Hilchenbach. . Bei Kultur Pur ist ständig etwas zu tun: Kaum geht der eine endlich ins Bett, steht die andere schon wieder auf. Die Giller-Chronologie.

Die Zelttheaterstadt schläft — fast — nie. 24 Stunden bei Kultur Pur.

5.30 Uhr: Jan Klappert geht ins Bett. Die Hauptgastronomie hat bis spätnachts geöffnet, irgendwer feiert immer gern. „Der DJ hat Vinyl aufgelegt, das ist sehr gut angekommen“, sagt der Gastro-Boss. Dann aufräumen, putzen, auf verirrte Gäste kontrollieren. Klappert geht als Letzter vom Platz, er schläft vor Ort.

6.30 Uhr: Für Steffi Bertelmann (Bild) ist die Nacht vorbei. Der Mitarbeiterin des Kulturbüros kommt ihr erster Beruf zugute: Sie ist gelernte Hotelkauffrau. Ihr Auftrag: dafür zu sorgen, dass niemand hungert und dürstet. Was nicht von Caterern geliefert oder von der Stammbesetzung und der Küche des Gillerbergheims zubereitet wird, richtet sie mit ihrem 3er-Hausteam im Gillerbergheim selbst an. Jetzt erst einmal: Frühstück für die Crew, die eben im Nightliner angekommen ist.

7 Uhr: Der Wecker klingelt in Jens von Heydens (Bild) Zimmer. Der Organisationschef des Festivals ist aber längst schon auf den Beinen. Der Entsorger der Mobil-Toiletten kam früher.

9 Uhr: Gastro-Chef Jan Klappert ist wieder auf den Beinen. Besprechung mit dem Team. Es hagelt.

10.30 Uhr: Die DRK-Bereitschaften von Kreuztal und Hilchenbach machen sich einsatzbereit. 12 bis 16 Rotkreuzler pro Schicht sind auf dem Gelände, begleiten Veranstaltungen, betreuen die Unfallhilfestelle. Hitzebedingte Ausfälle sind 2016 eindeutig kein Thema. Teamleiterin Anette Meier (Bild) hat Zitronentee mitgebracht: „Ich hatte mit Unterkühlungen gerechnet.“ Und mit Stürzen, wenn jemand nach einem Hagelschauer ausrutscht. „Wir hatten schon alles.“ Vom Hundebiss bis zum Kind, das von einem Baum gefallen ist. Und 2016 erstmals auch eine Reanimation: Dem Besucher konnte der immer anwesende Notarzt helfen. „Es ist alles gut gegangen.“

11.30 Uhr: Tagesbesprechung. In der großen Runde, die Jens von Heyden zusammenholt, sind Bühnenmanager, Technik, Küche, Ordner und Künstlerbetreuung vertreten. Die Garderobe von Anastacia muss mit Teppich ausgelegt werden. „Davon war vorher keine Rede“, sagt Jens von Heyden. Und dann das Heizöl. Er geht von 5000 Litern Verbrauch aus.“ Der Lieferant hat Mitleid: Die Firma Lauckel spendiert 500 Liter.

14 Uhr: Isabelle Weber (Bild) ist startklar. Die Tasche, die sie am Gürtel trägt, enthält die Ausrüstung, die jeder der 20 Ordner braucht: Stift, Programm, Taschenlampe, Handy, Einsatzplan, Ohrenstöpsel. „Das Allerwichtigste sind gute Schuhe.“ Manche legen 17, andere nur 12 Kilometer am Tag zurück, geben Auskunft, passen auf, dass nichts passiert. Der Auftrag heute: der Einlass. „Da braucht es Fingerspitzengefühl“, hat die 21-jährige Medienstudentin gelernt. Mancher Besucher kann es kaum abwarten: Für Anastacia postierten sich die ersten drei Stunden vorher am Eingang.

15 Uhr: Susanne Birlenbach macht Werbung für Hilchenbach. Die Mitarbeiterin der städtischen Touristik-Information kann Samen für Sommerblumen verschenken, ein Theater-Abo verlosen. Sie wirbt, mit ihren insgesamt 13 Mitstreitern, die an diesem Wochenende für die Gastgeberstadt des Festivals im Einsatz sind, fürs Wandern in Hilchenbach. Fürs Wetter eher nicht. „Wir sind schon froh, dass der Schnee weg ist.“

15.30 Uhr: „Der ist aber nicht echt?!“, fragt ein kleiner Junge und fasst ängstlich nach Mamas Hand. Onil der Drache rumpelt durchs Zelt und nimmt als zutraulicher Müllschlucker alles, was man ihm in den Rachen wirft. Von wegen Feuerspeien...

16 Uhr: „Noch eine Stunde...“ seufzt Lili Charlotte Schäfer. „Mir ist so kalt“, sagt sie und guckt dabei sehr fröhlich. Eigentlich seien sie wetterresistent, sagt Mama Ute Schäfer aus Wilnsdorf, und sie wollten sowieso zurück. Denn Lili zieht von einem Zelt ins nächste: Mit Freundin Mia Lotta hat sie ihr Camp auf dem Balkon aufgeschlagen. „Da ist es warm, denn wir haben Decken“, sagt Lili.

