Arnsberg/Sundern. .

Heiligabend ist der Tag im Jahr, an dem die Messen in den katholischen Gemeinden von Massen besucht werden. Zu den Christmetten kommen auch viele Familien, die man sonst das ganze Jahr über nicht in der Kirche sieht. Über das Phänomen „Christmette“ und dessen Einordnung ins heutige Christsein sprach unsere Zeitung mit Propst Hubertus Böttcher aus der Alt-Arnsberger Propsteigemeinde St. Laurentius. Böttcher ist auch Dechant für die Städte Arnsberg und Sundern (HSK-West).

Frage: Wie empfinden Sie es, dass Christmetten rappelvoll sind und in den Wochen und Monaten danach – in den normalen Sonntagsmessen - wieder gähnende Leere auf vielen Kirchenbänken herrscht?

Hubertus Böttcher: Zunächst einmal freue ich mich über jeden, der kommt – unabhängig davon, ob er eine Christmette oder eine Sonntagsmesse besucht. Wir müssen uns an die Tatsache gewöhnen, dass manche Christen vielleicht nur einmal im Jahr zu Weihnachten oder nur alle paar Jahre – vielleicht zu einer Beerdigung – einen Gottesdienst besuchen. Natürlich wäre es schöner, wenn der Besuch häufiger wäre, doch unser christliches Angebot beruht auf Freiwilligkeit: Keiner soll gezwungen werden.

Früher sah das aber noch ganz anders aus.


Im Kontext einer autoritären Erziehung hat man das, was man für richtig hielt, oft mit Angst und auch mit Zwang durchgesetzt, auch im kirchlichen Bereich. Ich bin dankbar, dass das Bewusstsein für die tief christliche Bedeutung von Freiheit einen neuen Stellenwert gefunden hat. Heute gilt das, was mal der frühere Paderborner Weihbischof Drewes in einem schönen Vergleich sagte: Die Kirche soll sich wie ein Ober verhalten, der Getränke anbietet. Die Kirche kann nur anbieten, sie soll aber niemand zum Trinken zwingen.

Immer weniger Menschen wollen in deutschen Kirchen trinken…

(Böttcher schmunzelnd) Das stimmt leider. In den 1950er und 1960er Jahren besuchten in Deutschland noch etwa 60 Prozent der katholischen Gemeindemitglieder die Sonntagsmesse. Heute sind es durchschnittlich etwa 10 bis 15 Prozent. Dieser Rückgang liegt unter anderem daran, dass die Kirche mit ihrem Angebot der Lebensdeutung kein Monopol mehr besitzt. Früher galt es als Abweichung von der gesellschaftlichen Norm, wenn man sonntags nicht in die Kirche geht. Heute gilt die Frage: Welchen Wert hat es für mich in die Kirche zu gehen?

Wie wollen Sie die Leute zurückholen und neu begeistern?

Auf keinen Fall mit einer Ideologie. Wenn sich katholische Menschen als die besseren Menschen verstehen, wäre dies nicht katholisch im Sinne von allumfassend. Auch ohne Taufe können Menschen Gott nahe sein. An Gott glauben heißt: an die Liebe glauben und sich den Menschen zuwenden. Es gibt weitaus mehr liebende Menschen als Kirchgänger. Die Erfahrung lehrt aber auch: Man braucht Quellen, um Glaubenskraft schöpfen zu können. Für mich ist eine solche Quelle die Begegnung mit der Glaubensgemeinschaft. Und diese Glaubensgemeinschaft drückt sich auch im Feiern von Gottesdiensten aus.

Gottesdienste wirken in ihrer heutigen Form sehr reglementiert. Wie sehen Sie das?


In den Anfängen des Christentums kamen Menschen zu Gottesdiensten in kleinen Räumen zusammen. Als das Christentum aber zu einer Volksreligion wurde, waren Regeln für die Gottesdienste nötig. Im Laufe der Jahrhunderte sind daraus feste liturgische Formen geworden. Diese Formen dürfen allerdings nicht in organisierter Frömmigkeit erstarren. Mich überzeugt Tiefe und Echtheit der Glaubenden.

Zurück zur Christmette. Warum ist ausgerechnet die Weihnachtsmesse so stark besucht?

Im Menschen gibt’s ein Ur-Bedürfnis nach Geborgenheit, Familie und menschlicher Nähe. Genau das suchen die Menschen trotz vieler anderer Angebote in den Gottesdiensten an den Weihnachtstagen. Durch Liturgie und Verkündigung versuchen wir auf dieses Urbedürfnis eine echte Antwort zu geben. Und vielleicht sucht mancher mehr - als wir denken – die Liebe Gottes in unseren Gottesdiensten.

Was bedeutet denn nun „Christ sein“?

Christ sein stellt sich heute in einer großen Spannbreite dar. Viele Christen, die vielleicht nur einmal im Jahr einen Gottesdienst besuchen, können dennoch für ihr Leben Impulse aus dem Evangelium erhalten und engagieren sich dann für soziale Aufgaben. Christ sein bedeutet an eine Liebe zu glauben, die größer ist als man hier finden kann. Wir verkünden zu Weihnachten, dass Gott Mensch geworden ist, damit alle Menschen das Heil schauen.

Mit Dechant Hubertus Böttcher sprach Martin Schwarz.