Siegen. Schüler des Evangelischen Gymnasiums Weidenau und der Fritz-Busch-Musikschule begeistern Publikum mit Inszenierung der Oper von Hans Krasa.

Seit August 2016 haben der Kinder- und Jugendchor der Fritz-Busch-Musikschule Siegen, die Chöre, Gesangsklassen und das Orchester des Evangelischen Gymnasiums Weidenau für die Kinderoper „Brundibár“ geprobt. Die hatte der tschechische Komponist Hans Krasa 1938 geschrieben und mit Kindern des jüdischen Waisenhauses Prag aufgeführt. Als die deutsche Wehrmacht 1939 die Tschechei besetzte, begann auch dort die Verfolgung der Juden. Hans Krasa wurde ins Ghetto Theresienstadt deportiert, konnte dort aber mit den Kindern und Jugendlichen seines Waisenhauses, die auch dorthin verschleppt worden waren, seine Oper über 50 Mal aufführen. Für die Menschen im Ghetto eine kleine Ablenkung von ihrem Elend.

Zwei Toiletten für 100 Menschen

Schüler und Lehrer des Evau und der Musikschule hatten sich in Theresienstadt auf Spurensuche begeben und die Erfahrungen und Entdeckungen in die drei restlos ausverkauften Siegener Aufführungen von „Brundibár“ – die dritte ist am heutigen Freitag – einfließen lassen. Zunächst stellen die jungen Schauspieler und Sänger den Alltag im Ghetto Theresienstadt dar. Szenen bei der Suppenausgabe: Die große Schüssel ist längst leer. Aber noch immer wartet eine große Schlange Hungernder auf Essen. Von Durchfall, Husten und Läusen Geplagte beklagen sich: „Nur zwei Toiletten für 100 Menschen und die sind verstopft.“

Ihren einzigen Trost finden sie in der Musik. Etwa „Ich wand’re durch Theresienstadt. Wann wohl das Leid ein Ende hat?“ Eine einfache, eingängige Melodie, wie viele der Lieder, die noch kommen. Schön und sprachlich präzise gesungen. Überhaupt ist es die Klarheit der Texte, die beeindruckt, sowohl bei den jungen Schauspielern als auch bei den über 100 kleinen und großen Chorsängern.

Zynismus und vorgespielte Idylle

Puristische Beleuchtung bei dunklem Hintergrund, ein einfaches Bühnenbild und eine professionelle Aussteuerung unterstützt deren Leistung. Nichts lenkt ab vom Schicksal der im Ghetto Gefangenen, deren Todesgefahr sich auch akustisch durch das bedrohliche Klappern von Militärstiefeln und Schlagen von Metalltüren mitteilt. Auch hier wieder das kleine Glück durch Musik. Ein Stehgeiger überquert die Bühne und ein Klarinettist spielt mit großer Band das wunderbar swingende „Bei mir bist du schön“. Bittersüß bis makaber-fröhlich.

Für die Nazis fungierte Theresienstadt als „Vorzeige-Ghetto“. Zynisch nannten sie es sogar „Bad Theresienstadt“. Und einmal wurde es wirklich vorgezeigt: Als sich eine Delegation des Roten Kreuzes zu einer Inspektion ankündigte. Wohnräume werden tapeziert, Blumenkästen auf Fensterbänke gestellt. Den Inspektoren soll eine Idylle vorgegaukelt werden. Dazu gehört auch Musik. Ein leicht verruchter Vamp in Netzstrümpfen intoniert: „Für dich, mein Schatz“, die Opern „Carmen“, „Tosca“ und „Die Zauberflöte“ werden aufgeführt. Und „Brundibár“, das den gleichnamigen Leierkastenmann und Kinderhasser beschreibt.

Die Apollo-Bühne wird hell, das Bühnenbild zeigt das bunte Prag. Auch die Kleinsten der Fritz-Busch-Musikschule kommen ins Spiel. Einfallsreich kostümiert, mit fröhlichen Gesichtern und hellen Stimmen stellen sie dar, wie sie den bösen Brundibár durch Zusammenhalt, Geschicklichkeit und List besiegen. Doch in ihrem realen Leben haben die Waisenhaus-Kinder, die im Juni 1944 „Brundibár“ vor den Inspektoren aufführten, das Böse in Gestalt der Nazis nicht besiegen können.

Kinder, die vom Tod nichts ahnen

Sie wurden, wie Hans Krasa, kurze Zeit später in Vernichtungslagern ermordet. Die Nazis hatten aus der Kinderoper einen Propagandafilm gedreht. Nur singende, lachende Kinder sind zu sehen, die von ihrem Tod noch nichts ahnen. Wie schön, dass ganz am Ende dieser großartigen, aufwendigen Apollo-Inszenierung Ausschnitte aus diesem Film gezeigt werden. Den Waisenkindern von Theresienstadt gewidmet. Der Beifall des Publikums kommt stehend und von Herzen: Für die 200 jungen Menschen auf der Bühne, die Musiker im Orchestergraben und die „Macher“ dieser beeindruckenden Kinderoper für Jung und Alt, allen voran Linda Löbbecke.

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