Burgholdinghausen. . Jahrhunderte, nachdem das Gebäude das erste Mal errichtet wurde, entsteht es ein weiteres Mal. Nicht im Siegerland, sondern in Detmold.

  • Im Freilichtmuseum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in Detmold wird das Haus aufgebaut
  • Das Haus Stöcker sei ein besonders typisches Beispiel für einen Siegerländer Fachwerkbau
  • 2020 soll der Wiederaufbau fertig sein

220 Jahre nachdem der Jude Benjamin Moses aus dem damals kurkölnischen Olper Gebiet vertrieben wurde und im Littfetal ein Anwesen errichtete, wird sein Haus ein zweites Mal aufgebaut: Im Freilichtmuseum des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL) in Detmold. Dort liegen die Einzelteile des „Haus Stöcker“ genannten Fachwerkbaus dann auch schon wieder seit rund 65 Jahren: 1963 wurde das Gebäude abgerissen und wartet seither im Lipperland auf seinen Wiederaufbau, der nun beginnt. 2020 soll es fertig sein.

Das Gebäude

Das Haus Stöcker sei ein besonders typisches Beispiel für einen Siegerländer Fachwerkbau, sagt Ruth Lakenbrink vom LWL: Denn es hat noch die für das 18. Jahrhundert typische Fachwerkabzimmerung mit langen Fußstreben und kleinen Winkelstreben. Im 19. Jahrhundert löste das riegellose Fachwerk diese Bauweise ab – um kein Holz zu verschwenden. Irgendwie auch typisch Siegerland – aber die Fachwerkhäuser wurden eben schlichter.

„Für unser Museum ist es ein besonderer Bau“, so Lakenbrink, „denn es ist ein sehr frühes Beispiel eines Flurhauses, das eben nicht als niederdeutsches Hallenhaus gebaut wurde.“ Der Wohnbereich war – anders als im Hallenhaus – im Haus Stöcker räumlich von landwirtschaftlich genutzten Flächen getrennt. „Daran kann man sehr schön erkennen, dass der Erbauer Benjamin Moses nicht von der Landwirtschaft lebte“, so Lakenbrink.

Die Geschichte

1797 Bau des Fachwerkhauses durch den Juden Benjamin Moses. Moses stammte aus dem benachbarten kurkölnischen Sauerland und war der erste Jude, der sich nach den Vertreibungen des Mittelalters im Bereich des Fürstentum Nassau-Siegen niederließ. Freiherr Friedrich Leopold von Fürstenberg gestattete Moses, sich hier niederzulassen, entgegen dem ausdrücklichen Willen des Fürstenhauses Nassau-Dillenburg.

Das Haus von 1797 ist der erste nachweisbare Hausbau eines Juden im heutigen Kreis Siegen. Die Bauweise war für damalige Verhältnisse modern (Flurhaus ohne befahrbare Diele). Benjamin Moses erwarb das Grundstück für das Haus und einen Hauberganteil (Anteil am gemeinschaftlich genutzten Wald) vom Freiherrn zu Fürstenberg. Die Haubergsparzelle nutzte er als Begräbnisstelle; diese wurde später auch für andere jüdische Bestattungen aus Siegen und Hilchenbach genutzt.

1831 Tod von Benjamin Moses, sein Sohn gleichen Namens heiratet, die Familie zieht von Burgholdinghausen nach Littfeld, betreibt dort eine Metzgerei. Der Freiherr zu Fürstenberg kauft das Haus zurück und verpachtet es an Mitglieder der Familie Moses, später an die Familie Meier, die aber auch bald nach Littfeld ziehen. Bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts wandern alle Familienmitglieder Moses aus Burgholdinghausen ab.

1860 Die Familie Stöcker bewohnt das Haus, und zwar bis 1959. Die Haushaltsvorstände sind hauptberuflich Bergleute, Eisenbahner, Maurer oder Postbeamte und betreiben eine kleine Landwirtschaft im Nebenerwerb.

1936 geht Burgholdinghausen von den Fürstenbergs an Reinhold Woeste (Herdringen) über, in dessen Familie sich das Gebiet noch heute befindet.

