Siegen. . Fünf Bühnen, fünfzig Stunden Programm, 130.000 Besucher an drei Tagen: Siegen wird zur Feiermeile.
- Stadt feiert den Fluss rund um die Uhr
- Live-Musik und Aktionen für Kinder
- Studenten tanzen zm Campus Unteres Schloss
Wenn die Bürger eine Entschädigung für die jahrelange Baustelle in der Stadtmitte verdient haben, dann haben sie genau das bekommen: Die Stadt feiert den Fluss, der ihr den Namen gab und der Fluss scheint dem manchmal etwas sauertöpfischen Siegener eine fast schon rheinisch anmutende gute Laune (zurück)gegeben zu haben. Und dann wird rund um die Uhr gefeiert:
11.00 Uhr: Die ersten Familien flanieren durch die Stadt. Das Wetter passt an diesem Tag: Die Sonne lugt schon durch die Wolken. Die Band Rooftop eröffnet ihr Programm. Sie covern Rock- und Pophits der vergangenen 40 Jahre auf der Bühne an der Bahnhofstraße. Gert Schorrieß aus Siegen gefällt, was er an den neuen Ufern sieht: „Es wurde auch höchste Zeit“, sagt der 70-Jährige: „Sonst wäre Siegen untergegangen.“
11.55: „Ein bisschen Sand am Ufer wäre noch schön“, meint Jessica Pfeffer (31). Ihre drei Kinder Noah, Charlotte und Emma basteln am Stand der AWO und lassen sich schminken. Andere Besucher kaufen noch ein „Krönchen-Bötchen“ für die Aktion der AWO, die gleich beginnt. Zu gewinnen gibt es Eigenprodukte aus der Werkstatt.
12.07: Der Startschuss! Angelo Santoro von der AWO lässt die Bötchen ins Wasser. Die meisten bleiben zunächst am Ufer in den Steinen hängen, zwei aber schippern recht zügig Richtung Ziel. Eltern und Kinder verfolgen das Rennen mit Spannung. Die ersten Gewinner freuen sich über ihre Preise.
12.15: Die Maus ist da, um Lach- und Sachgeschichten zu erzählen. Dann betritt Shaun das Schaf die Bühne. Für beide gibt es Kekse. Shaun schnappt sich den Eimer, isst alle alleine auf. Das Schaf muss die Kalorien abtrainieren – mit Stopptanz. In zwei Varianten: mit zu schnell und zu langsam gespielter Musik. Die Kinder tanzen ausgelassen mit. Vor der Bühne ist viel los. Immer mehr Menschen strömen zum Fest.
12.37: Bürgermeister Steffen Mues und Kreiskulturreferent Wolfgang Suttner kommen zum Interview auf die Bühne an der Bahnhofstraße. „Ich bin richtig happy!“, sagt Mues. Viele Mails von Bürgern habe er erhalten. Und diese lobten die neuen Ufer ausdrücklich. Das bedeute schon etwas: „Denn Siegerländer loben nicht so gerne“, sagt Mues. „Wenn sie sagen ‘Das ist nicht schlecht’, dann ist es schon top.“ Suttner scherzt: „Ich glaube, der Bürgermeister muss jeden Morgen Wasser in die Sieg kippen.“ Suttner blickt zurück auf den Oktober 1986, als er sich als damaliger Vorsitzender des Siegener Kunstvereins Ärger einhandelte, weil er maßgeblich für die Aktion „durchgehend – Künstler verändern die Stadt“ verantwortlich war. Weiten Teilen der Bevölkerung gefiel sie nicht. Aber die Idee der freigelegten Sieg wurde Wirklichkeit. „Die Menschen haben begriffen: Fluss ist Leben“, sagt Suttner. In den Köpfen habe sich etwas bewegt, sagt Mues.
