Siegen. . Widersprüchliche Aktenlage: Laut Anklage soll der Mediziner (85) einer Patientin bei Akupunktur-Behandlung an die Brust gefasst haben.
Ist es für eine Akupunkturbehandlung nötig, dass der Arzt seiner Patientin an die linke Brust fasst, diese „hin- und herschaukelt“, wie Amtsrichterin Nena Roeske es formuliert? Gut ein Jahr, nachdem sie das Verfahren gegen einen Siegerländer Mediziner wegen sexueller Belästigung zwecks weiterer Ermittlungen ausgesetzt hat, geht es gestern in Saal 126 des Amtsgerichts weiter. Die Frage bleibt auch diesmal unbeantwortet, das Verfahren wird eingestellt.
Nach § 206a der Strafprozessordnung kann eingestellt werden, wenn nach Eröffnung der Hauptverhandlung ein Verfahrenshindernis auftritt. Das liegt nach Auffassung von Anklagevertreterin Bärbel Knebel darin, dass die angebliche Tat nicht genügend durch ein Datum konkretisiert werden kann. Das wurde schon bei der ersten Verhandlung am 8. Juli 2015 deutlich. Der 85-jährige Mediziner soll seine Patientin am 8. Februar 2013 „betatscht“ und mit der Bemerkung geärgert haben, wer so große Brüste habe, müsse eben Rückenschmerzen ertragen. Später liest Knebel etwas vom 8. Februar 2014 vor, tatsächlich aber soll sich die Tat bereits im Mai 2012 zugetragen haben.
Angeklagter bestreitet Vorwürfe
Rechtsanwalt Jens Kemper unterstreicht, dass all diese Daten aus Angaben der Zeugin und den Unterlagen des früheren Partners seines Mandanten stammten, dieser selbst habe nichts zu der Verwirrung beigetragen. Das alles müsse zu Gunsten des Angeklagten ausgelegt werden, unterstreicht Amtsanwältin Knebel und fordert die Einstellung des Verfahrens. Die Richterin und die Nebenklagevertreterin Tanja Hilpert argumentieren dagegen, durch die Zeugin sei vor einem Jahr klar geworden, dass die Tat nicht 2013 habe erfolgen können, weil der Angeklagte im Krankenhaus lag. Vielmehr sei 2012 als Tatzeit wahrscheinlicher. Dann stimmten die Akten nicht, sind sich Knebel und Kemper einig. „Wenn die eine Auflistung falsch ist, dann ist die andere auch verbrannt. Wir können nicht alle fünf Minuten ein neues Datum hinschreiben, nur weil eine Zeugin etwas sagt“, widerspricht Bärbel Knebel.
Der Angeklagte selbst hat, wie schon vor einem Jahr, alles bestritten. Er habe die Frau entgegen ihrer Behauptungen nicht in Slip und BH gesehen, „sie war angezogen“. Sie sei von seinem Ex-Kollegen zu ihm geschickt worden. Die Frau habe Schmerzen gehabt und er sie behandelt. In solchen Fällen müsse jeder Arzt den Patienten betasten, um die Ursachen festzustellen.
Verjährungsfrist von zehn Jahren
Letztlich geht es darum gar nicht mehr. Richterin Roeske lässt sich von der Amtsanwältin überzeugen, auch die Vertreterin der Nebenklage gibt ihren Widerstand auf. Die zuständige Dezernentin könne noch einmal ermitteln lassen und eine neue Anklage schreiben, sind sich die drei Frauen einig. Die Tat verjähre erst nach zehn Jahren, sagt Roeske und ruft die Zeugen in den Saal. „Das verstehe ich nicht“, sagt das mutmaßliche Opfer. „Ich erkläre es Ihnen draußen“, beruhigt Tanja Hilpert ihre Mandantin.