1956 Wenige Jahre wohnt die Familie Zander im Haus Nr. 5 in Burgholdinghausen. Vermutlich waren die Zanders Angestellte der Forstverwaltung.

1961 geht das Haus in den Besitz der Forstverwaltung des Stahlindustriellen Albrecht Woeste (Düsseldorf) über, 1963 zieht die Forstverwaltung in einen Neubau um.

Diese Aufnahme ist ungefähr in den späten 50er/frühen 60er Jahren entstanden, wenige Jahre vor dem Abriss.
Diese Aufnahme ist ungefähr in den späten 50er/frühen 60er Jahren entstanden, wenige Jahre vor dem Abriss. © Hendrik Schulz

1963 kauft das LWL-Freilichtmuseum Detmold das leerstehende Haus, baut es ab und transportiert die Teile ins Lipperland. 1966 sind die Arbeiten abgeschlossen.

2014 werden dort die Forschungen zur Bewohnergeschichte aufgenommen – vor allem die Zeit um 1960 –, außerdem begeben sich die Mitarbeiter auf die Suche nach originalen Einrichtungsobjekten der Familie Stöcker.

2017 soll, sobald die Baugenehmigung vorliegt, der Wiederaufbau des Hauses in der Baugruppe „Siegerländer Weiler“ im Freilichtmuseums beginnen. Vorgesehen ist, den Zustand der frühen 1960er wieder herzustellen. Zeittypische Modernisierungen sollen vor allem in den Innenräumen an Möbeln, Küchenausstattung und der Haustechnik zu sehen sein.

2020 ist die Fertigstellung und Einweihung des etwa zehn mal zehn Meter großen Gebäudes geplant.

>>>> INFO: Erinnerungen an die Familie Meier

Helmut Stähler über die Situation der Littfelder Juden in der NS-Zeit

An die Familie Meier hat Helmut Stähler, Gründungsvorsitzender des Heimatvereins Littfeld-Burgholdinghausen, noch eigene Erinnerungen. Zunächst hatten die Meiers im Haus Stöcker gewohnt und später in Littfeld eine Metzgerei betrieben – in dem Gebäude, in dem heute die Sparkassen-Filiale untergebracht ist. „Wir hatten einen kleinen SA-Mann im Dorf, der jeden angepflaumt hat, der als Kunde in die Metzgerei ging“, erzählt Stähler.

Portrait von Helmut Stähler, Gründungsvorsitzender Heimatverein Littfeld-Burgholdinghausen.
Portrait von Helmut Stähler, Gründungsvorsitzender Heimatverein Littfeld-Burgholdinghausen. © Hendrik Schulz

Adolf Meier war äußerst beliebt im Dorf: Damals gab es viele Witwen im Ort – die Männer arbeiteten unter Tage, älter als 45 wurde kaum einer. Meier stellte etwa 50 Kühe zur Verfügung, die die Frauen melken konnten, um ihre Familien zu ernähren; wenn die Kühe kalbten oder schlachtreif waren, wurden sie getauscht. Auf diese Weise, so Stähler, half Adolf Meier vielen Littfeldern in Not. Wenn jemand krank war – der nächste Arzt und die nächste Apotheke waren in Krombach –, ließ Meier anspannen, um den Arzt zu holen und nachher wieder wegbringen zu lassen. Und auf dem Rückweg brachte sein Fuhrmann auch gleich die Medizin mit. „Und längst nicht jeder musste bezahlen“, sagt Stähler.

Als er eines samstags von der Schule nach Hause kam, erzählte ihm seine Mutter, dass alle Juden abgeholt worden seien. Bis auf Siegfried Meier, den Sohn. Weil der in einem Rüstungsbetrieb tätig war, wurde er drei Wochen später als seine Frau und der kleine Sohn ins KZ deportiert. Zuvor hatte Helmut Stähler im Schutz der Dunkelheit heimlich Lebensmittel zur Familie Meier gebracht, weil das NS-Regime die Rationen für Juden gekürzt hatte.

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