Niederdresselndorf. . Teil 4 unserer Serie Grenzerfahrungen. Unterwegs mit Friedhelm Dustmann im Grenzgebiet zwischen Rheinland-Pfalz, NRW und Hessen. Die Wander-Strecke hat auch sportliche Aspekte.
Piep! Piep! Piep! Piep! Der Wecker bimmelt früh. Zu früh für mich. Aber heute geht’s zeitig los. Wandern. Der Rucksack ist pickepackevoll. Bevor ich aber losdüse, noch schnell ein paar Stullen schmieren. Und Obst. Vitamine sind wichtig. Die Tupperdosen tief neben der Regenjacke verstauen und ab geht die Post.
Am Parkplatz vor der Hicken-grundhalle in Niederdresselndorf wartet Friedhelm Dustmann schon. Wanderschuhe, Kappe, orangefarbenes Karohemd, Wanderstöcke, lange Regenhose. Ich schaue an mir runter: kurze Buxe, Turnschuhe, Pullover. „Ich glaube, ich bin falsch angezogen“, platzt es aus mir heraus. „Macht nichts. Wir sind heute in einfachem Gelände unterwegs", sagt Dustmann. Er grinst, wirkt locker. Der pensionierte Lehrer ist seit vier Jahren Leiter der SGV-Abteilung Siegen. Er scheint sich auf die Wanderung zu freuen. „Ich war noch nie wandern“, muss ich zugeben. „Auch kein Problem“, sagt er. Immerhin scheint die Sonne.
1 : Ziel der Wanderung ist das Dreiländer-Eck. Drei Bundesländer. Drei Grenzen. Alles auf einer Route. Rucksack umschnallen, durchpusten, losstiefeln. Mit kurzen, flotten Schritten stapfen wir den kleinen Berg hoch. Wir sind flott unterwegs. Friedhelm Dustmann erklärt mir die Route: „Erst gehen wir hoch zur Kaolinengrube, dem höchsten Punkt der Wanderung, dann Richtung Flugplatz, weiter nach Süden zum Dreiländereck, kurz durch Hessen und anschließend auf der anderen Seite des Tals zurück zum Parkplatz.“ Das klingt ja noch recht einfach. Schnell tummeln wir uns zwischen Tannenbäumen und Sauerklee. Ich spitze die Ohren. Warten. Warten. Nichts. Kein Auto, kein Hupen, keine Lkw. Irgendwie fühle ich mich frei. Entschleunigt. Merkwürdig. Ist das normal?
2-3 : Weit und breit keine Menschenseele. Schwarze Markierungen alle paar Meter zeigen uns den Weg. An der Kaolinengrube schnaufen wir kurz durch. Ganz schön warm. „Kao-ling = hoher Berg“ steht auf der bunten Tafel. Ringsrum nichts als Bäume. „Kuckuck. Kuckuck.“ Mensch, das ist doch ein Kuckuck. Ewig nicht mehr gehört. Wo bleibt das Martinshorn? Der Straßenlärm? Ein bisschen gespenstisch. Aber schön. Puh, langsam wird’s anstrengend. Der Rucksack klebt an meinem Rücken. „Wandertage in der Schule früher waren immer was Besonderes“, erzählt Dustmann. Er erinnert sich gern zurück. Und plötzlich fällt’s mir auch wieder ein: Wandertage waren Schultage ohne Hausaufgaben. Und ohne wandern. Super. Ich rieche den Wald. Frisches Holz, Tannen, Erde. Typisch Wald und dennoch faszinierend. Immer wieder muss ich kontrollieren, wo ich hintapse. Kleine Spinnen flitzen über den Trampelpfad. Hier und da ein großer, schwarzer Käfer. Ich umkurve alle. Ja niemanden stören.
3-4 : Die Wanderstöcke von Friedhelm Dustmann klackern über den Trampelpfad. Wir marschieren auf die erste Landesgrenze zu: Rheinland-Pfalz. Da: vier Wanderinnen. Völlig entspannt. Und barfuß. Auf der kleinen Holzbank vor dem Landschaftsfenster, einem Holzrahmen mitten auf der Kuppe. Eine wedelt mit dem Blasenpflaster. Ein Wandergruß? Eher nicht. Die Damen aus Wuppertal touren durch den Westerwald und legen nur ein Päuschen ein. „Ist das nicht herrlich? Wir haben so viele tolle Fleckchen in Deutschland“, sagt diejenige mit den graumelierten, kurzen Haaren. Ein gelber Hubschrauber donnert über uns hinweg. Die ersten Motorengeräusche seit fast zwei Stunden. Und die ersten Menschen.
4-5: In Liebenscheid treffen wir das erste Mal wieder auf Zivilisation. Aber nur kurz. Gefühlt. Autos kommen uns nicht entgegen. Nur der Hubschrauber dreht seine Kreise über uns. Plötzlich stehen wir auf der anderen Seite des verschlafenen Örtchens. Die Füße machen einfach, was sie wollen. Der Körper schlurft hinterher. Friedhelm Dustmann schlägt mit dem Wanderstock gegen einen Baum. „Das ist ein Blitzeinschlag – aber nur ein kleiner.“ Wir stapfen weiter in Richtung Dreiländer-Eck. Die kleinen Spinnen krabbeln weiter vor meinen Füßen her. Grillenzirpen. Vogelzwitschern. Die Tannenzapfen knacken beim Drüberlaufen. Eine beruhigende Atmosphäre.
6: Dann endlich. Wasser plätschert durch den kleinen Bach. „Da sind wir“, sagt mein Wanderführer und zeigt auf den kleinen Begrenzungsstein. Das Dreiländer-Eck. Ich hüpfe um den kleinen Stein. NRW. Rheinland-Pfalz. Hessen. Ich freue mich wie ein kleines Kind. Aber nur kurz. Wir wollen ja wieder zurück. Ist das ein Anflug von Muskelkater? „Stell dich nicht so an, du bist noch jung“, brüllt mich der innere Schweinehund an. Kurze Mittagspause. Zwei Käsetoasts, Mettwürstchen und eine Banane. Vitamine sind wichtig. Nach etwa vier Stunden kraxeln wir endlich bergab nach Niederdresselndorf. Ich schaue an meiner kurzen Buxe runter: Die schwarzen Turnschuhe sind gelb. Pollenflug. Das Knie schmerzt, die Waden spannen. Wandern ist halt auch Sport – nur nicht olympisch.