Siegen. . Susanne Eerenstein kümmert sich am Jung-Stilling-Krankenhaus Siegen um sterbende Menschen. Ein Gespräch über das Tabuthema Tod und ein Sterben in Würde
Hier ist es sehr still. Glück hat, wer in Ruhe sterben kann. Kann man das überhaupt so sagen? Draußen plätschert ein kleiner Brunnen. „Ewigkeit“ steht an einer Wand. Das Hospiz am Jung-Stilling-Diakonieklinikum, ein Ort, der Würde atmet, ist der Arbeitsplatz von Susanne Eerenstein. Im Hospiz kümmern sich Pflegekräfte um das Wohlergehen der Sterbenden. Ist das überhaupt noch ein zutreffender Ausdruck? Susanne Eerenstein jedenfalls ist für die Seelen der Gäste zuständig, wie sie hier heißen. Die Gäste werden das Hospiz nicht mehr lebend verlassen.
Frage: Als Seelsorger in den Gemeinden kümmert man sich überwiegend um die Lebenden. Wie haben Sie sich darauf vorbereitet, sich nun um die Sterbenden zu kümmern?
Susanne Eerenstein: Ich habe viele Jahre als Gemeindepfarrerin gearbeitet und mit Sterbenden und Trauernden zu tun gehabt. Insofern ist der Tod immer schon ein Teilbereich meiner Arbeit gewesen. Bei der EFL, wo ich zuletzt als Beraterin gearbeitet habe, war ich in meiner Arbeit ganz dem Leben verpflichtet. Im Hospiz sind wir dem Leben im Angesicht des Todes verpflichtet und unterstützen Menschen bis zum Tod.
Weshalb hat Sie diese Aufgabe gereizt?
Ich war drei Jahre als Supervisorin auf der Palliativstation tätig, ohne diese Erfahrung wäre ich wohl nicht auf die Idee gekommen, mich auf diese Stelle zu bewerben. Auf diesem Wege habe ich Einblicke in die Grundsätze palliativer Versorgung bekommen. Der Gedanke, dass Sterbende in ihren letzten Tagen Lebensqualität erfahren, hat mir gefallen.
Der Tod ist immer noch ein großes Tabu. Wenn es geht, schiebt man ihn weit von sich, will nicht mal darüber reden.
Die Hospizbewegung möchte ja genau das: Den Tod aus der Tabuzone herausholen. Wer hierherkommt, dem ist klar: Das ist mein letzter Lebensabschnitt, die letzte Wegstrecke. Es gibt keine Heilung. Trotzdem erleben manche Hospizgäste die Zeit hier sehr bewusst und auch angenehm. Sie sind endlich schmerzfrei. Schmerz ist ja etwas Schreckliches, er raubt Kraft und Verstand. Die palliative Versorgung trägt dazu bei, Leiden zu lindern. Deshalb können Menschen noch einmal Aufatmen, bewusst leben und das in einem gewissen Umfang genießen.
Wie bereiten sich Menschen auf das Sterben vor?
Manche Menschen gehen sehr bewusst auf ihren Tod zu. Andere verdrängen. Verdrängung ist ein gesunder psychischer Mechanismus. Dieser Mechanismus ist unterschiedlich stark ausgeprägt. Wer im Leben nicht gut über sein Inneres reden konnte, der tut das im Sterben auch nicht. Wer sprechen möchte, dem stehe ich zur Verfügung. Manchmal sind auch die Pflegekräfte und Ehrenamtlichen wichtige Ansprechpartner. Es ist gut, dass wir in einem multiprofessionellen Team arbeiten.
Hilft der Glaube? Finden Menschen im Angesicht des Todes zum Glauben?
Jeder Mensch hat spirituelle Bedürfnisse und Fragen: Woher komme ich, wo gehe ich hin, was kommt danach? Ich missioniere niemanden, sondern greife das auf, was der Mensch im Leben geglaubt hat, worauf er gesetzt hat. Aber sicherlich ist der Glaube eine Stütze. Die Vorstellung, dass mein Lebensweg bei Gott endet, macht das Sterben leichter. Sterben ist die größte Loslassübung unseres Lebens. Wir müssen unser ganzes Leben hindurch loslassen – Menschen, Orte, Ziele – und ganz am Schluss uns selbst. Mir hilft der Gedanke, dass ich mich fallen lassen kann in die Hände Gottes.
Wie gehen die Lebenden mit dem nahenden Tod um?
Abschiednehmen ist ein Prozess. Es kommt schon vor, dass Angehörige es nicht wahrhaben wollen, es verdrängen und sagen „das wird schon wieder“. Das ist gut gemeint, aber nicht hilfreich. Wichtig ist, dass Familien noch einmal eine intensive Zeit zusammen erleben können. Durchhalteparolen machen es dem Sterbenden nur schwer. Wir reden hier über eine Phase, in der das Bewusstsein noch da ist, in der intensive Gespräche noch möglich sind. Da sollte man sagen, was gut gewesen ist, danke sagen und sich verabschieden.
Diese Prozesse sind nicht immer leicht. Manche Angehörige würden gerne noch einmal mit dem Vater, mit der Mutter reden, Belastendes aus der Welt schaffen, können es aber nicht. Als Seelsorgerin kann ich in diesem Prozess unterstützend zur Seite stehen. Ich kann Familien ermutigen, bei ihren Angehörigen zu sein und Zeichen ohne Worte zu setzen.
Im Hospiz sterben auch sehr junge Menschen. Beginnt man in solchen Situationen, am Glauben zu zweifeln?
Wenn jemand 80 wird oder 90 schließt sich ein Lebenskreis, der Tod bricht nicht plötzlich ins Leben ein. Bei Jüngeren ist es mit mehr Schmerz und Widerspruch verbunden, sie hadern mehr, für sie ist es schwerer zu akzeptieren, dass das Leben zu Ende geht. Diesem Schmerz muss man Raum geben. Die Umgebung hält das oft nicht aus. Es ist auch schwer, man weiß nicht, was man sagen soll. Natürlich entsteht auch Zweifel.
Wie halten Sie ihre Arbeit seelisch auf Distanz?
Ich habe mir eine professionelle Haltung erarbeitet, indem ich nicht alles mit mir allein ausmache und mit nach Hause nehme. Wenn ich zu Hause bin, dann bin ich ganz zu Hause. Wenn ich arbeite, dann bin ich ganz bei den Menschen.
Zur Person: Susanne Eerenstein
Susanne Eerenstein (56), geborenen in Schleswig-Holstein, aufgewachsen in Minden, seit Mitte der 1980er Jahre im Siegerland, ist seit dem 1. April Hospiz- und Palliativseelsorgerin am Jung-Stilling-Krankenhaus. Zuvor war sie unter anderem Gemeindepfarrerin in Weidenau, zusammen mit ihrem Mann Martin.
Neben der Seelsorge zählt auch die Schulung, Betreuung und Supervision der in diesem Bereich tätigen ehrenamtlichen Mitarbeitenden zu ihren Aufgaben.
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