Siegen/Lippstadt. Arbeitsministerin will mehr Flexibilität für Beschäftigte. Die gibt es aber längst.
- Arbeitsministerin will mehr Flexibilität für Beschäftigte.
- Die gibt es in Südwestfalen aber längst.
- Der Fachkräftemangel kommt den jüngeren Beschäftigten entgegen.
Acht Sunden sind kein Tag. Nicht einmal mehr ein Arbeitstag. Die Deutschen sollen arbeiten können, wann und wo sie wollen, um Berufliches und Privates miteinander zu vereinbaren. Das hat Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) nun gefordert, will daher das Arbeitszeitengesetz ändern – und rennt längst offene Türen ein.
Auf acht Stunden kommt Christina B. Schmidt nicht. Jedenfalls nicht täglich. Dabei hat sie eine Vollzeitstelle bei Billiton in Siegen, einer Agentur, die Webseiten programmiert und gestaltet. Ein junges Unternehmen – mit höchst konservativen Arbeitszeiten. Anwesenheit von 8 bis 17 Uhr – darauf legt Geschäftsführer Patrick Schulte Wert: Die Zusammenarbeit im Team sei wichtig. Doch fügt er hinzu: „Im Regelfall. Davon abgesehen, gibt es hier hohe Flexibilität.“
Christina B. Schmidt zum Beispiel kommt meist schon vor 8 Uhr, geht aber spätestens um 16 Uhr, um ihre Tochter aus dem Kindergarten abzuholen. Wenn die Kita geschlossen ist, die Tochter krank, bleibt sie zu Hause. „Um auf meine Wochenarbeitszeiten zu kommen, gleiche ich das aus – abends, zum Beispiel bei Terminen.“
Der 34-Jährigen bleibt nichts anderes, sie ist alleinerziehend. Doch der Wunsch, Zeit für die Kinder zu haben, der wird andernorts auch laut, wenn es keinen so zwingenden Grund gibt. „Die Einstellung hat sich geändert“, erklärt Volker Verch, Geschäftsführer des Unternehmerverbandes Westfalen-Mitte. „Der Freizeitwert hat bei der Generation Y einen ganz anderen Stellenwert.“
Zeit für die Politik
Also bei den Beschäftigten um die 30 Jahre etwa, zwischen 1980 und 1995 geboren. Arbeit, Freizeit, Familie, Sinn in Einklang bringen – das ist Soziologen zufolge für diese Generation wichtig
Auch für Thomas Becker. Der 29-Jährige ist Pressesprecher bei der Arbeitsagentur in Siegen – und fährt jeden Tag eine Stunde 45 Minuten von seinem Heimatort Brilon zur Arbeit, abends wieder zurück. Oder nachmittags. Denn Thomas Becker sitzt für die CDU im Briloner Rat. An Ratstagen muss er früh aufbrechen, um rechtzeitig in Brilon zu sein. Dafür stellt er das Diensthandy um, macht an anderen Tagen ein paar Stunden mehr, schaltet abends noch einmal das Laptop an. Kernarbeitszeiten – die gibt es für ihn bei der Arbeitsagentur nicht. „Ich brauche diese Flexibilität“, so Becker. Das Mandat ist ihm wichtig.
„Der Trend ist festzustellen, dass für die Jüngeren Flexibilität ein hohes Gut ist“, bestätigt Markus Richter, Pressesprecher bei Hella in Lippstadt. Die Tendenz wird sich bei den noch Jüngeren, der Generation Z, verstärken, glaubt Arbeitsagentur-Sprecher Thomas Becker. Wer bei Hella nicht in der Produktion tätig ist, kommt in den Genuss von „Gleitzeit auf Vertrauensbasis“. Wer will, kann mittags gehen, um zwei Stunden mit den Kindern zu verbringen, wenn er dafür abends länger bleibt.
Pluspunkt Fachkräftemangel
Sie kann sich das Selbstbewusstsein leisten, diese Generation Y. „Der Fachkräftemangel ist ein Pluspunkt für die Jüngeren“, so Markus Richter. Als bei Billiton ein Kollege kündigen wollte, weil ihm die tägliche Pendelei zu viel wurde, da hat man ihm – der Kernarbeitszeit zum Trotz – einen Heimarbeitsplatz angeboten. „Wir wollten“, sagt Patrick Schulte, „den Kollegen nicht verlieren.“ Flexiblere Arbeitszeiten wie von Ministerin Nahles gefordert, „das ist längst gelebte Wirklichkeit“.