Siegen. . Die Siegener Hochschule verzahnt mit dem Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung ZLB Fachdidaktik und Fachwissenschaften.
- Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung verzahnt Theorie und Praxis
- Querstruktur zu den vier Fakultäten mit Prüfungsamt für alle Lehramtsstudenten
- Defizite im Zuge der Bologna-Reform festgestellt – kontinuierliche Nachbesserung
Das Lehramtsstudium hat unter der Bologna-Reform gelitten. Die Umstellung der Studiengänge vom Staatsexamen hin zu Bachelor und Master führte an vielen deutschen Universitäten zu einer Verschulung des Studiums mit geringem Praxisanteil für die angehenden Lehrkräfte. Derzeit findet ein Paradigmenwechsel statt; hin zu mehr Praxis. Die Universität Siegen begegnet dieser Entwicklung mit dem Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung (ZLB): Angehende Lehrer werden praxisnäher ausgebildet.
„Die Ausbildung gerade der Grundschullehrer ist oft zu wenig auf konkrete Probleme der Praxis bezogen“, sagt Prof. Hans Brügelmann, bis 2012 Lehrstuhlinhaber für Grundschulpädagogik und -didaktik im Bereich Erziehungswissenschaft der Universität Siegen. Er fordert: „Lehrer müssen mehr über die Lehrmethoden in der Praxis erfahren.“ Es gebe etwa für den Schriftspracherwerb noch zu wenige – oft gar keine – Seminare in der universitären Lehrerausbildung.
Praxisphasen stärker im Studium verankern
Das ZLB wurde als Querstruktur zu den vier Fakultäten geschaffen. „Lehrerbildung ist eine gesamtuniversitäre Aufgabe“, sagt Prof. Nils Goldschmidt, Direktor der Einrichtung. Die Uni Siegen versteht sich aufgrund des hohen Anteils der angehenden Pädagogen als „Lehramtsuni“.
Ziel des ZLB ist es, Praxisphasen stärker im Studium zu verankern – bereits zu Zeiten des Staatsexamens war es beispielsweise kein Einzelfall, wenn angehende Lehrer erst gegen Ende ihres Studiums erstmals vor einer Klasse standen. „Die Praxisanteile werden ins Studium ‘hereingeholt’“, erklärt Goldschmidt – die Praxisphasen in den Schulen werden während des Semesters vorbereitet, begleitend finden Seminare statt.
Bezug zur Praxis häufig nicht deutlich
„Das theoretische Rüstzeug hat praktische Relevanz“, betont Goldschmidt und diese Erkenntnis spiele eine wichtige Rolle bei der Ausbildung der Lehrkräfte: Zu wissen, warum bestimmte pädagogische und fachliche Inhalte Teil des Studiums sind und an welcher Stelle diese Kenntnisse im Schulalltag von Bedeutung sind.
Das Zentrum für Lehrerbildung und Bildungsforschung
Prof. Nils Goldschmidt ist seit Juni 2015 Direktor des Zentrums für Lehrerbildung und Bildungsforschung mit heute rund 25 Mitarbeitern.
Für sämtliche Lehramtsstudiengänge gibt es ein zentrales Prüfungsamt, sonst Hoheit der Fakultäten und Institute.
Etwa ein Viertel aller Studenten in Siegen sind für ein Lehramtsstudium eingeschrieben.
Die enge Verzahnung von Bildungsforschung, universitärer Ausbildung, Praxisphasen und Evaluation der Ausbildung soll laut jüngstem Senatsbeschluss nun verstärkt umgesetzt werden.
Auch das ein häufiges Problem: Angehende Lehrer klagten über zu theoretische Vermittlung von Wissen, dessen Bezug zu Anwendungen in der Praxis oft nicht deutlich sei. „Das Bewusstsein in der Lehrerschaft dafür, dass die Inhalte des Studiums Relevanz für den Schulalltag haben, ist verbesserungsfähig“, sagt Goldschmidt.
Begleitende Forschung der Fachwissenschaftler
Parallel dazu wird die Organisation von Theorie und Praxis im ZLB von begleitender Forschung der Fachwissenschaftler flankiert, deren Ergebnisse gemeinsam mit den Fakultäten umgesetzt werden. „Kernaufgabe des ZLB ist es“, sagt Goldschmidt, „das Studium so zu verändern, dass die Lehrer das Fach im Griff haben und guten Unterricht machen können.“ Dazu sei es natürlich auch nötig, sich mehr Wissen anzueignen, als später im Unterricht vermittelt werden kann.
Fachdidaktik und Fachwissenschaft werden also noch enger miteinander verschränkt als bisher, mit einer stärkeren Orientierung am späteren Beruf. „Lehramtsstudenten einfach in die Massenvorlesungen des Fachs zu setzen, ist sicherlich die schlechteste aller Möglichkeiten“, sagt der ZLB-Direktor.
>>HINTERGRUND: Der Praxisfall Schreiben nach Gehör
Welcher Lehrer die Methode Schreiben nach Gehör fundiert im Unterricht anwende, dessen Schüler werden auch gute Schreiber, sagt Hans Brügelmann. Es gebe aber eben auch Lehrer, die das nicht tun – „genauso gibt es Lehrer, die mit der klassischen Fibel schlecht umgehen“.
Manche Pädagogen ließen ihre Schüler frei schreiben und gäben keine Rückmeldung – „dabei ist das wichtig“, sagt Brügelmann. „Man muss die korrekte Form zurückspiegeln. Das wird nicht beim ersten Mal zum Erfolg führen“ – aber nur so kann das Kind die richtige Form lernen. Lehrer sollten „den besseren Fehler“ sehen und Lernfortschritte honorieren.
Alle Kinder werden auf ihrem Niveau aktiv
„Lesen und Schreiben fällt grundsätzlich einigen schwerer als anderen“, sagt der Experte – wesentlich sei die Kompetenz der Lehrperson. „Schon bei der Einschulung gibt es Unterschiede von bis zu drei Jahren in den Lese- und Schreiberfahrungen“, sagt er. Aber: „Beim Schreiben nach Gehör können alle auf ihrem Niveau aktiv werden.“ Ein Beispiel: Früher wurde für alle Kinder der gleiche Buchstabe eingeführt – den kannten manche schon, andere nicht. Vorlesen sei dabei eine entscheidende Erfahrung. „Es gibt Kinder“, so Brügelmann, „die haben bei der Einschulung 2000 Stunden Vorleseerfahrung. Andere haben noch nie ein Bilderbuch gesehen.“
„Kinder müssen begreifen, wie Schrift funktioniert, dass sie auf Laute bezogen ist, nicht Bedeutungen abbildet.“ Wenn man etwa drei Hunde zeichne, so Brügelmann, habe man drei Abbildungen – wenn man die Worte schreibe – „drei Hunde“ – habe man zwei Worte für drei Gegenstände. Diese Zeichenlogik von Sprache zu begreifen ist für ein Kind eine große Leistung: „Es reicht nicht, Buchstaben oder Wörter zu lernen“, sagt Brügelmann: „Kinder müssen neu denken lernen“ – unterschiedlich schnell.
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