Oberhausen. Hochwasserschutz-Fachleute beurteilen den Zustand des Oberhausener Ruhrdeiches als „kritische Lage“. Doch der Deich ist nun vorerst stabilisiert.

Es regnet, es ist matschig, es ist kalt - und ihre Arbeit ist über Stunden körperlich extrem anstrengend: Über 300 Kräfte verschiedener Feuerwehren der Region und des Technischen Hilfswerks THW haben von Samstag auf Sonntag die zweite Nacht hintereinander durchgearbeitet, um den Oberhausener Ruhrdeich mit Tausenden Sandsäcken und Vliesmaterial zu stabilisieren. Denn auf über einem halben Kilometer ist der Deich am Ruhrpark im Oberhausener Süden durch den seit Wochen anhaltenden Regen so stark durchgeweicht, dass er von der zuständigen Hochwasserschutz-Aufsicht der Bezirksregierung Düsseldorf als „kritisch“ betrachtet wird. Beim nun tagelangen Einsatz wurde natürlich das eingesetzte Personal regelmäßig durch neue Kräfte ausgewechselt.

Der Kampf um die Rettung des Deiches ist notwendig, um zu verhindern, dassdas ziemlich hoch stehende Ruhrwasser große Teile des Ruhrparks und Anwohnerstraßen in Alstaden überflutet. Die Bezirksregierung hat sich die Lage am Ruhrdeich bereits am Freitagnachmittag intensiv angeschaut - und stufte die Situation vor Ort so ein: „Kritische Lage am Ruhrdeich in Oberhausen.“

Schwere Sandsäcke schleppen die Helfer der Feuerwehren und des THW zu den durchgeweichten Bereichen des Ruhrdeichs in Oberhausen.
Schwere Sandsäcke schleppen die Helfer der Feuerwehren und des THW zu den durchgeweichten Bereichen des Ruhrdeichs in Oberhausen. © Oberhausen | Michael Dahlke

Diese schlechte Bewertung, die sofort alle Verantwortlichen zum Handeln zwang, fußt nach Darstellung der Bezirksregierung in einer Pressemitteilung auf zwei Faktoren: Erstens gibt es „kritische Schwachstellen“ wegen der Baustruktur des Deiches, aber auch wegen verschiedener Bäume in der Nähe des Deiches.

So sieht die Situation um 11.30 Uhr an Heiligabend im Oberhausener Abschnitt der Ruhr aus. Unten sieht man weißen Abdichtungs-Vlies, der mit schwarzen Sandsäcken befestigt wurde. Das Wasser könnte im Laufe des Tages noch bis zu 40 Zentimeter höher steigen, die Deichkrone würde also nicht erreicht werden. Der Einsatz der auswärtigen Feuerwehr- und THW-Kräfte ist in der Nacht beendet worden.
So sieht die Situation um 11.30 Uhr an Heiligabend im Oberhausener Abschnitt der Ruhr aus. Unten sieht man weißen Abdichtungs-Vlies, der mit schwarzen Sandsäcken befestigt wurde. Das Wasser könnte im Laufe des Tages noch bis zu 40 Zentimeter höher steigen, die Deichkrone würde also nicht erreicht werden. Der Einsatz der auswärtigen Feuerwehr- und THW-Kräfte ist in der Nacht beendet worden. © Stadt Oberhausen | Stadt Oberhausen

Und zweitens geben die Fachkräfte aus Düsseldorf einer Kuhherde eine zentrale Schuld daran, dass der Deich womöglich seine Aufgaben in diesem Hochwasser-Fall nicht über lange Zeit erfüllen kann. „Bei einem Abschnitt des Deiches wurde auf 500 Metern Breite die schützende Grasnarbe durch das Überqueren einer Kuhherde erheblich beschädigt, was zu möglichen Erosionsschäden und Deichversagen führen könnte“, heißt es in der Mitteilung der Aufsichtsbehörde. Deshalb müssen nun genau an dieser Stelle Geotextilmatten, das sogenannte Vlies-Material zur ersten Abdichtung des Deiches, und Sandsäcke „in extrem mühevoller Handarbeit“ von Feuerwehr und THW auf der Flussseite des Deiches verlegt werden.

