Siegen. . Siegens Bürgermeister Steffen Mues über den politischen Herbst 2016, warum es kein Spaßbad geben wird und warum Siegen nicht mehr der Inbegriff einer hässlichen Stadt ist.

  • Steffen Mues im Sommerinterview der Lokalredaktion Siegen
  • Themen: Der politische Herbst, die Bäderlandschaft und Siegens neue Ufer
  • Nicht zu vergessen: Das neue Selbstbewusstsein der Universitätsstadt

Die Stadtkasse ist klamm, dem Löhrtorbad steht das Wasser bis zum Hals, die Gewerbesteuer säuft ab. Auf Politik und Verwaltung kommen nach der Sommerpause unpopuläre Entscheidungen zu. Ebenso werden aber – passend für die Jahreszeit – Erfolge geerntet, etwa mit dem Abschluss des Projekts „Siegen – Zu neuen Ufern“. Ein Gespräch mit Bürgermeister Steffen Mues über Selbstbestimmtheit, Selbstverständnis und Selbstbewusstsein einer Stadt.

Was steht denn an, wenn Sie aus dem Urlaub zurückgekehrt sind?

Relativ schnell das Uferfest. Dann wird es einige Gespräche geben, die sich mit der Bäderlandschaft beschäftigen. Und wir werden darum kämpfen, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen. Das wird extrem schwierig sein.

Redaktionsleiter Steffen Schwab im Gespräch mit Steffen Mues.
Redaktionsleiter Steffen Schwab im Gespräch mit Steffen Mues. © WP

Stichwort Bäder: In der Haushaltsberatung 2016 hat der Rat keine Entscheidung getroffen, sondern ein Gutachten bestellt. Das liegt jetzt vor. Glauben Sie, dass der Rat diesmal entscheidet – oder ein weiteres Mal vertagt?

Jeder, der sich ein klein wenig mit den Bädern beschäftigt hat, weiß, dass es ein Problem gibt, das wir seit einiger Zeit vor uns herschieben, weit vor meinem Amtsantritt im Jahr 2007. So alt, wie unsere Hallenbäder aussehen, sind die auch. Die Zahlen liegen ja jetzt ziemlich deutlich auf dem Tisch.

Die Empfehlungen gehen da hin, das Bad am Löhrtor aufzugeben und in Weidenau zu investieren – am besten in den Neubau des bisherigen Stadtbads an einem noch nicht genannten Standort. Über einen völligen Ausstieg der Stadt spricht aber niemand. Wäre nicht ein privat betriebenes Freizeit- oder Spaßbad eine Alternative?

Wenn damit tatsächlich jemand ein Geschäft machen könnte, wäre mit Sicherheit auch mal jemand auf uns zugekommen. Zu meiner Zeit als Sportdezernent gab es einige Anfragen. Alle wollten aber den Betrieb nur übernehmen, wenn die Stadt einen Zuschuss zahlt. Außerdem: Es gibt Spaßbäder in Netphen, Olpe, Kirchen und Eckenhagen. Käme Siegen dazu, würden sich diese Einrichtungen auch nur kannibalisieren.

Gibt es noch andere Möglichkeiten?

Man hätte sich noch eine ganze Weile durchwurschteln können. Das kann aber langfristig nicht im Sinne des Erfinders sein. Die einzige Alternative wäre die ersatzlose Schließung. Dann könnten wir den Ansprüchen von Vereinen, Schulen und Privatleuten aber nicht mehr gerecht werden. Von daher werden wir Geld in die Hand nehmen müssen.

Es soll also bei der Grundversorgung bleiben?

Wenn wir ein vernünftiges Schwimmbad auf modernem technischen Stand für die allgemeine Daseinsvorsorge anbieten, haben wir das Optimale geschaffen. Jeder, der schwimmen will, soll auch die Möglichkeit haben, hier zu schwimmen. Das haben wir auch bisher immer geschafft — wir haben derzeit nur, bezogen auf die Bevölkerung, eine zu große Wasserfläche.

Der Verwaltungschef mit Redakteur Florian Adam im historischen Siegener Rathaus.
Der Verwaltungschef mit Redakteur Florian Adam im historischen Siegener Rathaus. © WP

Kann sich die Stadt die Investition denn überhaupt leisten?

Das hängt davon ab, ob sie wirtschaftlich darstellbar ist. Darüber mache ich mir Gedanken, wenn alle Berechnunen vorliegen. Ich gehe fest davon aus, dass wir durch die Investition jährlich 300 000 bis 400 000 Euro an Betriebskosten sparen können.

Thema Haushalt und Finanzen: Der Kämmerer hat eine Haushaltssperre verhängt und warnt vor dem Nothaushalt. Können Sie denn noch sparen?

Abgesehen von den Aufgaben und Pflichten, die eine Kommune gesetzlich erfüllen muss, gibt es kaum Spielraum. Was gespart werden kann, ist bereits in großen Teilen zusammengespart worden. Zu den wenigen Dingen, die wir beeinflussen können, gehört der Einsatz des Personals.

