Siegen. . Die Stadtentwicklung hat mit den Neuen Ufern erst angefangen: Die Oberstadt wird einer nachhaltigen Strukturveränderung unterzogen. Der Überblick
- Städtebauprogramm "Rund um den Siegberg" soll strukturelle Defizite der Oberstadt heilen
- 23 Millionen Euro werden bis zum Jahr 2015 investiert, 70 Prozent davon sind förderfähig
- Das Konzept sieht keine Leuchtturmprojekte vor, sondern eine ganzheitliche Optimierung
Die Neuen Ufer tragen seit Sommer 2016 erheblich zu einem veränderten Lebensgefühl der Siegener bei: Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, urbaner Charakter. Jahrzehntelang undenkbar. Städtebaulich ist Siegen damit aber nicht fertig, lange nicht: „Das strukturelle Problem der Oberstadt ist noch nicht gelöst“, sagt Stadtbaurat Henrik Schumann. Mit dem Städtebauprogramm „Rund um den Siegberg“ schickt sich die Stadt an, diesen Knoten zu entwirren: Bis 2025 sollen rund 23 Millionen Euro in Alt- und Oberstadt fließen, die damit den Status als „Neben-Stadtmitte“ verliert.
Die Idee
Während andere Städte große Einzelprojekte stemmen, arbeitet Siegen an einer nachhaltigen Strukturänderung. Anders als bei den Neuen Ufern sind es nicht die spektakulären Um- und Neubauten, die für Verbesserungen sorgen sollen. Vielmehr, so formuliert es der Stadtbaurat, soll „aufgeräumt und zoniert“ werden; keine Radikalkur, bestehende Strukturen behutsam optimieren, den Charakter erhalten – aber dabei eben Potenzial ausschöpfen.
Grünflächen: Das städtische Grünflächenkonzept attestierte dem Zentrum ein Manko: Es gibt zu wenig Grün. „Wir sind die grünste Großstadt Deutschlands“, sagt Henrik Schumann – man ist ja auch schnell im Wald. „Was wir aber brauchen, ist Aufenthaltsqualität in der Stadt selbst.“
Strukturen: Die Rahmenbedingungen sind komplex. Die Oberstadt ist kein Stadtteil mit strukturellen Defiziten – der Wohnungsmarkt boomt, Gentrifizierung Fehlanzeige, vergleichsweise viele historische Bauwerke, der öffentliche Raum ist zumindest nicht schlecht. Aber: „Die Potenziale wurden nie ausgeschöpft“, sagt Schumann, „also wollen wir die Stärken ausbauen, den gesamten Siegberg noch attraktiver machen. Wenn wir das schaffen, wäre das ein Befreiungsschlag.“ Nicht zuletzt, weil die städtebaulichen Optimierungen natürlich auch Auswirkungen haben auf den – noch – dürftigen Einzelhandel. Gerade hier tut sich seit dem Umzug der Uni ins Untere Schloss bereits einiges – diese Dynamik kann „Rund um den Siegberg“ aufgreifen und verstärken.
Die Erfahrungen
Dass bei einem Großprojekt wie den Neuen Ufern nicht alles so ablaufen kann wie geplant, versteht sich von selbst. Maßnahmen wie der Ringlokschuppen fielen heraus, anderes wurde teurer, es musste mehr Geld her. Immer wieder fuhren Verwaltungsspitzen und Projektverantwortliche nach Düsseldorf, damit den Ufern nicht der Geldhahn zugedreht wurde.
Und das kommt ihnen jetzt auch beim Siegberg zugute: „Wir haben einen Vertrauensbonus“, sagt Schumann, „die wissen: In Siegen gibt es gute Ideen und sie sind verlässlich.“ So gut wie alle Minister besuchten die Stadt, zeigten sich nachher begeistert, in der Landesregierung verfestigte sich der Eindruck: „Die machen das gut in Siegen.“ Also legte die Stadt nach, sobald die Ufer in trockenen Tüchern waren.
Bauwerke
Diverse städtische Einrichtungen und Gebäude werden im Zuge von „Rund um den Siegberg“ energetisch saniert und barrierefrei umgebaut. „Das hat keinen Leuchtturmcharakter, ist aber Grundlagenarbeit, wenn wir diese Bauwerke langfristig erhalten wollen“, sagt Henrik Schumann.
