Siegen-Wittgenstein. . Heiko Becker aus Kreuztal soll 2017 in den Bundestag einziehen. Der SPD-Parteikonvent schickt ihn als Nachfolger von Willi Brase in den Wahlkampf.
- 33-jähriger Kreuztaler soll das Mandat von Willi Brase übernehmen
- Parteikonvent: Knappe Mehrheit bereits im ersten Wahlgang
- Tim Bernshausen und Silke van Doorn unterliegen
Heiko Becker aus Kreuztal ist neuer Bundestagskandidat der Siegen-Wittgensteiner SPD. Der Mitgliederkonvent in der Weidenauer Bismarckhalle nominierte ihn am Samstagmittag mit knapper absoluter Mehrheit bereits im ersten Wahlgang.
Das Ergebnis
Auf Becker entfielen 161 von 318 gültigen Stimmen. Für die Siegenerin Silke van Doorn stimmten 130 Parteimitglieder, für den Hilchenbacher Tim Bernshausen 26. Damit wird die SPD, wenn das Ergebnis der Bundestagswahl es zulässt, weiterhin von einem Kreuztaler in Berlin vertreten — Willi Brase, der nach fünf Legislaturperioden nicht mehr antritt, wohnt in Littfeld. Heiko Becker, Mitarbeiter der SPD-Bundestagsabgeordneten Petra Crone, Kreistagsmitglied und früherer Fraktionschef im Erndtebrücker Gemeinderat, hatte seine Bewerbung als Erster angemeldet; die Stadt- und Ortsverbände Kreuztal, Netphen und Erndtebrück hatten sich frühzeitig für den 33-Jährigen entschieden.
Der Konvent
323 von 1628 Parteimitgliedern hatten sich auf den Weg in die Bismarckhalle gemacht – eine Beteiligung, die um ein Drittel höher lag als beim letzten Konvent, der über die Kandidaturen für die Landtagswahl 2010 entschieden hatte, „Das hatten wir als Vorstand nicht erwartet“, sagte Unterbezirksvorsitzender Willi Brase, der sich in seiner Begrüßung über die starke Beteiligung freute und am Schluss dazu aufrief, „wie 1998“ für einen Wahlsieg zu kämpfen. Damals errang Brase sein erstes Mandat. Und Gerhard Schröder (SPD) wurde Bundeskanzler.
Überhaupt: Es fehlt nicht an großen Namen, die an diesem Vormittag am Rednerpult zitiert werden. Willy Brandt wird mehrmals genannt — von Willi Brase, als er der Landtagsabgeordneten Tanja Wagener zum Geburtstag gratuliert und er sich dabei an den eigenen Geburtstag erinnert, den er bei einer Friedenskundgebung im Bonner Hofgarten verbracht hat, vor 33 Jahren. „Mehr Demokratie wagen“, ist die Anleihe, die Heiko Becker und Tim Bernshausen bei Willy Brandt nehmen, der seine Kanzlerschaft unter dieses Motto stellte. Silke van Doorn greift auf ein Leitmotiv von Clara Zetkin zurück, auf Willy Brandts Kniefall in Warschau. Und, da spricht dann die Pfarrerin, auf den Reformator: „Hier stehe ich“, setzt sie an wie Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms, „mit zitterndem Herzen und festem Mut.“
Die Kandidaten
Die SPD-Mitglieder erleben eine knappe Dreiviertelstunde lang drei grundverschiedene Charaktere und Bewerbungsreden. Heiko Becker fängt an — er trägt als einziger die rote Krawatte, die den SPD-Profi erkennbar macht. Spricht über die Grundwerte der SPD. Spricht, wie die anderen gleich auch, über die, um die sich diese Partei besonders kümmern will: Kinder, Alleinerziehende, Rentner. Fügt das Bekenntnis zur Steuergerechtigkeit und für eine Bürgerversicherung, zur Route 57, zu zukunftsfähigen Internetverbindungen und zu auskömmlicher Finanzierung der Kommunen ein. „Kämpft mit mir gemeinsam um die Stimmen der Menschen in Siegen-Wittgenstein“, bittet Becker am Schluss. Die Marken für den Zwischenapplaus sind planvoll gesetzt. Und so, wie der Applaus kommt, wird direkt am Beginn des Konvents klar: Klatschen hinten und an den Flügeln, während sich im Block des Siegener Stadtverbands kaum eine Hand rührt.