16.50 Uhr: Ein kleiner Max sucht seine Mutter. Ralf Gerecht teilt das über den Platzlautsprecher mit. Eine Lena ist auch schon verloren gegangen. Auf dem Giller ist Gerecht, seit 1989 im Kulturbüro und damit Dienstältester, vor allem Manager der beiden kleinen Bühnen. Seinen eigentlichen Job macht er trotzdem: Am Vormittag hat er die sozialen Netzwerke mit Bildern und Filmen befüllt, Fragen aus dem Netz beantwortet. Und auch am Nachmittag schießt Ralf Gerecht Fotos, wenn er nicht gerade Kinder von der Bühne bittet, damit die für die nächste Show frei wird.

17.05 Uhr: „Jaaakob, es reeeegnet!“ Ein kleiner Raubritter sagt seinem Freund Bescheid, für den Fall, dass der es noch nicht gemerkt hat. Eine Rüstung schirmt gut gegen das Wetter ab. Auch wenn sie aus Plüsch ist.

18.10 Uhr: Die Chefin von Schattingers Wildschweingrill wird vor der Toilette aufgehalten. „Mir macht das bei euch so richtig Spaß“, sagt der begeisterte Kunde. „Weil Ihr immer so fleißig seid und Freude bei der Arbeit habt.“ Sie strahlt.

19 Uhr: Richard Garaghty, Straßenkünstler vom Covent Garden in London und seit 1999 Stammgast auf dem Giller, schwingt sich mit nacktem Oberkörper aufs Hochrad. Und bringt auch zwei freiwillig-unfreiwillige Assistenten aus dem Publikum dazu, Jacken und T-Shirts abzulegen. „Mir wäre das zu kalt“, fröstelt eine Zuschauerin.

19.45 Uhr: Das große Zelttheater ist inzwischen rappelvoll, alle, die rein wollten, sind heil reingekommen. Jens von Heyden ist ein bisschen stolz auf das „Befüllungssystem“: „Hier beschäftigt man sich auch mit Crowd Management.“ Die Show? Läuft. „Ich sehe vielleicht ein, zwei Songs.“ Die Gedanken sind sowieso schon wieder weiter, beim nächsten Top Act.

20 Uhr: Der Hauptact fängt an, die Buden sind leer, der Dönermann versucht es mit aktiver Kundenwerbung: „Döööner! Döner macht schöööner!“ Er erntet Lacher, keine Bestellungen. Für die Pause verschiebt Gastro-Chef Jan Klappert seine mobile Einsatztruppe hin zum Haupteingang: Wenn alles aus dem Zelt strömt, müssen Grill und Theke topbesetzt sein.

21.20 Uhr: KP 2, der Sonderbus aus Freudenberg, spuckt einen Schwall Ticketinhaber aus. „Wie, keiner mehr draußen zum Biertrinken?!“, wundert sich einer. Das Thermometer zeigt 5 Grad.

21.30 Uhr: Bühnenmanager Ralf Gerecht informiert sich über den Kartenverkauf für die dritte Show des Abends. Dann wird entschieden, ob noch Stühle herbeigeschafft werden („nachstuhlen“, sagt man dazu) „oder ob wir Stehplatzkarten verkaufen“.

22 Uhr: Showbeginn, die letzte des Tages, draußen halten sich nur noch ein paar Menschen an ihren Zigaretten fest, aber im Gastrozelt am Haupteingang ist wieder einiges los. Der Mann am Bratwurststand zuckt die Schultern. „Wir bleiben bis Ende da.“ Auch wenn das große Geschäft vermutlich nicht mehr kommt.

23.30 Uhr: Nach der letzten Show hat auch Isabelle Weber bald Feierabend. „Wir warten, bis die letzten Busse abgefahren sind.“ Dann folgt die Anschlussbesprechung des Teams. Ein Feierabendbier. Und irgendwann dann auch das Nachtlager, oben unterm Dach des Gillerbergheims, für die meisten der rund 80 Mitarbeiter auf Isomatte und im Schlafsack. Für die Ordnerin, die irgendwann auch einmal Kulturevents organisieren will, ist der Job nicht nur ein großes Abenteuer: „Man lernt hier jeden Tag was Neues, und wenn es nur Menschenkenntnis ist.“

2 Uhr: oder noch später: Die „Futterstelle“ im Gillerbergheim ist immer noch nicht zu. Es gibt Essen, „bis wirklich jeder gegessen hat“, sagt Steffi Bertelmann, „unsere Helfer arbeiten bis spät in die Nacht.“ Es gibt viel Frisches und Gesundes. Und Süßkram in allen Varianten. Andreas Schmidt, Pressesprecher des Festivals, erwähnt die veganen Marshmallows: „Die hat aber außer mir auch keiner gegessen.“ Jan Klappert hat seine Mannschaft zu großen Teilen ins Bett entlassen.

2.45 Uhr: Nach dem Stehplatz-Konzert wird das große Zelt wieder bestuhlt, 300 Quadratmeter Tribüne kommen zusätzlich. Jens von Heyden überzeugt sich selbst davon. „Feierabend ist erst, wenn Nachruhe einkehrt.“

4 Uhr: Ein Nightliner kommt an. Die Mannschaft für einen der drei Top Acts am nächsten Abend.

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