Meschede. Seit 28 Jahren terrorisiert ein Warsteiner eine Frau aus Meschede. Warum es Stalking-Opfern so schwerfällt, sich zu wehren.

Die Frau wirkt tough: klein, drahtig, schulterlanges blondes Haar, offener Blick. Die 49-Jährige sieht nicht aus wie ein Opfer. Sie erzählt ihre Geschichte frei heraus. „Aber wenn ich im Gerichtssaal aussagen muss und weiß, dass er da sitzt, dann fangen meine Hände an zu zittern.“ Sie vermeidet es, ihn anzusehen. Andere berichten ihr, wie er sie fixiert. Bei der Gegenüberstellung brach sie im Amtsgericht Meschede in Tränen aus.

An einem Prozesstag hatte der Angeklagte einen Schwächeanfall. Rettungswagen und Notarztwagen stehen im November 2022 vor dem Amtsgericht Meschede. 
An einem Prozesstag hatte der Angeklagte einen Schwächeanfall. Rettungswagen und Notarztwagen stehen im November 2022 vor dem Amtsgericht Meschede.  © WP | Ute Tolksdorf

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Die Geschichte

Am 1. März 1997 zog die gebürtige Meschederin in eine neue Wohnung in Warstein. Ein Zufall: „Eigentlich wolle meine Freundin das Apartment nehmen, aber es gefiel ihr nicht.“ Kurz darauf begannen die Anrufe. „Legte ich auf, rief er direkt wieder an. Ließ ich das Gespräch laufen, blieb er dran - über Stunden.“ Dabei sprach er nie. „Ich habe meinen Vermieter nach dem Anrufer gefragt. Er sagte, er habe da einen Verdacht, und er werde mal mit dem Mann reden. Doch das half nicht, es wurde nur schlimmer.“ Der Mann war ihr direkter Nachbar. „Er lag im Fenster, wenn ich nach Hause kam, beobachtete mich.“ Auch ihre Freundinnen terrorisiert er zeitweilig. „Ich weiß nicht, wie er die Nummern herausbekommen hat.“

Heute bin ich sein Feindbild Nummer eins.
Stalking-Opfer - wird seit 28 Jahren gestalkt

Bis zu 300 Anrufe am Tag zählte sie. Zeitweise stand sie nicht allein im Fokus. „Wir waren bis zu 30 Frauen in Warstein, haben uns auch mal getroffen.“ Doch das hörte auf. „Heute bin ich sein Feindbild Nummer eins.“

Perverse Mails an die Arbeitsagentur

Irgendwann begann er bei ihrem Arbeitgeber, der Arbeitsagentur Meschede, anzurufen. Da durfte er sie offiziell schon lange nicht mehr kontaktieren. Er schickte ihr perverse Mails, zeigte sie gar bei ihrem Vorgesetzten an, weil sie ihm angeblich beleidigende Post geschickt habe. Dabei erwies sich der gelernte Techniker als trickreich und durchtrieben. Nur weil er einen Fehler machte, konnte man ihn als Absender der Mails nachweisen - „und ich meinen Arbeitsplatz behalten.“ Von 2008 bis 2012 war er das erste Mal in Haft. Damals wohnte er schon nicht mehr im Sauerland. „Selbst aus der Haft hat er telefoniert, und im Anschluss ging es wieder los.“

Fangschaltungen eingerichtet

Immer wieder ließen die Frau und ihr Arbeitgeber Fangschaltungen einrichten. Für zwei Wochen kann das jeweils beantragt werden. „Denn ich musste ja nachweisen, dass er es war.“ Meist telefonierte der Mann anonym, wechselte dafür die Prepaid-Karten. Manchmal schickte er die Nummer mit. Ein Versehen? Von ihrem Umfeld bekam sie oft zu hören: „Stell dich nicht so an, der telefoniert doch nur.“

Terror schließt auch Familie ein

Heute ist die Meschederin verheiratet, hat einen erwachsenen Sohn und der Terror schließt auch ihre Familie ein. „Das schwirrt immer im Kopf herum.“ Sie leidet psychisch und körperlich. Zeitweilig hatte ihr Mann Schichtarbeit. „Wenn es dann nachts im Haus knackte, saß ich senkrecht im Bett.“ Ein Wachhund sollte ihr Sicherheit geben. Aber der musste ausgeführt werden. „Hinter jeder Hecke sehe ich Gespenster.“ Sie steigt nicht in ihr Auto, ohne vorher die Reifen zu kontrollieren. „Bei einer Freundin, die auch Anrufe erhielt, waren die Radmuttern gelöst. Da konnte ein Täter nicht ermittelt werden.“ Die Angst begleitet sie immer, auch dass er mal mehr macht. „Vor Gericht hat er mal gesagt, dass er alle, die ihn angezeigt haben, vor die Wand stellen und erschießen wird.“

Zur falschen Zeit am falschen Ort

2018 nahmen die Anrufe am Arbeitsplatz extrem zu. „Er begann, sich durchs Amt zu telefonieren, um meine Telefonnummer herauszubekommen.“ Damals gab es viele mitfühlende Kommentare: „Wie hältst du das bloß aus?“ Aber natürlich kam auch hintenrum der Vorwurf: „Warum macht der das, du hattest doch bestimmt mal was mit dem?“ „Nein“, sagt sie resigniert. „Ich war nur zur falschen Zeit am falschen Ort“,

Beim Prozess im  März 2021. Der Angeklagte verbirgt den Kopf auf dem Tisch in seinen Armen.
Beim Prozess im März 2021. Der Angeklagte verbirgt den Kopf auf dem Tisch in seinen Armen. © Jürgen Kortmann

Haft bis 2027

Im Moment kann sie ein wenig aufatmen. 2023 wurde der Warsteiner, der mittlerweile in Bayern lebt, zu vier Jahren Haft verurteilt. Drei Jahre wäre die Höchststrafe für Stalking gewesen - dazu kamen diverse Vorstrafen. 2027 ist er wieder auf freiem Fuß. „Und dann fängt alles wieder von vorn an.“ Sie fürchtet es nicht, sie weiß es. Und sie hofft, dass diesen Text auch Richter, Staatsanwältinnen, Politiker und Anwältinnen lesen, die sich dann dafür starkmachen, dass Stalking-Opfer mehr Rechte bekommen. „Ich weiß, das ist kein Einzelfall. Es passiert öfter, als man denkt, und es passiert auch Schlimmeres.“ Der Mann sei krank, ja, aber keinesfalls schuldunfähig. Bei allem, was er tue, gehe er sehr planvoll vor. Und er zeige weder Reue noch Einsicht.

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„Es ist richtig, dass ich nachweisen muss, dass er mich stalkt, aber alles dauert so unendlich lange“, sagt sie und schiebt nach: „Ich wünsche ihm nichts Schlechtes. Ich will nur, dass es aufhört.“ Und dann strafft sie die Schultern. „Aber ich werde mich auch nicht verkriechen!“