Siegen. . Tatjana Ebener-Scharnbergs Tochter kommt tot zur Welt. Die heute 45-Jährige erzählt von der Trauerarbeit und verbalen Ohrfeigen aus dem Umfeld.
- Tatjana Ebener-Scharnbergs Tochter kommt tot zur Welt
- Die heute 45-Jährige erzählt von der Trauerarbeit und verbalen Ohrfeigen aus dem Umfeld
- Seit 16 Jahren leitet die trauernde Mutter eine Selbsthilfegruppe
- Tatjana Ebener-Scharnbergs Tochter kommt tot zur Welt
- Die heute 45-Jährige erzählt von der Trauerarbeit und verbalen Ohrfeigen aus dem Umfeld
- Seit 16 Jahren leitet die trauernde Mutter eine Selbsthilfegruppe
„Mädchen, was weinst Du denn? Du hast doch ein schönes Ereignis vor dir“, sagte ein älterer Herr mit Blick auf den runden Schwangerschaftsbauch. Tatjana Ebener-Scharnberg hatte vor wenigen Minuten erfahren, dass ihr Kind tot ist. Gestorben in ihrem Bauch, fünf Tage vor dem errechneten Termin.
Es ist ein eiskalter Winterabend in Siegen. Der Raum in der Siegerlandhalle wirkt karg, graue Stühle, graues Linoleum, graue Vorhänge. Die Heizung brummt. Tatjana Ebener-Scharnberg (45) und Angela Werres (55) breiten ein Organzatuch in Regenbogenfarben in die Mitte des Zimmers aus. Die Freundinnen leiten den Gesprächskreis für verwaiste Eltern. Die Stunde beginnt gleich. „Meine Tochter heißt Maja“, sagt Tatjana Ebener-Scharnberg (45). Sie drückt dabei ihr Kreuz durch und lächelt. So wie sie es immer tut, wenn sie den Namen ihrer Tochter sagen darf. Für sie ist das ein Zeichen dafür, dass sie nicht vergessen wird. Dass Maja da war.
1. September 1998. Eigentlich wollte Tatjana Ebener-Scharnberg nach der Routineuntersuchung beim Gynäkologen mit ihrer Mutter die Kinderzimmermöbel kaufen. Der Gynäkologe sagte, dass ungewöhnlich viel Fruchtwasser in ihrer Gebärmutter sei, sie müsse das sofort im Krankenhaus abklären lassen. Später in der Klinik ging alles sehr schnell. „Ich hörte nur den langgezogenen Piepton und sah die weiße Linie auf dem Bildschirm. Da wusste ich, dass das Herz nicht mehr schlägt.“ Die Obduktion ergab später, dass das Majas Herz nicht richtig ausgebildet war, Organe massiv geschädigt und Luft- und Speiseröhre miteinander verwachsen waren. Der Arzt erklärte ihr, dass sie das Kind auf natürlichem Weg bekommen müsse.
Im Gruppenraum. Tatjana Ebener-Scharnberg zündet Teelichter an und plaziert sie auf dem bunten Tuch. Dann setzt sie sich auf einen der grauen Stühle. „Ein Kindergartenkind hat mich damals aus meiner Trauer geholt“, sagt Ebener-Scharnberg, sie arbeitet als Erzieherin. Das Mädchen, damals fünf Jahre alt, rief ein paar Wochen nach der Totgeburt an und fragte, wann Frau Ebener-Scharnberg wieder in den Kindergarten komme und ob sie das Baby mitbringe. „Sie stellte so viele Fragen nacheinander.“ Unter anderem, dass sie noch 50 Mark von ihrem Geburtstag übrig habe, und ob das für den Sarg reiche? „Ihr kindlicher Optimismus überrumpelte mich.“
5. September 1998. Tatjana Ebener-Scharnberg verkrampfte auf dem Untersuchungsstuhl. Sie bat den Chefarzt kurz zu warten. Er tätschelte ihren Oberschenkel und sagte: „Mädchen, stell’ dich mal nicht so an.“ Die damals 27-Jährige schrie vor Wut. Der Arzt verweigerte ihr schließlich die Behandlung. Es dauerte lang, bis die Wehen einsetzten. Es kam zu Komplikationen, sie vertrug die hohe Dosis des wehenfördernden Mittels nicht. Ihr Leben stand auf der Kippe. Doch sie überlebte die Nacht.
Zurück in der Gegenwart: „Die verbalen Ohrfeigen sind das Schlimmste“, sagt Tatjana Ebener-Scharnberg. Ihre Freundin Angela nickt. Zu oft sagen die Leute unbedachte Worte. „Du bist doch noch jung“, „Wer weiß, wofür es gut war“, „Du hast doch noch andere Kinder.“ Die Sätze schmerzen. „Wer nach so einem Verlust helfen möchte, sollte sich regelmäßig melden oder vorbeifahren. Hören, was los ist“, sagt Angela Werres, auch sie ist eine trauernde Mutter. Oft würden Frauen aber erst gar nichts erzählen. Sie verschweigen ihre Fehlgeburten aus Scham, obwohl fast jede zweite Frau in ihrem Leben davon betroffen ist, so Werres.
6. September 1998. Maja kam an einem Sonntag zur Welt. „Mein Mann nahm die Kleine in die Arme, wusch sie, zog sie an“, erzählt Tatjana Scharnberg-Ebener. „Schau, wie goldig unsere Tochter ist“, sagte er. Den Geruch der Kleinen hat er heute noch in der Nase. Über seine Trauer sprach er erst spät mit seiner Frau. „Er wollte vor mir immer der Starke sein. Gleichzeitig dachte ich: Warum geht ihm das nicht zu Herzen?“ Dankbar ist sie für die Ansage ihrer Hebamme. Die sagte damals im Befehlston zu ihr: „Du wirst das Kind bekommen, Du wirst es anfassen, dich verabschieden und Fotos machen.“ Sonst würde ihr heute noch mehr fehlen.