Also verbessern Sie die Einnahmen?

Die Gewerbesteuereinnahmen gehen seit 2009 gegen den allgemeinen Trend zurück. Sie haben sich seit 2008 von 84 auf 42 Millionen Euro halbiert, mittlerweile haben wir weniger als die Stadt Kreuztal. Irgendwann werden wir aber auch wieder auf der Gewinnerseite sein. In den neuen Gewerbegebieten haben wir ausschließlich Unternehmen angesiedelt, die nicht zu den zurzeit schwächelnden Branchen gehören.

Werden Sie eine Erhöhung der Steuer-Hebesätze vorschlagen?

Ich werde alles daran setzen, Grund- und Gewerbesteuern nicht weiter zu erhöhen. Wenn wir allerdings in den Nothaushalt abrutschen, werden uns unter Umständen andere sagen, was wir zu tun haben. Wir müssen beachten, dass von den 3000 Gewerbesteuerzahlern in Siegen 30 die Hälfte des Steueraufkommens leisten. Wenn davon zehn bis 15 schwächeln, trifft uns das gleich in einer Größenordnung von 20 bis 25 Millionen Euro — was unserem aktuellen Fehlbedarf im Haushalt entspricht.

Bei der Grundsteuer war der Rat im vorigen Jahr etwas forscher als Sie, als er die von Ihnen vorgeschlagene Erhöhung noch überschritten hat.

Die Hoffnungen, die damit verbunden waren, sind aber nicht eingetreten.

Wie geht es weiter?

Wir werden dem Rat Vorschläge unterbreiten, wie das Ziel des Haushaltsausgleichs bis 2022 eingehalten werden kann. Wir hoffen natürlich, dass es bei den schlechten Prognosen für die Steuereinnahmen nicht bleibt. Bis zum Jahresende kann sich noch einiges verändern.

Im Stadtbild hat sich bereits einiges verändert. Wie zufrieden sind sie mit Siegens neuen Ufern?

Ich bin in jeder Hinsicht glücklich über das, was dort entstanden ist – und dass es angenommen wird. Sobald das Wetter einigermaßen gut ist, ist die Stufenanlage voll, die Balkone sind voll, die Cafés drumherum sind voll.

Manche Leute kritisieren die hohen Kosten.

Das ist so ein Totschlagargument. Insgesamt hat das Projekt Siegen – Zu neuen Ufern 23,5 Millionen Euro gekostet, inklusive Sanierung der unteren Stadtmauer und Neugestaltung der Kölner Straße. Vier Millionen davon zahlt die Stadt, 19,5 Millionen das Land. Diese Landesmittel sind an Städtebau gebunden, die können wir nicht einfach für Straßen oder Schulen einsetzen. Hätten wir diese Mittel nicht hier ausgegeben, wären sie nach irgendwo anders in Nordrhein-Westfalen geflossen.

Für eine Stadt mit finanziellen Problemen sind auch vier Millionen Euro eine Hausnummer.

Es ist alles andere als Geldverschwendung. Außerdem war dieses schreckliche Ungetüm Siegplatte sanierungsbedürftig – und die Sanierung für rund sieben Millionen Euro hätten wir allein bezahlen müssen.

Kommt Ihnen eigentlich heute noch irgendjemand mit dem Argument, die Siegplatte sei wegen der Parkplätze unverzichtbar gewesen?

Mir war immer klar: Die Parkplätze würden nie ein echtes Thema werden, das für die Innenstadt relevant ist.

Hat die Umgestaltung etwas in den Menschen verändert?

Ich bin Optimist. Ich meine aber beobachten zu können, dass die Stadt von der Bevölkerung und den Studierenden, die herkommen, nicht mehr so negativ gesehen wird. Wenn wir eine attraktive Innenstadt haben, wird positiver über sie gesprochen. Studierende sind die besten Botschafter, langfristig ist das die beste Werbung, die man haben kann. Siegen war früher für viele Leute Inbegriff einer unattraktiven Stadt. Wenn die Siegener nun selbst besser über ihre Stadt reden würden, wäre uns langfristig sehr geholfen.

Ziemlich mau sieht es allerdings in der mittleren Kölner Straße aus. Gegenüber von Karstadt häufen sich immer noch die Leerstände, dem Eindruck nach tut sich dort nichts.

Ich bin überzeugt, dass diese Objekte über kurz oder lang vermietet werden – schon wegen der vielen Studierenden im Unteren Schloss, spätestens, wenn die Hörsäle in Karstadt eingerichtet sind. Hinzu kommt noch das Projekt „Rund um den Siegberg“, dass an die Neuen Ufer anschließt. Wenn wir es dann noch schaffen, ein oder zwei weitere Fakultäten der Universität in die Innenstadt zu bekommen....

Gibt es bereits Pläne dafür, wo in der Innenstadt weitere Fakultäten Platz finden sollen?

