Kreuztal/Hilchenbach. .
Zwei Nachbarstädte, ein Thema, zwei Lösungen: In einer Nacht- und Nebelaktion ließ die Stadt Hilchenbach am Samstagmorgen die Ufer des Langenfelder Bachs an der Gerichtswiese roden — und kassiert dafür einen Sturm der Empörung. In Kreuztal fragt Forstwirtschaftsmeister Thomas Gattwinkel, der die Platanen auf dem Roten Platz fällen soll, die Facebook-Gemeinde nach ihrer Meinung — und erntet ein überraschendes Echo: Kritik an der Baumfällung, aber auch viel Verständnis, vor allem Anerkennung für sein Vorgehen. Und keine Spur von Shitstorm.
Der Fall Kreuztal
„Wir machen so etwas fast täglich“, berichtet der Eichener, der mit seinem Unternehmen unter anderem eben auch die Fällung von Problembäumen anbietet, „da bekommt man ein Gefühl dafür.“ Am Freitagabend habe ihn die Anfrage der Firma erreicht, die gerade den Roten Platz neu aufbaut — und sah sich vor die Frage gestellt, ob er den Auftrag annehmen sollte. „Ich war mir selbst unsicher. Man kann sich damit den guten Ruf zerstören.“ Er selbst, sagt Gattwinkel, begrüße das Neugestaltungs-Vorhaben der Stadt, die Platanen mit ihren für den Platz zu groß gewordenen Kronen und Wurzeln zu entfernen und durch Neuanpflanzungen zu ersetzen. Aber die Kreuztaler?
Gisela Stettner und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter werden am Donnerstag vor der Ratssitzung um 17 Uhr über 600 Unterschriften an Bürgermeister Walter Kiß überreichen „Die machen alles weg, was am Kreuztaler Zentrum überhaupt noch schön ist“, habe einer der Unterzeichner gesagt, wie Gisela Stettner berichtet. Und ein anderer: „Dann sind ja hier nur noch Betonklötze.“ Auch eine Facebook-Gruppe mit über 800 Mitgliedern gibt es inzwischen, die eigens für dieses Anliegen gegründet wurde. Die Auffassungen, die dort vertreten werden, erreichen auch den Eichener Forstwirt auf seine Anfrage: „Das sind doch schöne, gesunde Bäume“, schreibt eine Kreuztalerin, „bitte stehen lassen.“
Aber dann gibt es auch andere Stimmen: „Meiner Ansicht sind die Bäume viel zu groß für diesen Standort“, schreibt jemand. Und ein anderer: „Das war schon bei der Pflanzung eine Fehlentscheidung.“ „Platanen hätten dort nicht hingepflanzt werden dürfen“, meint ein Dritter. Wenngleich, so ein Vierter, die Freilegung von Beton und Pflaster durch die Entfernung der Bäume „rein optisch natürlich wieder mal ein Schlag ins Wasser“ sei. Und diese Stimmen gibt es auch: „Hut ab, dass du dich der Diskussion stellst.“ Oder: „Respekt, dass Sie sich diese Gedanken machen.“ Und schließlich: „Wenn du den Auftrag ablehnst, macht es ein anderer.“ Ein Einzelhändler erinnert daran, dass die Stadt die Bürger seit 2013 in die Gestaltungsplanung einbezogen habe. „Der jetzige Zeitpunkt ist meines Erachtens zu spät, da hätte man sich als interessierter Bürger rechtzeitig drum kümmern müssen.“
Thomas Gattwinkel zieht sein Fazit aus der Debatte, die das ganze Wochenende über geführt wurde: Er wird den Auftrag annehmen. Wären die Voten durchweg ablehnend gewesen, hätte er Nein gesagt, fügt er hinzu. Und auf Nachfrage nennt der Eichener auch gleich noch die Schmerzgrenze, für die er ein Publikumsvotum gar nicht erst braucht: Bei der Rodung für den Großstadtbahnhof „Stuttgart 21“ wäre er nicht dabeigewesen. „Auf keinen Fall.“
Der Fall Hilchenbach
Ganz anders klingt’s in Hilchenbach. „Einfach nur traurig.“ „Abgrundtief hässlich.“ „Jetzt wird Hilchenbach bald nur noch ein Betonklotz sein.“ „Mal schauen, wann der nächste historische Baum fallen muss.“ „Grässlich sieht der Platz jetzt aus, alles kahl und leblos.“ „Schlimmer geht immer.“ Grünen-Fraktionschef Dr. Peter Neuhaus wird grundsätzlich: „Bäume haben’s schwer in Hilchenbach“, schreibt er und erinnert an den immer wieder von Autos umgefahrenen Rotdorn in der Bruchstraße, der schließlich Asyl im Garten des Fortamts fand, an die Platanen an der Gerbergasse und natürlich an Kraemers Park, der für den Neubau eines Discountmarkts gerodet wurde.
Auch die gute Absicht der Stadt, dem bisher in einer Art Rinne geführten Langenfelder Bach zu einer eigenen Uferlandschaft zu verhelfen, besänftigt da nicht. Im Gegenteil: „Es gibt Bachläufe in Hilchenbach, die sind schöner als dieses 200 Meter lange Teilstück“, schreibt jemand. Oder: „Als Renaturierung bezeichnen dies einige, ich sage dazu Geldverschwendung. Für den von Jugendlichen genutzten Bikepark fehlte Geld, und für so einen dämlichen Bach ist Geld vorhanden.“ Eher selten mischen sich positive Stimmen dazwischen, wie die eine Bürgerin, die Ratten aus dem Bach über den Markt spazieren sah: „Vielleicht wird der Abfall (nun) dort nicht mehr so schnell entsorgt."
Kommentar: Wie aus dem Lehrbuch
Der Rote Platz in Kreuztal, die Gerichtswiese in Hilchenbach: Zwei Debatten über ein Thema — Bäume, die fallen sollen, weil sie einer Neugestaltung im Wege stehen. Die Auseinandersetzungen verlaufen so unterschiedlich, dass sie fast schon lehrbuchhaft sind. In Kreuztal reden Verwaltung und Bürger miteinander, sogar der beauftragte Forstunternehmer bringt sich ein: Man wird sich nicht einigen, aber man verhandelt über Argumente. In Hilchenbach tropfen Wut und Frust aus jeder Zeile nach der Nacht- und Nebelaktion, bei der offenbar die Angst vor dem Protest von Bürgern den Zeitplan bestimmt hat. Wie wär’s mit Dazulernen, gleich beim großen Nachbarn?