Tim Bernshausen, ehemaliger Hilchenbacher Stadtverordneter, Mitarbeiter im Bundesfamilienministerium, ist als Außenseiter in dieses Rennen gegangen. Und der wird er am Schluss auch bleiben — wenngleich seine Rede sich anders anhört. Wenn er davon spricht, was ihn, den 35-Jährigen, in die SPD geführt hat: „Das Gefühl, dass es mehr gibt als uns selbst.“ Wenn er an das Vermächtnis von Otto Wels erinnert, der 1933 Nein zum Ermächtigungsgesetz für Hitler gesagt hat. Wenn er den „Schlussstrich“ unter die Auseinandersetzung über die Agenda 21 fordert: „Wenn wir Haltung bewahren, gewinnen wir das Wichtigste zurück: Vertrauen.“ Tim Bernshausen fragt: „Seid ihr bereit für diesen Neuanfang? Ich bin bereit, kräftig aufs Gaspedal zu treten.“
Silke van Doorn ist die Bewerberin, die von einer großen Gruppe als Favoritin gesehen wurde: die Frau, die aus Bochum stammt, auch selbst bei Opel am Band stand, die seit 18 in der SPD ist. Die Seiteneinsteigerin, was die politische Karriere angeht. Die sich, als einzige, wiederholt auf Willi Brase bezieht, in dessen Nachfolge sie sich sehen will. Die 50-Jährige spricht in Bildern. Von den neuen Brücken, die sie schlagen will. Zwischen Berlin und Siegen-Wittgenstein. Zwischen Einheimischen und Zugewanderten. Die „Brücke des Friedens“ zwischen den Nationen, weil es ohne Frieden keine Freiheit gibt. Und ganz im Wortsinn auf den Straßen, wo die in die Jahre gekommenen Betonbauwerke bröckeln. Silke van Doorn macht ihren Beruf als Pfarrerin nicht zum Thema. Der Beifall, ganz oft zwischendurch und am Schluss, macht aber deutlich: Sie erreicht die Herzen des Konvents. Doch die Abstimmung haben die Köpfe entschieden. Nicht erst am Samstagmittag.
Kommentar: Ganz schön alt
D ie Siegen-Wittgensteiner SPD entscheidet sich für Vertrautes: das Bekenntnis zu ihren Grundwerten, die Hinwendung zu denen, die immer Gefahr laufen, an den Rand gedrängt zu werden. Heiko Becker steht dafür — nicht minder aber auch Tim Bernshausen und Silke van Doorn, die sich vor allem in Auftritt und Rhetorik von dem nun gekürten Kandidaten unterscheiden. Bernshausen propagiert den „Neuanfang“, Silke van Doorn findet es an der „Zeit, dass sich was dreht“.
Keine(r) von den Dreien widerspricht den anderen, was Inhalte und Ziele angeht. Das Votum für den Bewerber, der die Politik bereits zum Beruf gemacht hat, und gegen die weniger pragmatischen Seiteneinsteiger überrascht nur wenig. Zumal es Becker offensichtlich gelungen ist, sich eine Hausmacht aufzubauen — und die Stadtverbände im Umland wenig Neigung zeigen, ihren Genossen im Oberzentrum das Feld zu überlassen.
Trotzdem, sie sieht ein bisschen alt aus, die SPD mit ihrem jungen Kandidaten. Von ihm, der locker bis 2050 wird Politik gestalten können, hätte man gern mehr gehört: Wie soll sie eigentlich aussehen, die Zukunft der heute noch jungen Generation im sich entvölkernden Kreis Siegen-Wittgenstein? Wie lebt sie, wovon und mit wem? Und wer soll diese Fragen eigentlich stellen — wenn nicht die, die jetzt Verantwortung übernehmen wollen?
In keiner der Bewerbungsreden war das Thema. Dass das niemand vermisst hat, dass der Konvent sich mit den großen Schleifen zu Modernität und Globalisierung zufrieden gab — das stimmt nachdenklich. Ob Heiko Becker da noch nachlegt?