12.54: Szenenwechsel: Rauf in die Oberstadt. Auch auf dem Marktplatz steht eine Bühne. Hier ist der TV Jahn Siegen mit einem Stand vertreten: zwei Fechter liefern sich ein Duell. Einige Mädchen und Jungen meistern den kleinen Parcours, den der Turnbezirk Siegerland-Süd aufgebaut hat. Alexander und Bastian, beide sieben Jahre alt, balancieren über den Holzbalken. Ihre Mutter Irina Simon (40) aus Dreis-Tiefenbach sagt über die neuen Ufer: „Es ist schön geworden!“
14.33: Auch Hanjo Seißler ist auf dem Fest. Jener Journalist, der 1996 im Magazin der Süddeutschen Zeitung schrieb: „Was ist schlimmer als verlieren: Siegen!“ Er sei damals „entsetzt“ gewesen, als er die Betonplatte sah, sagt Seißler. Und wie es ihm jetzt in der Stadt gefällt? Seißler lässt sich auf der Bühne nicht gerade zu Jubelschreien hinreißen. „Ich komme jetzt wohl auch mal Siegen, nicht nur um das Grab meiner Großeltern zu sehen.“ Ein Loblied mag er nach wie vor nicht anstimmen. Im Gegenteil: Er watscht Siegen erneut ab, Land, Leute, Politik. Kommt beim Publikum nicht gut an.
15.12: Die LED-Wand an der Fassade gegenüber der Treppenanlage ist ein Hingucker. Ein Video zeigt den Abriss der Siegplatte im Zeitraffer. Dann erscheinen Live-Bilder einer Drohne, die den Fluss und das große Fest zeigen. „Diese Wand ist schon nicht schlecht“, sagt Frank Mühlnikel (42) aus Siegen.
15.33: Die kleine Greta sucht Fische in der Sieg. „Ich habe schon welche gesehen“, ruft die 6-Jährige. Ihre Schwester Lotta (4) steht etwas besorgt auf den Siegstufen. „Ich habe Angst, dass Greta da runter fließt“, sagt sie und zeigt mit dem Finger nach rechts, obwohl weder Wasserpegel- noch -strömung eine ernsthafte Gefahr darstellen können. „Aber es ist ja völlig richtig, dass sie aufpasst“, sagt ihre Mutter Maren Möller-Klein (35) aus Burbach und lächelt. Sie schwärmt von dem Fest: „Eine tolle Atmosphäre, es sind sehr viele Menschen da.“ Kleiner Kritikpunkt: „Ich finde es etwas unübersichtlich.“
16.42: „Der hat Mundgeruch“, stellt Nina fest. Gemeint ist der Schafbock von Schäfer Armin Küthe. Zum Dank zerkaut der Bock seelenruhig Ninas Schuh.
19.35: Die Fabulous Music Factory begeistert das Publikum. Sie bringen Stars der vergangenen fünf Dekaden zurück auf die Bühne: zum Beispiel Elvis Presley, Michael Jackson und Falco. Wer über das Fest laufen will, muss sich Zeit nehmen. Zehntausende Besucher feiern zusammen. Man kommt voran. Aber langsam. Noch langsamer geht es am Bierstand. Aber nur zwischen 19 und 21 Uhr.
21.05: Studenten tanzen zu elektronischer Musik am Campus Unteres Schloss. Titel des Open-Air-Festivals: „Willer Watz“. Die bunt beleuchtete Fassade des Gebäudes verleiht der Veranstaltung ein besonderes Flair.
22.33: Vor dem Apollo-Theater ist kein Platz mehr frei. Die diesjährigen Absolventen der Staatlichen Artistenschule Berlin präsentieren ihre Show: „Initial“. Die Zuschauer sehen junge Menschen, die faszinierende Akobatik bieten. Immer wieder gibt es langen Applaus für große Körperkunst vor dem Apollo.
2.12: Das Programm ist seit drei Stunden beendet, die Gastronomie seit zwei Stunden geschlossen. Die Reinigungstrupps beginnen mit ihrer Arbeit. Morgens um 6 ist die Stadt wieder picobello sauber.