Neunkirchen/Delhi. . Veena Sekhon und Prem Singh stammen aus verschiedenen Kasten und werden wegen ihrer Beziehung bedroht. In Neunkirchen wagen sie einen Neustart.

Die Geschichte erinnert an einen romantischen Bollywoodfilm: In einem Einkaufszentrum in Delhi sehen sich Prem Singh und Veena Kaur Sekhon zum ersten Mal. Um die Frau wiederzutreffen, besucht Prem regelmäßig die Shopping-Mall – und er hat Glück: Die beiden tauschen ihre Nummern aus, verabreden und verlieben sich. Doch es gibt ein großes Problem, dass sie schließlich zur Flucht nach Neunkirchen zwingt: Prem Singh und Veena Kaur Sekhon stammen aus verschiedenen Kasten und in Indien spielt die Herkunft für das Zusammensein eine entscheidende Rolle.

Problematik

Veena Sekhon ist Tochter eines Bauern und gesellschaftlich höhergestellt als der Mechaniker Prem Singh. Veenas Familie unterstützt die Verbindung nicht. Dies hat nicht zuletzt traditionelle Gründe: Der Ehepartner der Tochter wird in Indien meist noch immer von deren Familie ausgesucht. Etwa 90 Prozent der Ehen sind arrangiert. Wer sich jedoch verliebt und das auch noch „in den falschen Menschen“, der muss mit Konsequenzen bis hin zum Ehrenmord rechnen.

Heirat und Angst

Veena Sekhon ist eine gebildete Frau. Sie hat Englisch und Geschichte auf Lehramt studiert, hängte nach dem Master noch einen Aufbaustudiengang an. In Prem Singh fand sie einen Menschen, der sie achtet und respektiert. Zu leben wie ihre Cousine, die von ihrem Mann unterdrückt wird, kam für Veena nie infrage.

Gegen alle Konventionen heiraten Prem Singh und Veena Sekhon im Juli 2013. Die Zeremonie in einem indischen Tempel ist nüchtern. „Nur unsere engsten Freunde waren dabei“, erinnert sich Prem. Kurz nach der Hochzeit wird der damals 41-Jährige vom Bruder seiner Frau aufgesucht, bedroht und geschlagen. Die Drohung Prem umzubringen, das wissen beide, ist keine leere Drohung. Das Paar hat Angst. „Unterzutauchen wäre eine Möglichkeit gewesen, aber früher oder später hätten sie uns gefunden“, sagt Prem Singh.

Flucht

Freunde raten ihnen, das Land zu verlassen. Und genau das macht das Paar aus Angst vor einer Vergeltungstat: Es flüchtet nach Deutschland und landet in Neunkirchen. Die Verständigung vor Ort ist zunächst schwierig. Untergebracht werden sie in der Flüchtlingsunterkunft „Alter Weg“. Veena Sekhon, als einzige Frau unter vielen Männern, leidet und wird krank. Beide vermissen ihre Familien, müssen sich an die neue Kultur gewöhnen.

„Wir mussten etwas tun, damit uns nicht die Decke auf den Kopf fällt“, sagt Prem Singh. Veena Sekhon besucht einen B1-Deutsch-Kurs und beendet ihn mit Zertifikat. Prem Singh hilft Frank Mayenschein, der für die Flüchtlingsunterkünfte in der Gemeinde zuständig ist. Gemeinsam richten sie neue Unterkünfte her, holen Möbel aus Haushaltsauflösungen und bringen die Flüchtlinge in ihr neues Zuhause.

Gelungene Integration

Auch das Paar zieht um: erst in die Flüchtlingsunterkunft nach Altenseelbach, später in eine Einliegerwohnung. Veena Sekhon hat begonnen, in der Hausaufgaben- und Nachmittagsbetreuung der OGS Neunkirchen auszuhelfen. „Veena ist sehr wertvoll für uns“, sagt die Leiterin der OGS Margarete Weidt. Prem Singh arbeitet seit fast zwei Jahren im Rahmen gemeinnütziger Arbeit in der Kopernikus­schule und erledigt dort Hausmeistertätigkeiten. Er ist beliebt. Schulleiter Paul-Gerhard Jung lobt Zuverlässigkeit, Einsatzwillen und Kompetenz des 45-jährigen Inders. „Trotz anfänglicher Sprachprobleme hatte Prem schnell den Durchblick. Er ist ein Top-Mann“, so Jung.

Das Paar ist aufgeschlossen dem Neuen gegenüber. In Indien hat Okra zu ihren beliebtesten Gemüsesorten gezählt, in Deutschland haben die beiden an Spargel Gefallen gefunden „und abends gibt es jetzt bei uns auch schon mal ein Butterbrot“, lacht Veena. Das Paar besucht gelegentlich die Baptistengemeinde und hat soziale Kontakte geknüpft. „Natürlich möchten wir gern in Neunkirchen bleiben“, erzählt Veena Sekhon.

Ausblick

Veena und Prem sprechen inzwischen gut Deutsch und sind – dank ihres großen Engagements in der Gemeinde – hervorragend integriert. Dennoch sind sie immer noch Flüchtlinge und müssen sie die Aufenthaltserlaubnis regelmäßig verlängern. Die Angst vor einer Abschiebung ist allgegenwärtig, da Indien kein Auswanderungsland ist. „In Indien herrscht kein Krieg. Und auch Arbeit gibt es dort genug“, sagt Prem Singh. Dennoch: Durch die Hochzeit mit einer kastenhöheren Frau gilt er als Sünder.

Seit fast vier Jahren haben die beiden ihre Familien weder gesehen noch gesprochen. Ihre Zerrissenheit ist zu spüren. „Wir fühlen uns hier in Neunkirchen, besonders in Altenseelbach, sehr wohl, die Menschen hier sind uns mit sehr viel Liebe begegnet. Zugleich vermissen wir unsere Freunde und Angehörigen“, sagt die Inderin. Sie möchten bleiben – denn die Liebe leben, das kann das Paar nur hier.

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