Siegen. . Als Straßenhund in Bulgarien hat „Nudel“ Schreckliches erlebt. Heute hilft sie als Therapiehund Menschen mit schweren Depressionen.
Nudel hat mit ihren acht oder neun Jahren schon einiges mitgemacht, sagt Eva Sobiraj. Sie ist Physiotherapeutin der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Kreisklinikum Siegen. Gemeinsam mit Hund Nudel therapiert sie Menschen mit schweren Depressionen. Den bulgarischen Straßenhund hat sie aus dem Tierschutz gerettet, als er etwa drei Jahre alt war. „Sie hat keine guten Erfahrungen mit bestimmten Personen gemacht", sagt Eva Sobiraj. „Ihre linke Seite ist voll mit Schrotkugeln.“
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Dennoch sei Nudel eine freundliche, sehr positiver Hündin. „Sie hat die Hundeschule besucht, hat aber keine bestimmte Ausbildung. Das wäre eher hinderlich für diese Arbeit. Ich habe einfach ausgetestet, ob es klappt“, sagt Sobiraj. Und tatsächlich: Gerade weil Nudel so besonders ist, finden Patienten einen Zugang zu ihr – und Nudel zu ihnen. „Sie hat eine Vorbildfunktion für Patienten.“
Verbindung durch Schicksal
Das wird auch bei der Arbeit mit der 19-jährigen Hannah* (*Anmerkung der Redaktion: Name geändert, Patientin möchte anonym bleiben) deutlich. Eva Sobiraj, Hannah und die Hündin trainieren gemeinsam in einem Gymnastikraum der Psychiatrie. Nudel freut sich sichtlich die junge Frau zu sehen. Die beiden wirken vertraut miteinander, während Hannah Leckerchen versteckt. Eva Sobiraj: „Was macht Nudel jetzt?“ Hannah: „Der Schwanz ist oben, die Ohren auch und sie schnüffelt alles ab.“ – „Und was denken Sie, warum sie das tut?“ – „Sie sucht etwas.“ Die Trainerin erklärt der jungen Frau, dass die Hündin unmittelbar anzeigt, wie sie sich fühlt. Jetzt freut sie sich – über Hannah. Das soll helfen, das negative Selbstbild, das Hannah von sich hat, zu vertreiben. Ihr Gesichtsausdruck verändert sich, sie lächelt. Ein Fortschritt.
Die 19-Jährige hat eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Nudels Anwesenheit gibt ihr Kraft und entspannt sie. „Sie hat halt auch ihr Päckchen zu tragen. Man weiß, dass sie es auch nicht so einfach hatte, das verbindet“, sagt Hannah. Über ihre Krankheit spricht sie nicht gern, beschreibt ihre Symptome aber so: „Ich kriege einen innerlichen Druck. Dann ist die Anspannung so stark, dass man sie wegbekommen will“, sagt sie. Ihr Ventil früher: die Selbstverletzung. Heute kennt sie Dank einer stationären Behandlung und einigen Therapien andere Möglichkeiten, um die Spannung abzubauen – zum Beispiel durchs Laufen oder den Kontakt zum Tier.
Hund als Türöffner
Ähnlich wie Nudel haben viele Patienten von Eva Sobiraj schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht. „Viele Patienten meiden andere Menschen, obwohl es ihnen helfen würde“, so die Therapeutin. Über den Hund bekommen sie einen Zugang, er ist ein Türöffner, so Sobiraj. „Es reicht, dass sie da ist und Sicherheit gibt. Sie reagiert ganz echt und unmittelbar“, sagt die Therapeutin. „Ich lasse Patient und Hund in Kontakt treten.“
Zwei bis dreimal pro Woche findet die tiergestützte Therapie für stationäre Patienten statt. Wichtig dabei ist, dass Nudel sich wohl fühlt. Nur dann kann sie mit ihrer ruhigen Art die Menschen erreichen. Dr. Heiko Ullrich, Chefarzt der Psychiatrie, befürwortet Eva Sobirajs Methode. Dennoch hat sich die Therapeutin an einige Richtlinien zu halten. Denn ein Hund im Klinikum ist nicht selbstverständlich.
Negative Gedanken ausblenden
„Die Übungen sorgen dafür, dass man die Probleme und negative Gedanken ausblenden kann“, sagt Sobiraj. „Mit Nudel geht das einfacher“, weiß Hannah. Sie hat mehrere Therapien gemacht – diese hat sie überzeugt. Zunächst machen Patientin und Hund einige Übungen wie Versteck- und Suchspiele, die Therapeutin erklärt die jeweiligen Situationen.
Im Anschluss geht es darum, gemeinsam runterzukommen. Worte sind dabei nicht zwangsläufig nötig. „In anderen Therapien macht man immer viel mit anderen Menschen. Die Patienten arbeiten an sich selbst und mit anderen“, so die Trainerin. „Mit Nudel geht es um den Moment. Die Erwartungshaltung ist eine andere, der Druck fällt weg.“
Und Nudel? Sie genießt es sichtlich, Zeit mit Hannah zu verbringen. Vor allem, weil die vielen Leckerchen so gut schmecken...
>>>>INFO: Patientin bringt ihre Erfahrungen zu Papier
Eine Patientin, die ebenfalls anonym bleiben möchte, hat ihre Erfahrungen und Gefühle in Bezug auf die Therapie mit Nudel aufgeschrieben:
„Bei meinem ersten Aufeinandertreffen mit Nudel konnte ich seit langem ein Gefühl von Nähe und Wärme wahrnehmen und nach und nach zulassen. Eben das, was ich bei Menschen längst nicht mehr konnte. Nudel – sie war mir eine Therapeutin, die keine Worte brauchte, um mit mir zu kommunizieren. Sie nahm mich so an, wie ich war und gab mir das Gefühl verstanden zu werden – ohne mir eine einzige Frage stellen zu müssen. Ihr treuer und verständnisvoller Blick gab mir, einer verzweifelten Depressiven, ein kleines Fünkchen Hoffnung, was mir half meinen Kampf von einem Tag zum anderen weiterzukämpfen und nicht aufzugeben, egal wie schwer es manchmal war. Wenn es darauf ankommt, reichen 30 Zentimeter, weiches Fell und ein Blick, der voll ins Herz trifft. Ein Blick, der Hoffnung bedeutet, wo ansonsten nur noch Trauer existiert. Ein Blick, der für Leben steht.“
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