle voraussetzt und abhängig macht, verschreiben. Das kann der Fachmann aufgrund der fehlenden Zulassung des Medikaments nicht nachvollziehen.

Was heißt das für Ärzte und Patienten?

Auch Naumann und Mansfeld-Nies berichten davon, zunehmend von Patienten auf Methadon angesprochen worden zu sein. „Dann stehen Menschen mit einem hohen Leidensdruck vor einem. Das ist ein Dilemma. Wir verstehen die Wünsche, aber kennen auch die wissenschaftlichen Hintergründe“, sagt Mansfeld-Nies. Sie habe hohes Verständnis für die Patienten und wünsche sich sehr, dass sich die positive Wirkung des Mittels herausstelle. „Aber das sind alles Einzelfälle“, sagt sie. Wunder gebe es immer wieder. „Wir stehen sehr unter Druck.“ Der Vertrauensverlust in die Schulmedizin sei ein großes Problem. „Wir sind bemüht und wollen entgegenkommen, aber wir sind an Gesetze gebunden.“

>>>> INFO: Iserlohner hat gute Erfahrungen gemacht

Dr. med. Hans-Jörg Hilscher ist Allgemeinmediziner aus Iserlohn mit der Zusatzweiterbildung Palliativmedizin. Nach eigenen Angaben verordnet er Patienten Methadon und habe positive Erfahrungen gemacht. „Er ist ein Alleingänger und macht eine Off-Label-Therapie. Ich halte das für risikoreich“, sagt Dr. Mansfeld-Nies, die den Iserlohner kennt. Die Haupterfahrung habe Hilscher im Hospiz gemacht. „Da sind Onkologen schon lange raus“, so Mansfeld-Nies. „Wenn jemand im Hospiz stirbt, dann darf er gehen“, sagt Prof. Naumann. Doch er habe mit Fällen zu tun, bei denen noch Hoffnung bestehe und es eine Chance gebe für die Krebspatienten. Den Tod eines solchen wolle er nicht verantworten.

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