Siegen. . 2013 wurde die Tochter von Charlotte Uceda Camacho in Siegen erstochen. Jetzt klagt die 55-Jährige auf Schmerzensgeld und tritt dem Täter erneut gegenüber.

LORÉN steht in Krakelbuchstaben auf dem pinkfarbenen Ranzen. Weil Kinder Dinge markieren, die sie lieb haben. Ihren Scout mochte Lorén Uceda Camacho besonders gern. Deshalb wurde der Ranzen nie aussortiert, sondern auf dem Dachboden verwahrt. Mittlerweile lagert er neben Puppen und Spielzeug in einem Regal aus dem Baumarkt im Keller. „Mit den bunten Sachen wollten wir dem Zimmer den Schrecken nehmen“, sagt Charlotte Uceda Camacho (55).

Rückblende: Feuerwehrleute trugen am Morgen des 10. Mai 2013 Loréns leblosen Körper aus diesem Zimmer. Sie war damals 25 Jahre alt. Aus Eifersucht hatte ihr Ex-Freund sie mit einem Schwert erstochen. Um die Tat zu vertuschen, legte er ein Feuer.

Das Siegener Landgericht verurteilte den Täter im Herbst 2013 wegen Totschlags zu elf Jahren Haft. Für Richter und Staatsanwaltschaft waren die Mordmerkmale nicht erfüllt. Charlotte Uceda Camacho kann das bis heut nicht verstehen. Sie verklagt den Täter auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Streitwert: 106 000 Euro. Die Mutter kämpft für Gerechtigkeit. „Der Mörder meiner Tochter soll nicht einfach so davon kommen.“ Bei guter Führung könnte er in knapp vier Jahren wieder frei sein. „Wir haben lebenslänglich.“

Montag, 10 Uhr: Schnee und Regen fallen abwechselnd vom Himmel. Das Haus der

Lorén Uceda Camacho wurde 2013 von ihrem Ex-Freund in ihrem Elternhaus mit einem Schwert erstochen.
Lorén Uceda Camacho wurde 2013 von ihrem Ex-Freund in ihrem Elternhaus mit einem Schwert erstochen. © Lars Heidrich

Familie steht im Ortsteil Buchen. Ein Hahn kräht. Hinterm Haus stapfen Schafe über eine Wiese. Im Beet wächst das Wintergemüse. Grünkohl, Kohlrabi, Salat... Das Wohnzimmer strahlt Wärme aus. Landhausmöbel, Ken-Follett-Romane im Regal, ein Kuschelsofa, Engel aus Ton, Souvenirs aus Mallorca, eine flackernde Kerze auf dem Sideboard. Vor Charlotte Uceda Camacho dampft eine Tasse Kaffee.

Trauer hat sich tief in ihr Gesicht gegraben. „Bei uns wird nicht mehr gelacht. Das Haus ist still“, sagt die 55-Jährige. „Meine Freude ist die der anderen. Eine eigene empfinde ich nicht mehr.“

Ihre Worte schmerzen. Am liebsten möchte man für diese kleine Frau in der weißen Bluse, die Zeit zurückdrehen. Zurück zu dem Moment, als Lorén den französischen Stinkekäse von der Arbeit mitbrachte und die Küche in feinsten Fußgeruch tauchte. Oder zu dem Moment, als die Achtjährige mit ihrer Schwester Jana und einer Freundin vor der Tür stand. Alle drei komplett verdreckt und glücklich: „Mama, wir haben Kuhfladenwettspringen gemacht.“ Oder zu dem Moment, als Lorén ihren Mörder traf.

„Es gibt zwei Sorten Menschen – die Guten und die Bösen“, sagt Charlotte Uceda Camacho. Mit ihrer Familie lebte sie bis zu jenem Mai im Jahr 2013 ein normales Leben. Liebe, Wertschätzung, Ehrlichkeit, Fleiß, Dankbarkeit – diese Werte steckte sie ihren Töchtern in den Lebensrucksack. „Das Vertrauen in die Menschen ist schwer erschüttert.“ Auf der einen Seite die Nachbarn, die Rouladen und Kartoffeln brachten, Freunde, die Briefe auf Loréns Grab legen – und auf der anderen Seite ein Mann, der mit einem Schwert auf ihre Tochter einstach.

„Führe mich nicht in Versuchung“ heißt es im Vaterunser. „Ja, ich hatte Rachegedanken. Aber ich habe mich dafür entschieden, ein Leben zu führen, für das ich mich vor Gott nicht schämen muss. Denn du hast die Wahl, zu wem du gehören möchtest. Zu den Guten oder zu den Schlechten.“

Rückblende: „Lorén redete immer laut.“ Das spanische Temperament des Vaters. Sie arbeitete als Automobilkauffrau bei Mercedes. Wenn sie heim kam, streifte sie die Pumps im Zimmer ab und warf sich aufs Sofa. Sie vergaß nie einen Geburtstag. „Vor ihrem Tod habe ich ihr noch gesagt, dass ich sie um ihre Durchsetzungskraft beneide“, erzählt die Mutter. Lorén hatte geantwortet: „Mama, du darfst nicht aufgeben. Nicht aufgeben.“

Genau das tut die 55-Jährige. Sie steht auf, kocht, geht zur Arbeit, putzt das Haus. „Manchmal schaffe ich auch das nicht.“ In ihren Händen hält sie ein Bild, auf dem eine hübsche Frau mit Brille, braunen Haaren und vollen Lippen in die Kamera lächelt. „Manchmal habe ich Angst, dass die Menschen Lorén vergessen.“