„Die Stadtmauer fiel uns in den Schoß“, sagt der Stadtbaurat über das 1,6 Kilometer lange Gemäuer rund um die Oberstadt, deren vollständige Sanierung als „Mammutprojekt“ einen Großteil des gesamten Städtebauprojekts ausmachen wird: „Die ist so wichtig, das hätten wir sowieso angepackt“. Wie das aussehen kann, zeigt bereits der ehemals verwahrloste Abschnitt am Kölner Tor. Im letzten Schritt soll ein Rundgang oben auf der Mauer entstehen – einmal um die Oberstadt.
Öffentlicher Raum
Die Planer sind mit dem Blick von außen über den Siegberg marschiert. Ergebnis: Siegen ist für Außenstehende nicht einfach. „Man kommt die Kölner Straße hoch bis zur Fißmer-Anlage und denkt: Jetzt ist Schluss“, sagt Schumann. Aber: Jetzt ist Schloss – denn das liegt dahinter, genauso der Siegberghang. Aber das erschließt sich dem Besucher nicht. Die Terrassen und Plateaus rund um Rathaus und Nikolaikirche schirmen den nördlichen Teil der Oberstadt ab.
Für Veranstaltungen, zum Beispiel das Weihnachtsdorf ist die Fißmer-Anlage mit ihren Treppen, Podesten, Baumbeeten auch suboptimal. Dort soll Durchlässigkeit entstehen, der freie Blick an der Nikolaikirche vorbei in die Burgstraße. „Nutzbar statt zerklüftet“, nennt das Schumann, außerdem werden so dunkle Angsträume entschärft. Eine Rolle spielen an dieser Stelle die vier Linden neben dem Gotteshaus, die eigentlich mitten im Weg sind und im Sinne der Platzoptimierung gefällt werden müssten. „Das ist ein Abwägungsprozess“, sagt Schumann und verweist auf die öffentliche Beteiligung: „Wir müssen entscheiden, was uns wichtiger ist.“
Der Schlosspark wird zum Aktivraum und Abenteuerspielplatz. Sonne hin, Bäume weg, viel Wiese, leichte Terrassen in Richtung der ehemaligen Jugendherberge. Der hintere Teil, wohlgemerkt. Die erweiterte Fläche soll als Ventilfunktion für den Wandelgarten das Publikum aufnehmen, das eine Liegewiese oder Sport sucht. Ertüchtigt werden der Musikpavillon mit Bühnentechnik, Lagerflächen, außerdem gibt es neue öffentliche Toiletten.
Die Siegberggärten unterhalb des Parkhauses Hinterstraße – ebenfalls dunkle Angsträume – werden aufgewertet: Geplant ist ein Weg in Querrichtung längs des Hangs, der Baumbestand wird ausgedünnt. Schumann beschreibt das Potenzial des bewaldeten Hangs als „Stadtwildnis mit Abenteuer-Flair“. Alles andere hätte bei diesen steilen Parzellen gewaltige Baumaßnahmen erfordert, ohne nennenswert mehr Nutzen. „Der Hang hat ja jetzt schon einen ökologisch-klimatischen Wert“, sagt er.
Das Weiß-Flick’sche Grundstück gehört streng genommen nicht, wie der Rest der Maßnahmen, zum historischen Stadtkern – „aber dieses Puzzleteil zwischen Unter- und Oberstadt fehlte noch“, sagt der Stadtbaurat, denn dort ist die Innenstadt zuende. Mit dem möglichen Umzug weiterer Fakultäten der Uni in die Stadt könnte dort Aufenthaltsfläche für Hochschulangehörige entstehen. Und wenn die Bürger sich den Park zurückholen, verschwindet, so das Kalkül, die Trinkerszene von ganz allein.
>>>>INFO: Zu 70 Prozent gefördert
16 Millionen Euro der Gesamtkosten sind – Stand heute – förderfähig. Das entspricht 70 Prozent.
7 Millionen – knapp – muss die Stadt Siegen als Eigenanteil aufbringen.
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