Kreuztal. . Eva Konieczny braucht Assistenz. Weil sie selbst bestimmen will, wer sie unterstützt, wird sie Arbeitgeberin ihres Teams. Das macht ihr — noch — keiner nach,
„Wenn Sie einen sehen, der an den Rollstuhl gefesselt ist: Dann binden Sie ihn los!“
Eva Konieczny ist gut ausgelastet. Ihre Dissertation über politische Partizipation, also Teilhabe, von Menschen mit Behinderung hat sie gerade begonnen — aber mit Forschen im ruhigen Arbeitszimmer hat das wenig zu tun. Ihre Stelle beim Zentrum für Planung und Evaluation sozialer Dienste (ZPE) an der Siegener Uni ist mit dem „Inklusionskataster NRW“ verbunden, das hier erarbeitet wird: Am Freitag setzt das Projektforum „Sport ist Viel(falt)“ einen Akzent. Ihren Lehrauftrag erfüllt die Sozialarbeiterin auch, und das sehr gern: „Da kann ich den Studis auch die Praxis ein bisschen näherbringen.“ Eva Konieczny ist von Geburt an halbseitig spastisch gelähmt. Die Organisation ihres Alltags ist fast ein Job für sich.Vom nächsten Monat an ist sie selbst Arbeitgeberin ihres Assistenzteams.
„Ich wollte meine eigene Wohnung haben.“
Vor drei Jahren hat Eva Konieczny das geschafft und konnte aus dem Hilchenbacher Elternhaus ausziehen. Die Suche nach der barrierefreien Wohnung, in der auch die Assistenzkraft einen Arbeits- und Ruheraum hat, war für die heute 32-Jährige nicht leicht. In Hilchenbach ergebnislos. In Kreuztal erfolgreich. Alte Häuser haben Schwellen, Treppen und zu enge Türen. „Neubauten sind teuer. Wer kann sich so was leisten?“
Eva Konieczny braucht Assistenz: Um sich morgens startklar zu machen, als Begleitung zur Arbeit oder für sonstige Wege, für die Mahlzeiten, den Haushalt... Auch fürs Waschen und Bügeln? „Noch habe ich meine Mama“, lacht sie. 15 Assistenzstunden pro Tag ermöglicht ihr die Eingliederungshilfe des Landschaftsverbandes, weitere 15 das Arbeitsamt als Assistenz für ihren 30-Stunden-Job an der Uni. „Es ist schwierig, dafür Leute zu finden.“ Zum einen, weil die Bezeichnung des Jobs gern missverstanden wird — Assistenz ist nicht Pflege, „ich muss auch nicht beschäftigt werden.“ Zum anderen, weil die Nähe zu persönlichsten Lebensbereichen für beide Seiten anstrengend ist.
„Ich stelle nur Leute ein, bei denen ich ein gutes Gefühl habe.“
Eva Konieczny stellt ein: Vom 1. Juli an ist sie Chefin eines sechsköpfigen Assistenzteams, bestehend aus drei sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und drei Minijobbern, die sich Früh-, Spät- und Nachtdienste teilen. Damit verabschiedet die Kreuztalerin sich von der Betreuung durch einen darauf spezialisierten Dienst. Nicht nur, weil ihr die personelle Fluktuation zu groß war. „Das war für mich total die Überforderung“, erinnert sie sich an Zeiten, an denen sie sich auf bis zu 16 verschiedene Alltagsbegleiter einstellen musste. Nicht der einzige Grund: „Ich will selbst entscheiden, wer mir hilft und wie viele Leute mich unterstützen.“
Ja, sagt Eva Konieczny, da geht Service verloren: Wenn jemand aus dem Team krank wird, muss sie sich selbst um Ersatz kümmern. Andererseits, sagt sie, ist ihr durch die von außen vermittelte Organisation Kontrolle über das eigene Leben verloren gegangen. „Der bürokratische Aufwand hat mich erschreckt.“ Arbeitgeber sein? Die Rolle würde sie gern mit anderen teilen — im Rahmen einer Genossenschaft zum Beispiel: „Irgendwo ist das mein Ziel. Aber das ist noch ganz weit weg.“
„Menschen mit Behinderung haben nicht die Kompetenz, die Arbeitgeberrolle wahrzunehmen.“
Ein harter Satz. Eva Konieczny spricht von „Überfürsorge“ aus den Heim- und Versorgungseinrichtungen und „erlernter Bedürfnislosigkeit“, mit denen das System Menschen mit Behinderung in den unbehüteten Alltag entlässt. „Man muss ja seine Bedürfnisse kennen.“ Das — und da verliert der Satz dann auch an Härte — kann man lernen. „Muss man lernen“, sagt die Sozialarbeiterin, gebraucht den Fachbegriff „Empowerment“, was Hilfe zur Selbsthilfe meint, und empfiehlt, „Regiekompetenz zu fördern.“ Was es braucht, sagt Eva Konieczny, sind Beratungsstellen, die unabhängig von Anbietern arbeiten. „Beratung von Betroffenen für Betroffene“ ist so ein Stichwort; für ihre Masterarbeit hat Eva Konieczny Beispiele in Marburg und Dortmund untersuchen können.
„Viele denken, sie tun was Gutes“, sagt Eva Konieczny. Und sie tun’s dann nicht: Inklusion im Verein ist eben nicht, besondere Angebote für Behinderte zu machen, sondern vorhandene Angebote für Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam zu öffnen. Inklusion ist, für den Mitarbeiter mit Behinderung den Arbeitsplatz an seine Bedürfnisse anzupassen. Nicht aber, den überqualifizierten Kollegen mit einer Hilfstätigkeit abzuspeisen. Ob denn nach und nach alles besser wird? Eva Konieczny zögert: „Man entwickelt halt mehr und mehr den kritischen Blick.“
„Ich glaube, da war noch nie ein Rollstuhlfahrer.“ Eva Konieczny erzählt von einem Traumurlaub in Irland. In einer Gegend, in der nichts barrierefrei ist, und in der Inklusion ganz ohne theoretischen Überbau gelebt wird. Das Gespräch kommt auf Sprache: Formulierungen wie „an den Rollstuhl gefesselt“, das Betonen von Lebensfreude „trotz des schweren Schicksals“ — irgendwie verräterisch, weil sie Menschen mit einem Handicap im Grunde weder persönliche Freiheit noch Humor zutrauen.
Das Wichtigste? Eigeninitiative, sagt Eva Konieczny, die sich auch vor Ort einmischt: beim Arbeitskreis Barrierefreiheit in ihrer Heimatstadt Hilchenbach zum Beispiel. Ohne Eigeninitiative und die Unterstützung ihrer Eltern hätte sie sich nicht aus der Förderschule befreit und am Ende das Abitur geschafft.
An der Kreuztaler Clara-Schumann-Gesamtschule übrigens. „Weil die einen Aufzug hatte.“