Siegen. Lese-Aufführungen sind gefragt, besonders dann, wenn sich bei den Rezitatoren Mimosenhaftigkeit mit großen Posen und sardonischer Finesse paart. ...

Mit rauer Stimme verbiss sich Ben Becker in Balladenklassiker von Goethe bis Fontane. Foto: Helmut Blecher
Mit rauer Stimme verbiss sich Ben Becker in Balladenklassiker von Goethe bis Fontane. Foto: Helmut Blecher © WP

... Der Schauspieler, Selbstdarsteller und Exzessen nicht abgeneigte Ben Becker, lockte am Dienstagabend mit seiner Literatur-Performance "Der Ewige Brunnen" viele Lyrikfreunde in den Gläsersaal, um nebenbei auch etwas von der Exzentrik eines Klaus Kinski geboten zu bekommen.

Ben Becker, am Piano begleitet von seinem langjährigen Freund Yoyo Röhm, zeigte große stimmliche Präsenz und ganzen körperlichen Einsatz, um der mit Verve und Leidenschaft vorgetragenen Dichtkunst von Goethe bis Ringelnatz voll gerecht zu werden. Den guten Eindruck, den er dabei über lange Strecken hinterließ, versemmelte er zu guter Letzt, als er weinselig Publikumswünsche in flapsiger Manier abbügelte und Christian Morgensterns groteskes Gedicht "Der Gaul" höchst albern fand.

Erlkönig und Heideknabe Dabei begann die Lesung aus der Sammlung deutscher Balladenkunst höchst dramatisch, als Becker mit dem "Erlkönig" und "Der Heideknabe" von Diedrich Hebbel tief in die mörderischen Abgründe der deutschen Dichtkunst hinabstieg. Mit den Händen gestikulierend, die Augen rollten und mit rauer und sonorer Stimme fauchte und heulte, zitterte und bebte er, und das Piano rollte dazu mit wildem Tremolo.

Der Rezitator gab alles, um mit seiner Vortragskunst Herz und Gemüt seiner Zuhörerschar zu erobern. Zwischendurch erinnerte er sich an eine alte Tradition aus seinem Elternhaus, als man zu Weihnachten Freunde und Künstler einlud, um zu feiern, zu musizieren oder Texte vorzutragen. Ziehvater Otto Sander sowie Schauspielerfreund Bruno Ganz wurden zwischen "John Maynard" und "Nis Randers" mit Bonmots bedacht, während sich Ben Becker mit rotem Rebensaft in Stimmung brachte.

Mit einem Lied für Rio Reiser sowie einem Gedicht für Ulrike Meinhof stieg Becker aus dem "Ewigen Brunnen" in die Zeitgeschichte ein, die im Publikum für etwas Irritation sorgte. Doch dem "Zauberlehrling" der Vortragskunst verzog man den einen oder anderen Ausrutscher. Als er Heinrich Heines "Ich weiß nicht, was soll es bedeuten" vortrug, war alles wieder im Lot, wenn da nicht der alberne Abschluss eines ansonsten gelungenen Abends gewesen wäre.