Siegen. . Feuerwehr, Rettungsdienst, Ordnungsamt, Polizei: Viele Helfer waren am Mittwoch stundenlang im Einsatz, um 700 Anwohner in der Hengsbach in Sicherheit zu bringen und das Areal bereit zu machen, damit die Fliegerbombe entschärft werden konnte. Die Siegener reagierten gelassen auf das Szenario.

Die kleine Lina ist mit Hund Bonny gekommen. Und der Mama. „So viel Feuerwehr“, sagt sie, da wollte sie mal gucken, was denn überhaupt los ist. Die Gefahrenabwehr ist los. Eine enorme Maschinerie setzt sich in Gang, Rettungskräfte aus dem Siegerland machen sich nur Minuten nachdem der Bombenfund am Mittwochmittag gegen 13.30 Uhr gemeldet wurde auf den Weg; riegeln Straßen ab, evakuieren die Gefahrenzone.

Das Seniorenheim Haus Obere Hengsbach wird sofort teilevakuiert. „Wir waren von Anfang über die Untersuchung informiert“, sagt Einrichtungsleiter Willi Quast.

Die Spezialfirma aus Magdeburg, die die Hengsbachstraße mittels Bohrungen auf mögliche Bomben absucht, wird fündig, Metall im Untergrund. Das kann eine alte Badewanne oder eine Gießkanne sein, der Boden wird aufgerissen – eine Bombe, der Zünder liegt frei. Die talseitig gelegenen Trakte des Altenheims werden geräumt, die Bewohner dürfen sich nur noch in den zum Hang hin gelegenen Räumen aufhalten. „Heikel“, sagt Quast, die alten Menschen sollen nicht beunruhigt werden. Bettlägerige werden durchs Gebäude geschoben, Mitarbeiter aus der Freizeit geholt, andere verschieben den Feierabend.

Noch während die Evakuierung läuft eine zweite Meldung: Der Sprengkörper wiegt das Doppelte. Alle Gebäude bis zum Diakonie Klinikum müssen geräumt werden. Eine Seniorin, Daunenjacke, Handtasche überm Arm, tritt vor die Tür ihres Mehrfamilienhauses, seufzt. Ihr Nachbar schleppt Kisten und Koffer in seinen Kombi und fährt davon. Immer wieder ziehen Feuerwehrleute von Tür zu Tür sprechen irgendwann die Freigabe in knackende Funkgeräte, ziehen den Evakuierungsring zu. Keiner mehr drin, niemand kommt mehr rein.

Am schwierigsten ist es mit den Senioren, bevor sie wegfahren könne, muss klar sein, wohin. Der Rettungslinienbus bringt Einige weg. Kräftige Männer heben vorsichtig Rollstuhlfahrer in das Fahrzeug, ängstliche, verunsicherte Mienen, die Schwestern reden beruhigend auf ihre Schützlinge ein.

Bombenentschärfer – Einsamer und gefährlicher Job 

Eine ganze Armada von Rettungsfahrzeugen des Roten Kreuzes transportiert die Bettlägerigen. Kreuztal, Burbach, Erndtebrück, steht auf den Fahrzeugen, Rettungstragen rasten behutsam ein, die Menschen werden vorsichtig festgeschnallt. Inzwischen trifft Unterstützung aus Dortmund ein. Bis weit nach 21 Uhr dauert es, bis die letzte Person den 500-Meter-Radius verlassen hat.

Jetzt ist der Bombenentschärfer dran. Er hat den einsamsten und gefährlichsten Job. Bis er nicht der letzte Mensch auf einer Fläche von 785 000 Quadratmetern ist, fasst er den tödlichen Stahlzylinder nicht an. Nahe der Einsatzzentrale der Feuerwehr warten die Mitarbeiter der Siegener Versorgungsbetriebe am Sperrventil. Um das Gas im Ernstfall abzustellen. Erdgas explodiert erst ab sieben Volumenprozent, aber es brennt. Wenn eine 500-Kilo-Bombe detoniert, nicht auch noch das. Es geht gut, 21 Uhr 54: Ein leiser Knall. Entschärft.

Das Wohngebiet wurde geräumt.
Das Wohngebiet wurde geräumt. © Hendrik Schulz

Lockere Stimmung in der Siegerlandhalle, wo die Evakuierten sitzen. Draußen Rettungsfahrzeuge und ein Container mit Medikamenten. Drinnen verteilen die Malteser das Abendessen. Die Schlange an der Ausgabe zieht sich durch die Halle. Es riecht nach Rindsrouladen, Bockwurst, Nudeln mit Soße. Aus den Boxen über der Bühne leise Musik. Immer wieder Hundebellen. Niemand darf zurückbleiben.

Rückkehr bleibt ungewiss

Die Ausnahmesituation schweißt zusammen. Unbekannte sitzen an einem Tisch, unterhalten sich. „Wo warst du, als es los ging?“, ist die klassische Frage. „Beim Joggen.“ Viele waren noch unterwegs, als sie angerufen wurden: Ihr braucht gar nicht erst nach Hause kommen. „Ich war überrascht“, erzählt Anwohner Helmut Sänger. „Sowas habe ich noch nie erlebt.“

Einige sind verunsichert, befürchten, noch länger bleiben zu müssen. „Die haben gesagt, dass das bis in die Nacht dauern kann“, sagt eine Frau zu einer anderen. Andere sehen es ganz gelassen. „Keine Hektik, die Stimmung ist noch locker“, konstatiert der 75-jährige Hermann Klein. Er ist mit seiner Familie, Kindern und Enkeln hier. Sie spielen „Mensch ärgere dich nicht“. Ein passender Zeitvertreib.

Während sich die Feuerwehrleute an der Hengsbach später mit Würstchen stärken, sind inzwischen über 200 Menschen in der Siegerlandhalle, allein 60 Bewohner des Altenheims. 30 sind aus dem AWO-Wohnheim in der Hengsbach gekommen. Auch das Flüchtlingsheim musste evakuiert werden. Platz ist für 1000 Leute, wie Friedrich Schmidt, Direktor der Siegerlandhalle sagt. „Wir waren gerade in den Vorbereitungen für eine Veranstaltung morgen, als der Anruf kam.“ Der Saal ist durch Absperrband geteilt, die Tische auf einer Hälfte schon komplett eingedeckt.

Durch die Reihen geht Bürgermeister Steffen Mues, der sich mit den Leuten unterhält. „Vielleicht kann man den Menschen ja ein paar Sorgen nehmen“, sagt er. Auch Landrat Andreas Müller ist vorbeigekommen.

„Das Zusammenspiel zwischen den Rettungskräften läuft gut“, sagt KarlHeinz Richter, einer der Leiter der Rettungskräfte vor Ort. Alle hoffen, dass die Nacht nicht allzu lang wird.

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