Siegen.

Zumindest für Eisenbahnfans ist das spannend: Drei Gleise nähern sich dem Giersberg. Das eine, rechts, liegt schon etwas tiefer als das Doppelgleis auf dem anderen Damm, als sie beide, kurz nach der Überquerung des Brüderwegs, in ihre Tunnel einfahren. Und dann passiert ein bisschen Geisterbahn.

Die beiden Giersbergtunnel

Der Zug auf dem Einzelgleis unterquert das Doppelgleis fünf Meter tiefer und kommt nach 732 Metern wieder ans Tageslicht, um weiter zum Siegener Bahnhof zu fahren. Jetzt, im rechten Winkel über ihm, noch vor der Unterquerung der Brücke mit der Welterstraße, die zweigleisige Strecke nach Wei­denau. So eine Art Gleisdreieck im Innern des 358 Metern hohen Bergs. Ein „Überwerfungsbauwerk“, sagen die Fachleute. Das einzige in Deutschland. Und heute, am 1. Dezember, auf den Tag genau seit hundert Jahren in Betrieb.

Die Vorgeschichte

Die Bahnstrecke von Siegen und Weidenau nach Haiger war eine der letzten, die im Siegerland ans Netz ging, nur die Fortsetzung der Johannlandbahn von Deuz nach Irmgarteichen kam noch zwei Jahre später. Die Dillstrecke: ein Lückenschluss in der Bahnverbindung zwischen Ruhr, Rhein und Main, der gut 50 Jahre zuvor noch umstritten war: Lange hatte die Bergisch-Märkische Eisenbahngesellschaft für die Verbindung von Hagen nach Siegen kämpfen müssen – dem preußischen Staat war eine West-Ost-Verbindung wichtiger. Und die lieferte die Cöln-Mindener-Eisenbahngesellschaft: von Köln-Deutz über Betzdorf durchs Hellertal nach Haiger und Gießen. Mit der „Zweigbahn“ von Betzdorf nach Siegen hätten dann zumindest die Erzbergwerke im südlichen Siegerland ihren Anschluss. Was aus deren Sicht eine weitere Anbindung Richtung Norden überflüssig machte.

König Friedrich Wilhelm IV. entschied am 19. Februar 1854: Gebaut werden beide Linien. Beide wurden 1861 fertig. Am 10. Januar lief der erste Zug aus Betzdorf in Siegen ein, am 5. August der aus Hagen — letzterer allerdings erst am Abend dermaßen verspätet, dass die Gratulanten aus Köln wieder abgereist waren. Der Grund: Die Jungfernfahrt war zwischen Grevenbrück und Altenhundem entgleist. Dann aber nahm der Eisenbahnalltag seinen Lauf. Mit dem großen Handicap, dass die Fahrt von Hagen nach Frankfurt über Siegen, Betzdorf und Burbach führte.

Der Bau

Eisenbahn-Chronist Dr. Richard Vogel zitiert die Handelskammer aus dem Jahre 1899: „Hätte die Elberfelder Gesellschaft (BME) die ungeheure Wichtigkeit der direkten Verbindung mit dem Süden erkannt, so würde sie auch die Konzession für den kürzesten Weg über Siegen-Dillenburg beantragt haben. Viele Millionen wären dann durch die Vermeidung des Umwegs über Betzdorf erspart worden.“ 54,7 Kilometer statt 25,6. 1905 wird wieder einmal ein Eisenbahnkomitee gegründet, 1907 wird ein erster Auftrag vergeben, 1908 kommt die Baugenehmigung. Sieben Jahre später sind 30,6 Millionen Mark verbaut. Es hätten sogar noch ein paar hunderttausend mehr werden können, wenn auch der „Zentralbahnhof“ auf der Grenze zwischen Siegen und Weidenau errichtet worden wäre. So blieb es dabei: Züge, die nicht direkt durch den Giersberg an der Krönchenstadt vorbei rollten, steuerten in Siegen den „Jammerbau“ an, über den das Volksblatt schon 1907 lästerte. „Hauptbahnhof“ heißt er übrigens erst seit 1999.

Prominente Bauwerke

Der nördliche Teil der Dillstrecke ist ein aufwändiges Bauwerk geworden: Neben den beiden Röhren unter dem Giersberg wurde ein weiterer Tunnel durch die Tiefenrother Höhe geschoben: Mit 2652 Metern ist der Rudersdorfer Tunnel der längste Eisenbahntunnel in Nordrhein-Westfalen. So wird er jedenfalls auf einer Schautafel am Siegerland-Höhenring beworben, nicht ganz korrekt, weil nun einmal durch den Tunnel auch die Landesgrenze zwischen NRW und Hessen verläuft. Die hessische Hälfte ist als Kulturdenkmal geschützt.

Eigentlich sollten schon 1915 zwei Röhren mit je zwei Gleisen gebaut werden. Jetzt, gut hundert Jahre danach, ist der Auftrag erteilt: Der Tunnel bekommt eine zweite Röhre, damit die erste saniert werden kann. Am Ende wird es aber bei zwei Gleisen bleiben — eines je Fahrtrichtung und Röhre.

Mit der nördlichen Dillstrecke neu gebaut wurden die Bahnstationen Siegen-Ost, Niederdielfen, Rudersdorf, Dillbrecht und Rodenbach. Außerdem das Niederdielfener Viadukt mit sieben und das Rudersdorfer Viadukt mit acht Rundbögen, beide aus Natursteinquadern gemauert.

Die Gegenwart

100 Jahre nach der Eröffnung ist die nördliche Dillstrecke ein wenig in den (Verkehrs-)Schatten geraten: Durch den Weidenauer Giersbergtunnel fahren nur noch Güterzüge, die Siegener Röhre erweist sich dagegen als Nadelöhr vor dem „Hauptbahnhof“. Fernzüge werden ab 2019 wieder erwartet: der neue IC von Frankfurt nach Münster. Der Nahverkehr profitiert von einem modernisierten Rudersdorfer Bahnhof und irgendwann auch wieder von einem Haltepunkt in Niederdielfen — allerdings sonntags nie: Dann fährt die Sieg-Dill-Bahn, nach wie vor, nicht.

Wer mehr über die Bahn, ihre Geschichte und ihre Zukunft im Siegerland nachlesen will, ist bei Richard Vogel richtig: Der promovierte, aus Siegen stammende Biologe pflegt von Berlin aus seine Internetseiten www.siegerlandbahn.de.