Siegen. . Beim 1. Migranten-Slam während der Siegener Biennale gehen Ironie und Tiefgang Hand in Hand. Und das Motto „Heimat2“? Wird perfekt getroffen!

Die sieben Mitglieder der Publikums-Jury könnten Beiträge beim 1. Siegener Migranten-Slam im Biennale-Zelt auch mit einem einzigen von maximal zehn Punkten bewerten. Moderator Olaf neopan Schwanke rät davon aber ab. Die Hauptakteure des Abends hätten schließlich alle Migrations-Hintergrund, und da sei von miesen Noten besser Abstand zu nehmen – „also: Wenn Ihr keinen Bock auf Attentat nachher habt....“

Ironie ist eines der prägenden Elemente der Veranstaltung. Das genussvolle Schwelgen in Klischees, um ebendiese öffentlich zu demontieren, passt einfach perfekt zum Motto der vierten Siegener Biennale im – und vor dem – Apollo. „Heimat2“ ist das Theater-Festival überschrieben. Die sieben Hauptpersonen des Slams werfen auf das Titelthema den Blick aus der Perspektive von Menschen, deren familiäre Wurzeln ganz oder teilweise außerhalb Deutschlands liegen. Und aus der Sicht derjenigen, die hier sehr wohl ihre Heimat haben, von der Gesellschaft aber zunehmend signalisiert bekommen, dass diese sie umgekehrt gar nicht als Teil dieser Heimat betrachtet.

„Ich kann mir die Beunruhigung nicht erklären, die ich in letzter Zeit in manchen Blicken sehe.“ Aidin Halimi eröffnet das Programm. Sechs Minuten hat jeder Slammer Zeit, die rund 170 Zuschauerinnen und Zuschauer mit seinem Wortbeitrag zu überzeugen. Halimi startet witzig, erzählt von der Dame, die nur aufgrund seines Äußeren zu der Schlussfolgerung kam „Sie sind doch Moslem?“ „Ja, stimmt“, sinniert der Berliner, „noch nie drüber nachgedacht....“ Aber beim Blick in den Spiegel, da habe er selbst auch Angst, scherzt er. Er schwenkt um, wird ernst: „Ich will meinen Bart wachsen lassen, ohne dass die Terrorgefahr steigt.“

„Verbreite Hass, dann bist Du der Schlechte... verbreite Liebe, dann bist Du der Gute.“ Mohamed El-Chartouni, in der lokalen Kunstszene als B.E. der Micathlet eine feste Größe und einziger Siegener Slam-Teilnehmer, bringt es in einer ebenso simplen wie schlüssigen Formel auf den Punkt. Er rappt a cappella, erzählt vom Leid in Krisengebieten, das Menschen auf der Suche nach einem besseren Leben für sich und ihre Kinder nach Deutschland führt. Doch dort sehen nicht alle Leute diese Menschen, wie sie sind – sondern nur das Bild, dass sie sich von diesen Menschen gemacht haben.

„Seine Stimme riecht nach Sprengstoff, er steht jetzt unter Tatverdacht, nur weil er einen Glauben hat.“ Artem Zolotarov kommt aus Mainz, seine Familie aus der Ukraine. Ein afghanischer Freund erklärte ihm in der Jugend den Islam, dass dieser mit Gewalt nichts zu tun habe. Doch die Welt veränderte sich, „als die beiden Türme stürzen“ – und seitdem hat er in Deutschland „jetzt kein Gesicht; nur schwarze Haare“. Mit seinen Gedichten und seiner sehr fokussierten Darbietung schafft es Zolotarov ins Finale.

„Ich kämpfe nicht mit Ängsten, sondern Sprachbarrieren.“ Jessy James LaFleur aus Berlin erhält in der Endrunde sieben Sekunden mehr Applaus als Zolotarov – und gewinnt damit knapp. Sie slammt über Reisen und Begegnungen, über ihre geringe Begeisterung für Duktus und Haltung der Hipster und dreht schließlich voll auf, als sie aus Schlagertext-Versatzstücken irre witzige Herz-gebrochen-Stories zusammensetzt. Die Siegerin des Abends steht fest. Aber sie ist, so pathetisch es klingen mag, nicht die einzige Gewinnerin des Abends: Der Einblick in die vielfältigen Erfahrungen mit Rassismus, die die insgesamt sieben Slammer geben – und sei es auch teilweise noch so witzig verpackt – dürfte bei vielen Zuhörern nachwirken.

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