Natürlich gibt es Vorstellungen, wo die Universität sich ausweiten könnte – mit Nähe zum Unteren Schloss, aber eher in Bereichen, wo heute keine Geschäfte sind. Das ist aber ein Thema, das man ganz langfristig denken muss, über mehrere Jahre. In bestimmten Bereichen könnte es dann nicht nur, aber sehr viel Universität geben.

Eine Immobilie wie ein leergezogenes Löhrtorhallenbad käme da doch wie gerufen.

Alles, was bei der Universität in Überlegung ist, geht auch ohne Hallenbadgebäude.

„Rund um den Siegberg“ und „noch mehr Uni in die Stadt“ sind wieder Vorhaben, die das Zentrum puschen. Gelegentlich wird der Vorwurf laut, die Stadt tue zu viel für die Mitte – aber zu wenig für die Stadtteile.

Das ist etwas, was mich immer wieder ärgert, weil es einfach nicht stimmt. Klar ist: Wenn ich etwas in der Innenstadt mache, kommt das allen Siegenern zugute. Es ist aber nicht so, dass wir in den Ortsteilen nichts machen. Wir haben immer wieder investiert, haben Schulen erhalten, Turnhallen und Sportplätze modernisiert, die Bürgerhäuser – weitgehend – an Dorfgemeinschaften übergeben, haben vier Freibäder saniert und in Dorfgemeinschaftshäuser und Feuerwehrgerätehäuser investiert. Der Vorwurf, es würde nichts getan, kann eigentlich nur von Leuten kommen, die sich nicht informieren. Aber: Natürlich kann man nicht alles auf einmal machen.

Hemmnisse und Chancen für Siegen 

Drei Hemmnisse, die es wegzuräumen gilt:

1. „Die Finanzen — wir müssen Handlungsfreiheit erreichen.“

2. „Die Verkehrsinfrastruktur — für viele Unternehmen ist die Situation weitaus bedrohlicher, als sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Ist ein Montagestandort erst einmal ausgelagert, kann die ganze Produktion folgen.“

3. „Die Diskussionskultur – ist verroht, vor allem in den sozialen Netzwerken. Ich bin erschreckt über die fürchterlich negativen Äußerungen. Viele arbeiten aus sehr egoistischen Motiven mit Totschlagargumenten. Man konnte sich noch nie so gut informieren wie heute. Aber mir scheint, dass die Menschen tatsächlich immer weniger informiert sind.

Drei Chancen, die es zu nutzen gilt:

1. Die Bedeutung der Universität für die Stadtentwicklung – sie holt viele Menschen nach Siegen, die gute und interessante Arbeitsplätze schaffen.“

2. Die Städtebauförderung — wir wollen Siegen möglichst umfassend attraktiv machen, lebenswert in jeder Hinsicht. Und wir wollen weiter daran arbeiten, das, was schon gut ist, herauszustellen. Es ist eigentlich wirklich eine tolle Stadt zum Leben, Studieren, Arbeiten.

3. Die Weltoffenheit und Toleranz in der Stadt — wir wollen, dass Siegen dafür auch bekannt ist.“

Kommentar von Steffen Schwab: Stadt und Kreis – Noch eine Vision 

Steffen Schwab
Steffen Schwab © privat

Visionen für die große Stadt: eine bunte Gesellschaft, ein junges, urbanes Leben, moderne Infrastruktur. Siegen macht sich fit für die Zukunft. Wirklichkeit wird das alles aber nur, wenn es der Stadt gelingt, sich von Fesseln zu befreien, die im Sommerinterview mit Bürgermeister Steffen Mues Thema sind. Die prekäre Finanzlage, mit den Zahlen immer wieder aufs Neue knapp am Abgrund, spiegelt die Zwänge der Großstadt auf dem Land: So viel sie an Leistung bringen muss, so begrenzt sind ihre Möglichkeiten, das Geld dafür auch zu verdienen. Dafür ist die große Stadt dann doch wieder zu klein.

Eine kommunale Neugliederung, bei der Grenzen verschoben und Städte eingemeindet werden, wird es wohl nie wieder geben. Reif werden könnte die Zeit aber für eine neue Qualität der Zusammenarbeit im Siegerland, die über das hinausgeht, was jetzt schon auf der Ebene des Kreises passiert: Gemeinsame Flächennutzungsplanung, gemeinsame Schulentwicklung und gemeinsame Trägerschaften für öffentliche Einrichtungen von den Bädern bis zu den Schulen, gemeinsame Gewerbegebiete – das sind Beispiele, bei denen Arbeitsteilung die bisherige Konkurrenz ersetzen könnte.

Zusammenrücken könnten auch die Verwaltungen: Jugendamt, Volkshochschule, Ausländerbehörde, Bauaufsicht – vielleicht hat das ja doch Vorteile, wenn es all das nicht gleich zwei Mal gibt. Stadt und Kreis werden eine echte Region: Noch eine Vision.