Freienohl. Da wird ein Mensch seit 13 Jahren verfolgt und belästigt und es ist kein Ende in Sicht. Die Justiz bemüht sich - doch sie bekommt das Stalking nicht unterbunden. Möglicherweise ist sie bald mit ihren Paragrafen am Ende. Das Opfer ist auch bald am Ende - mit seinen Kräften.
Dies ist die Geschichte des katholischen Pfarrers Michael Hammerschmidt aus Freienohl. Er ist das Opfer. Sein Fall erinnert an den bekannten Spielfilm „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Da erleben die Akteure einen Tag immer und immer wieder von vorn. Im Film ist das witzig. Bei Hammerschmidt klingt es grauenhaft.
Sterbebegleitung
Es beginnt im Jahr 2001. Hammerschmidt wird zu einer Sterbebegleitung gerufen. Dabei kommt es zu einer verhängnisvollen Begegnung: Die Frau, die ihm später das Leben zur Hölle machen wird, war früher offenbar das Opfer eines Missbrauchs. Büßen dafür soll der Pfarrer, stellvertretend für den Täter, so hat es die Stalkerin dem Geistlichen einmal gesagt.
Am Anfang umschwärmt sie ihn nur, schnell folgen sexuelle Belästigungen und Attacken: Die Frau tanzt nackt vor dem Pfarrhaus. Sie stört Gottesdienste, sie verschickt kübelweise Liebesbriefe, die sie in Parfüm tränkt. Sie betreibt Telefonterror: Anrufe, SMS - täglich, oft im Minutentakt. Zucchini und Maiskolben werden von ihr im Garten garniert und mit Kondomen überzogen, dutzendweise. Sie lauert, sie wartet.
Was macht das mit einem Menschen? „Es macht krank“, sagt Pfarrer Hammerschmidt. „Es geht Lebensfreude verloren.“ Der Seelsorger hat keine ruhige Minute mehr. Er schleicht sich aus dem Haus, um seine Verfolgerin abzuschütteln. Er nimmt das Telefon nicht mehr direkt ab. An den Briefkasten geht er mit einem flauen Gefühl. Und jetzt seit dieser Woche wieder: Diese Magenschmerzen, diese Kopfschmerzen. „Mir geht es schlecht“, berichtet er.
70-Jährige selbst gestellt
Denn diese Woche ist seine Hoffnung auf ein Ende dieses Alptraums wieder einmal geplatzt. Endlich schien es, als ob die Justiz durchgriffe: Ein halbes Jahr lang saß die 70 Jahre alte Stalkerin in Untersuchungshaft. Hammerschmidt erlebte eine nicht mehr gekannte Ruhe, eine himmlische Ruhe. Nachstellung, Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz und Hausfriedensbruch wirft die Staatsanwaltschaft der Frau vor. Sie hatte einen Haftbefehl erwirkt. Hammerschmidt selbst stellte die Frau.
Doch obwohl das Verfahren mehrere Aktenordner füllt und etliche Gutachten vorliegen, ließ das Schöffengericht in Meschede ein weiteres Gutachten anfertigen. Es kommt anders als vorherige Untersuchungen zu folgendem Ergebnis: Die Frau ist nicht schuldfähig. Ist sie damit ein Fall für die Psychiatrie? Nein, das Landgericht Arnsberg lehnte es ab, darüber zu verhandeln, ob die Frau zwangsweise in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden kann. Dafür müsse sie erheblich schwerere Straftaten begehen, erklärte die Kammer.
Fluchtgefahr nicht gegeben
Mehr noch: Die Richter setzten den Haftbefehl gegen die 70-Jährige außer Vollzug. Eine Wiederholungsgefahr von Taten sei hier keine Begründung, eine Fluchtgefahr sah die Kammer nicht mehr. Sie verwies das Verfahren zurück an das Schöffengericht in Meschede, wo der Fall nun verhandelt werden muss.
Dort wird demnächst um Gutachten gerungen. Es gibt mehrere. Mal hielten Experten die Frau für schuldfähig, mal nicht. Das Landgericht deutete an, dass es einen Sachverständigen für besonders kompetent hält. Er glaubt, dass die Frau für ihre Taten voll verantwortlich ist. Es ist ein Fingerzeig, mehr nicht. Das Schöffengericht entscheidet allein, welches Gutachten es für nachvollziehbar hält.
Ein Freispruch wegen Schuldunfähigkeit wäre allerdings der Freibrief zum Stalken. Bliebe es danach bei nackten Tänzen und täglichem Telefonterror - strafrechtlich wäre die Frau nicht mehr zu belangen. Pfarrer Hammerschmidt mag es sich nicht vorstellen.