Siegen. Das Schauspielhaus Bochum hat auf der Siegener Biennale im Apollo-Theater das Stück „Lampedusa“ präsentiert - inklusive einer Wasserschlacht.

  • „Lampedusa“ ist ein Stück über die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer und über verzweifelte Menschen in Europa
  • Fischer Stefano und Geldeintreiberin Denise erzählen abwechselnd von ihrem Leben
  • Der bunte Kleiderberg gehört zum Bühnenbild: Es sind Sachen der Menschen, die in Lampedusa ertrunken sind

Das Schauspielhaus Bochum gleicht bei seinen Gastspielen im Apollo einer Wundertüte: Man weiß nie, was drin ist. Im Februar „Der Steppenwolf“, völlig misslungen, im März „Tartuffe“ unter der Regie Olaf Kröcks grandios und nun in der Biennale „Lampedusa“, ein Stück über die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer, aber auch über verzweifelte Menschen mitten im reichen Europa.

Ein Mann und eine Frau erzählen abwechselnd aus ihrem Leben. Das einzige, was sie vorläufig verbindet: Sie stehen knöcheltief im Wasser. Vor einem bunten Kleiderberg der Menschen, die auf dem Weg nach Europa in Lampedusa, dieser italienischen Insel dicht vor der Küste Libyens, ertrunken sind.

Die Geldeintreiberin Denise und der Fischer Stefano

Stefano (Michael Kamp) stammt aus einer Familie, die seit Generationen vom Fischfang lebt. Doch das Mittelmeer ist tot. Nun fischt er im Auftrag der Regierung Leichen. Viele der leblosen Körper jagen ihm einen Schauder über den Rücken. Bei anderen meint er, sie mit einem Klaps auf den Arm wecken zu können. Alle sind jung, zwischen 20 und 30 Jahre alt, aber auch viele Kinder sind dabei: „Manche zerfallen wie eine ölige, zerplatzte Mülltüte.“

Denise (Juliane Fisch) ist eine taffe, junge Frau mit chinesisch-britischen Wurzeln. Sie lebt im Norden Englands und finanziert ihr Studium, indem sie bei den Ärmsten der Armen die Schulden für eine Kreditfirma mit Wucherzinsen eintreibt. Denise weiß: Von den zehn ärmsten Regionen Europas gehören neun zu England. Die reichste Region ist die Innenstadt von London. Auch ihre Mutter gehört zum Prekariat ihrer Heimatstadt. Doch in ihrem Beruf ist Denise gnadenlos. Wenn sie an der Tür eines Schuldners klingelt, gibt es kein Entrinnen. Einer sprang mal aus dem Fenster des 3. Stockwerks. Ihr zynisches Postulat: „Wenn du keine Kohle hast, komm ohne aus.“

Beide verbindet jedoch auch eine außergewöhnliche Tat: Stefano rettet die Frau eines malischen Flüchtlings, mit dem er sich angefreundet hat, aus den Fluten des Mittelmeers. Und Denise hilft einem ihrer Kreditopfer und gewinnt ihre Freundschaft. Sie beendet ihren Job als Geldeintreiberin, nimmt ihr Studium auf und staunt: „Warum können Menschen nur so freundlich sein?“

Anstrengend für das Publikum

Autor Anders Lustgarten ist der „Bad Boy“ des englischen Theaters, der sich damit brüstet, schon auf vier Erdteilen im Gefängnis gesessen zu haben. Er hat ein Thema dramatisiert, das in völligem Kontrast zu seinem Namen steht. Die Darstellungen menschlichen Elends tief im Süden und hoch im Norden Europas in abwechselnden Monologen sind für das Publikum anstrengend, zumal die akustische Verständlichkeit der Texte bisweilen zu wünschen übrig lässt. Die Verbindung beider Protagonisten wirkt konstruiert und wird auch nicht glaubwürdiger, wenn sie sich in einer Szene sehr nahekommen. Dass der Theaterabend das Publikum in Maßen fesselt, ist einem spektakulären Bühnenbild zu verdanken: Ein bunter Kleiderberg inmitten einer dunklen Wasserfläche mit schwimmenden Kleidungsstücken. Und zwei Schauspieler, die alles geben. Einschließlich einer Wasserschlacht, deren Auswirkungen bis in die erste Reihe des gut gefüllten Apollos zu spüren sind. Was bleibt angesichts von 90 düsteren, verstörenden Minuten ist vor allem Ratlosigkeit und die Erkenntnis, dass auch dem Theater Grenzen gesetzt sind.