Oberhausen konnte die Zahl der Einsatzkräfte herunterfahren

Diese massiven Befestigungsarbeiten mit Vlies und Sandsäcken dauerten in der Nacht zu Sonntag bis ein Uhr nachts an. Zeitweise stabilisierten über 300 Einsatzkräfte den Ruhrdeich auf einer Länge von 550 Metern mit drei Lagen Vlies und Sandsäcken zur Seite der Ruhr hoch hinauf. Sechs Meter wurden so in der Höhe breit abgedeckt. Dabei mussten die Helferinnen und Helfer der Feuerwehren und des Technischen Hilfswerks zum Teil anstrengend im Ruhrwasser arbeiten. Die Zahl der Einsatzkräfte und die Besetzung der Einsatzleitung konnten nach Angaben der Stadt schon im Laufe der Nacht zurückgefahren werden. Gegen drei Uhr nachts sind die bis dahin 300 Einsatzkräfte auf 30 Personen heruntergeschraubt worden. Am weiteren Heiligabend werden nur noch eine Handvoll von Stadtbediensteten unterwegs sein, um den Deich zu beobachten und das Verbot für Bürger zu kontrollieren, den Ruhrpark zu betreten.

Der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz (zweiter von rechts) besuchte am Samstagnachmittag den Einsatzort an der Ruhr. An seiner Seite sind Martin Schulze (Leiter Abteilung Kanäle und Straßen / Wirtschaftsbetriebe Oberhausen (WBO), Michael Jehn (Dezernent), und Jürgen Jendrian (Feuerwehr Oberhausen) (von links). 
Der Oberhausener Oberbürgermeister Daniel Schranz (zweiter von rechts) besuchte am Samstagnachmittag den Einsatzort an der Ruhr. An seiner Seite sind Martin Schulze (Leiter Abteilung Kanäle und Straßen / Wirtschaftsbetriebe Oberhausen (WBO), Michael Jehn (Dezernent), und Jürgen Jendrian (Feuerwehr Oberhausen) (von links).  © Oberhausen | Michael Dahlke

In Oberhausen besteht nach Aussage des städtischen Ordnungsdezernenten Michael Jehn aufgrund der umfangreichen Befestigungsmaßnahmen keine Gefahr eines Deichbruchs. „Der Deich ist derzeit stabil“, versichert Jehn der Redaktion am Sonntagmittag. „Die Befestigungsarbeiten gingen rasant voran. Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei allen Einsatzkräften bedanken, alle haben hervorragend zusammengearbeitet und Höchstleistungen erbracht.“

Allerdings: Auf der Landseite des durchweichten Ruhrdeiches ist in einem Bereich am Ruhrpark am frühen Sonntagmorgen auf 50 Metern Wasser durchgekommen. „Dies ist nicht schlimm, sondern durchaus normal, solange das Wasser keine Sedimente des Deiches selbst enthält“, erläutert Jehn im Gespräch mit der Redaktion. Dies sei auch nicht der Fall. Trotzdem habe man schon nachts angefangen, den Deich auch auf der Landseite zu stabilisieren - in dem man erst mit fünf Lastern, dann mit 17 Lastern auf einer Länge von 60 Metern ein Kiesgemisch aufschüttet. Diese Arbeiten mit insgesamt 400 Kubikmeter Kies sind bis 13 Uhr an Heiligabend abgeschlossen - zwölf Stunden sind dann die Kies-Laster im Dauereinsatz gewesen.

Oberhausen geht von nur noch leicht steigenden Pegeln im Laufe des Tages und einem Höchst-Pegelstand in Hattingen von 640 Zentimeter am Nachmittag aus. Das wären 40 Zentimeter mehr als am Sonntagmittag.

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Ursprünglich hatte Oberhausen am Freitagabend geplant, am Fuß des Deiches, knapp vor dem steigenden Wasser der Ruhr, nur eine einzige Lage Vlies und Sandsäcke zu platzieren, doch das hielten die Düsseldorfer Hochwasserschutz-Experten im Laufe des Samstags nicht mehr für ausreichend. Darüber, also höher auf der Deichwand, befestigten die Einsatzkräfte im Laufe der Nacht und des Heiligmorgen zwei weitere Lagen mit jeweils einer Länge von einem halben Kilometer. Deshalb wurden in Oberhausen Einsatzkräfte aus dem gesamten Regierungsbezirk Düsseldorf und aus benachbarten Bereichen des Regierungsbezirks Münster hinzugezogen.

