Siegen. Familie Kremer aus Siegen bietet einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling ein Zuhause. Im Alltag bietet Zusammenleben einige Vorteile.
- Familie Kremer aus Siegen bietet unbegleitetem minderjährigen Flüchtling ein Zuhause
- Seit einem Jahr leben die vier Kremers mit Abdulkarim Abu Abed aus Aleppo in Syrien zusammen
- Während es anfangs noch anstrengend für beide Parteien war, bereichert Abdulkarim die Familie jetzt
Ist ein Bikini eigentlich ein Kleidungsstück? Beim Essen diskutiert Familie Kremer oft mit Abdulkarim Abu Abed. Seit einem Jahr gehört Abdulkarim aus Aleppo in Syrien zu den Kremers. Die nennen ihn scherzhaft ihren „Umf“, ihren unbegleiteten, minderjährigen Flüchtling. Denn als „Umf“ haben die Schwestern Anna und Sara und ihre Eltern Jens und Stefanie Kremer Abdulkarim bei sich aufgenommen.
Vorbereitung
Im November 2015 besuchten die Kremers einen Infoabend des Kreises Siegen-Wittgenstein: „Es ging um grundsätzliche Informationen darüber, wie das ist, einen unbegleiteten, minderjährigen Flüchtling bei sich aufzunehmen“, sagt Stefanie Kremer. „Wir wollten aktiv werden.“ Es folgten drei Schulungstage, immer wieder gab es Gespräche in der Familie „ob wir das auch wirklich machen wollen“, dann wurde ein fünfzigseitiger Fragebogen des Jugendamts ausgefüllt. „Man muss sich das sehr gut überlegen – wir haben vorher auch klar festgelegt, was wir wollen oder eben nicht – und was wir können“, sagt Jens Kremer. Einen traumatisierten Flüchtling oder einen mit Gewaltproblem aufzunehmen, schied zum Beispiel aus. „Wir mussten auch an unsere Kinder denken“, sagt Stefanie Kremer. „Wir sind ja keine Therapeuten.“
Vorstellungen
„Das Jugendamt kam und hat gesagt: ,Entweder du gehst in eine Familie, oder du wohnst allein’“, erinnert sich der heute 18-jährige Abu Abed. „Mir war das egal, Hauptsache weg aus Kredenbach.“ In der Flüchtlingsunterkunft dort war der Syrer für etwa ein Vierteljahr untergebracht. Die Einrichtung sei eigentlich nur eine Übergangslösung und nicht dafür ausgelegt, Flüchtlinge mehr als drei Monate zu beherbergen, so Jens Kremer. „Essen, Trinken und Schlafen“, so habe sein Tag in Kredenbach ausgesehen, sagt Abdulkarim.
Die Mitarbeiter vom Jugendamt fragten auch ihn nach seinen Vorstellungen von einer Pflegefamilie. „Wir haben über Haustiere, Religion und Kinder gesprochen und sie haben mir ein Foto der Familie gezeigt“, sagt der 18-Jährige. „Hauptsache kein Hund und in der Stadt wohnen.“ Familie Kremer wünschte sich, dass ihr neuer Schützling Fahrradfahren kann. „Wir fahren fast nur Fahrrad“, sagt Stefanie Kremer.
Kennenlernen
Nach einem ersten Gespräch – mit Dolmetscher – sollten alle auseinandergehen, mit dem Jugendamt sprechen und entscheiden, ob Abdulkarim Teil der Familie wird. „Gut war, dass zu keinem Zeitpunkt ein Zwang bestand“, betont Stefanie Kremer. Dann gab es einen „Kurzurlaub“ bei der Familie. „Abdulkarim ist dann auch direkt geblieben.“
Anfang
„Das erste, das wir gemacht haben, war Geburtstag zu feiern“, sagt Jens Kremer. In Syrien habe ein Geburtstag keine große Bedeutung: „Wir haben große Familien, wenn man da jeden Geburtstag feiern würde...“, so Abu Abed. Dann richteten die Kremers und Abdulkarim sein Zimmer ein. „Wir haben erstmal gestrichen“, sagt Anna Kremer. Grün sollte es sein. Der 18-Jährige bewohnt eine eigene kleine Etage.
„Anfangs war das schon sehr anstrengend“, sagt Stefanie Kremer. „Abdulkarim hatte hier erst keine Aufgaben.“ Die Kinder seien in die Schule gegangen, sie selbst und ihr Mann seien berufstätig – Abdulkarim habe zunächst viel allein im Haus bleiben müssen. Er habe zwar im Haushalt geholfen, gekocht oder eingekauft, „aber das füllt keinen ganzen Tag“.
Erst nach und nach hätten sich Beschäftigungsmöglichkeiten ergeben – durch Kontakte, Bekannte und „ein gutes Netzwerk“. So habe Abdulkarim teilweise im ersten Schuljahr an der Lindenberggrundschule mitgemacht und mit Bildchen die Sprache gelernt. „Man braucht manchmal viel Geduld, wenn man über ein ganzes Essen versucht, ein Wort zu erklären“, sagt Tochter Anna.
Heute
„Die Familie hat mich ermutigt. Ich wollte etwas tun, hatte aber lange keinen, der mir ein Buch gegeben hat und gesagt hat: ,lern Deutsch, such dir eine Ausbildung’“, sagt Abdulkarim. „Es ging erst weiter, als ich zu Familie Kremer kam.“ Mittlerweise hat er das Sprachniveau A2 erreicht. An der Uni besucht er jetzt einen weiteren Sprachkurs. „Nach einem Jahr die Sprache so gut zu können: Da gehört schon einiges an Auffassungsgabe dazu“, betont Stefanie Kremer.
Ab dem 1. September imacht Abdulkarim eine Ausbildung zum Mechatroniker. Motivation sei der Schlüssel zum Erfolg, so Abdulkarim: „Wenn man etwas möchte, dann macht man das auch.
>>>>Zwei Kulturen unter einem Dach
Abdulkarim habe ihr die Möglichkeit gegeben, das, was in Syrien passiert aus einer neuen Perspektive zu betrachten, so Anna Kremer: „So ist es viel näher dran.“ Er vermittle der Familie neue Einsichten in andere Kulturen und Denkweisen. „Meinen Blick hat das schon geweitet“, betont auch Stefanie Kremer. „Zum Beispiel dahingehend, wie man Ramadan erlebt.“ „Wir haben auch eine Whatsappgruppe mit der Familie von Abdulkarim“, sagt Anna Kremer. „Die Mutter war letztens ganz neidisch auf unseren Schnee.“
Auch im Alltag bietet das Zusammenleben einige Vorteile, denn Abdulkarim ist ein guter Koch. Hummus, arabisches Fladenbrot oder Tabouleh stehen manchmal auf dem Speiseplan.
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