Fahrgastverbände fordern eine zuverlässigere Rothaarbahn. Ein Gutachter soll überprüfen, ob der Fahrplan realistisch ist.
- Fahrgastverbände verlangen Verbesserungen auf der Rothaarbahn von Betzdorf nach Bad Berleburg
- Unabhängiger Gutachter soll Fahrplan überprüfen, Ersatzzug soll in Siegen bereitgehalten werden
- Verspätungen und verpasste Anschlüsse — die ersten Fahrgäste stiegen bereits aufs Auto um.
Siegen-Wittgenstein. 40 kostümierte Närrinnen und Narren sieht Otto Wunderlich am Donnerstagmorgen in Erndtebrück in die Rothaarbahn einsteigen. Tief in der Nacht werden sie, wenn sie wollen, aus Köln zurückkehren können. Den Extra-Zug verdanken sie Hunderten von Schulkindern und Berufspendlern, die wartend auf dem Bahnsteig gefroren haben. Das Strafgeld, das der Zweckverband Personennahverkehr (ZWS) der Hessischen Landesbahn für die Verspätungen auferlegt, ist in Karnevals-Sonderzüge umgesetzt worden.
„Vielleicht laden die die Kinder mal zu einer Sonderfahrt ein“, überlegt Wunderlich. Oder die Schulklasse, deren Klassenfahrt in Erndtebrück statt zu Hause in Bad Berlerburg endete. Oder die Lehrerin, die tagelang zu spät zur Schule kam. Oder den Justizbeamten, der sein Jobticket abgegeben hat. Die Angestellten der Firma, die von ihren Chefs Kredite für den Autokauf bekommen haben, wohl eher nicht. Die sind als Fahrgäste verloren.
Otto Wunderlich ist Fahrgastbeirat und einer der VCD- und Pro-Bahn-Aktiven, die am Weiberfastnachtsvormittag ihre Forderungen für eine zuverlässigere Bahn öffentlich machen. Die Fehler, legen sie dar, liegen im System. „Der Fahrplan kann so gar nicht funktionieren“, glaubt Walter Schindler. Beurteilen soll das aber, so die Forderung, ein unabhängiger Gutachter. Die Ursachen für misslingende Bahnfahrten sehen die Verbände auf der ganzen Strecke.
Köln: Hier hält der Rhein-Sieg-Express (rsx) planmäßig zehn Minuten und bekommt trotzdem erst verspätet Ausfahrt über die Hohenzollernbrücke. Früher abfahren, fordert Otto Wunderlich. Das, so ZWS-Geschäftsführer Günter Padt auf Nachfrage dieser Zeitung, werde den Nachbar-Verkehrsverbünden kaum in den Kram passen: „Die bedanken sich.“ Bleibt das Warten auf den zweispurigen Ausbau der Siegstrecke.
Betzdorf: Aus sechs Minuten Verspätung werden 14, weil die Rothaarbahn nun vorausfährt und überall hält — in der Gegenrichtung dürfen die Züge sich übrigens gelegentlich überholen, einer nimmt dann das Gegengleis. Matthias Tuschoff erzählt, wie der Ausfall einer Rothaarbahn in Betzdorf angekündigt wird. So spät, dass die Fahrgäste den auf dem anderen Gleis gerade noch wartenden rsx nicht mehr erreichen. „Für ein modernes Verkehrssystem ist das nicht tragbar.“ Dass die Linie überhaupt bis hierhin verlängert wurde, hat wirtschaftliche Gründe, weiß Otto Wunderlich: Die „alte“ Rothaarbahn rechnet sich nicht.
Siegen: Da staut sich dann alles, warten muss am Ende auch der Regionalexpress nach Frankfurt, weil sein Gleis blockiert ist. „Wichtig wäre, dass in Siegen ein Reservezug bereitsteht.“ Nicht nur, damit die Fahrgäste pünktlich weiterkommen. Nur in Siegen besteht auch die Möglichkeit, Züge aus dem Betrieb zu nehmen, damit die Toiletten geleert werden können. Weil das an den Endstationen nicht geht, so Günter Linde, „fahren die Züge zum größten Teil mit abgeschlossener Toilette.“
Kreuztal: Wenn die Rothaarbahn aus Hilchenbach zu spät ankommt, muss sie die Regionalbahn aus Hagen vorlassen. Aus sechs Minuten Verspätung werden bis Siegen schließlich 14. Der rsx nach Köln ist dann weg.
Keppel: 30 Schüler steigen nicht in einer Minute ein oder aus — der Fahrplan, so die Verbände, ist zu knapp kalkuliert. Achim Walder berichtet von einem Gespräch mit dem Schulleiter. Der weiß von Eltern aus Erndtebrück, die überlegen, ihre Kinder lieber in Bad Laasphe anzumelden, wegen der zuverlässigeren Bahnverbindung. „Alte Hasen“, so Matthias Tuschoff, wissen, wie sie auf anderen Wegen mit dem Bus wegkommen, um nicht eine Stunde warten zu müssen. Aber auch nur die.
Hilchenbach: Hier treffen sich die Züge — ist der aus Siegen zu spät, muss der aus Erndtebrück warten; die Bahnhöfe in Dahlbruch und Lütze sind auf Zugkreuzungen nicht mehr eingestellt. Ab Sommer sollen die Züge zumindest gleichzeitig in den Bahnhof einfahren dürfen; dafür muss ein Gleisübergang umgebaut und ein Signal versetzt werden. Das spart ein paar Minuten, ebenso die Sicherung des Bahnübergangs in Aue, vor dem der Zug dann nicht mehr anhalten muss.
Erndtebrück: Hier endet so manche Fahrt nach der Schneckenfahrt über ungesicherte Bahnübergänge vorzeitig. Der Zug wendet, weil die Verspätung für die Weiterfahrt bis Bad Berleburg zu groß ist. Der Anschluss nach Bad Laasphe ist verpasst. 25 Euro Zuschuss gibt es tagsüber, 50 Euro nach 19 Uhr für das Taxi, wenn kein Ersatzbus angeboten wird oder der nächste Zug nicht sowieso binnen 20 Minuten kommt. So steht es im Fahrplanbuch. Acht Taxis für 30 Fahrgäste? Leicht zu kriegen sind die in Wittgenstein nicht, weiß Peter Beuter. Und für die Karnevalsgesellschaft vom Morgen wären das noch zu wenig.
>>>>Info: Bis zu 23 Minuten sind immer noch drin
- Pünktlich ist ein Zug, der nicht mehr als drei Minuten Verspätung hat. Offiziell gemessen wird unter anderem die Ankunft in Siegen — an anderen Stationen kann das anders aussehen. Das Spektrum reichte zum Beispiel in der zweiten Februarwoche von bis zu 20 Minuten Verspätung für eine Fahrt in Erndtebrück und Bad Berleburg bis zu 22 Minuten in Betzdorf und bis zu 23 Minuten in Siegen.
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Günter Padt, Geschäftsführer des Zweckverbands Personennahverkehr (ZWS), hat gerechnet: In der zweiten Februarwoche kamen 91 Prozent der Züge auf der Rothaarbahn-Linie pünktlich in Siegen an. Bei insgesamt 951 Verspätungsminuten ergibt das knapp 1,59 Minuten Verspätung je Zug.
- Ein Tiefpunkt wurde in der dritten Januarwoche erreicht: 68 Prozent pünktlich, 2587 Minuten Verspätung, 4,7 Minuten je Zug.
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