Anordnung der Bezirksregierung Düsseldorf für Oberhausen

Zudem hat die Bezirksregierung angeordnet, dass die Stadt Oberhausen, die rechtlich hochwasserschutzpflichtig ist, mehrere Bäume in der Nähe des Ruhrdeichs fällen muss. Ihre Wurzeln hatten sich bis zum Deich vorgearbeitet - und so mussten am Samstag 50 Bäume geopfert werden. Durch den starken Wind und den daraus folgenden Bewegungen der Baumkronen und Stämme lockern die Wurzeln den Deichboden. Dies gefährdet die Leistungskraft des Deiches enorm. Bäume drohten durch den Sturm und die aufgeweichten Böden sogar umzustürzen. „Zur Sicherung des Deiches waren umfangreiche Baumfällungen unvermeidlich“, schreibt die Düsseldorfer Landesbehörde. Warum die Bäume nicht schon längst gefällt worden sind, muss die Stadt Oberhausen in den nächsten Wochen mit der Kommunalaufsicht klären.

Mit schweren Geräten sind die Feuerwehren und das Technische Hilfswerk (THW) im Einsatz. In Oberhausen wurden Einsatzkräfte aus dem gesamten Regierungsbezirk Düsseldorf und aus benachbarten Bereichen des Regierungsbezirks Münster hinzugezogen.
Mit schweren Geräten sind die Feuerwehren und das Technische Hilfswerk (THW) im Einsatz. In Oberhausen wurden Einsatzkräfte aus dem gesamten Regierungsbezirk Düsseldorf und aus benachbarten Bereichen des Regierungsbezirks Münster hinzugezogen. © Oberhausen | Michael Dahlke

Die Meteorologen rechnen mit weiterhin anhaltenden Regengüssen in NRW mindestens bis Heiligabend einschließlich. Aber auch danach werden weitere Regenfälle erwartet. Deshalb schlussfolgert die Bezirksregierung: „Es ist kein Rückgang der Pegelstände zu erwarten.“ Drei Flüsse haben in Nordrhein-Westfalen bereits sogenannte „Hochwassermeldestufen“ erreicht: Die Issel die Hochwassermeldestufe 1, die Ruhr und die Lippe bereits die Hochwassermeldestufe 2. Diese Stufe bedeutet, dass Acker- und Grünflächen in Teilen bereits überflutet wurden und es zu leichten Verkehrsbehinderungen auf Straßen kommt, weil diese voller Wasser sind. Erst bei der Meldestufe 3 sind auch bebaute Grundstücke und Keller durch Wasser beeinträchtigt.

Hochwasser erreicht wohl nicht die Pegelstände des Jahrhunderthochwassers vom Sommer 2021

Die Bezirksregierung geht nicht davon aus, dass das Hochwasser genauso oder noch höher steigt als beim Jahrhunderthochwasser im Sommer 2021. Damals hatte der für Oberhausen und Mülheim entscheidende Ruhr-Pegel in Hattingen die historische Rekordmarke von 699 Zentimetern erreicht. Jetzt erwarten die Fachleute einen Pegelstand von 640 Zentimetern (Stand: Sonntagmittag) im Laufe des Sonntags.

Der Wasserstand am Hattinger Ruhr-Pegel lässt sich hier exakt und aktuell ablesen: https://www.talsperrenleitzentrale-ruhr.de/daten/internet/onlinedaten/pegel/w/pegel_2769510000100_w.png

Am Sonntagmorgen hat der Hattinger Pegel bereits 600 Zentimeter gemessen. Die Hochwasser-Flutwelle spüren Oberhausen und Mülheim etwa drei bis vier Stunden später. Eine Entwarnung kann die Behörde trotz der nicht mehr so schnell steigenden Pegel jedoch nicht geben, denn entscheidend ist auch, wie lange das hochstehende Ruhrwasser gegen Schwachstellen des Oberhausener Deiches drückt. Im Sommer 2021 ist das Wasser relativ schnell zurückgegangen, diesmal gehen die Fachleute davon aus, dass die Ruhr über eine längere Zeit dieses Hochwasser verkraften muss.

Manchmal muss man sich einen Überblick verschaffen: Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerkes stehen am Samstagabend auf Paletten und beobachten die Lage am Ruhrdeich in Oberhausen.
Manchmal muss man sich einen Überblick verschaffen: Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerkes stehen am Samstagabend auf Paletten und beobachten die Lage am Ruhrdeich in Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Die Bevölkerung wird von den Behörden gebeten, aktuelle Warnhinweise zu beachten, die über das Katastrophenmeldesystem NINA und andere Medien verteilt werden. Die Stadt Oberhausen bittet alle Bürger, die nach Details des Ruhr-Hochwassers fragen wollen, statt der Feuerwehr das Bürgertelefon des Rathauses anzurufen, da die Einsatzleitstelle der Feuerwehr derzeit überlastet ist: 0208-825-2677.