Ramsbeck. Die Bäckerei Hamich in Ramsbeck hat Lebensmittelverschwendung mit Überraschungstüten den Kampf angesagt. Das kommt in die Tüte.
Pling, Pling ertönt es aus dem Lautsprecher des Handys. „Das ging schnell“, sagt Sandra Rickert und lacht. Wahrlich! Keine zwei Minuten sind vergangen, seit sie die Anzahl ihrer heute zur Verfügungen stehenden Überraschungstüten in der App um zwei hochgesetzt hat. Das doppelte Pling aus dem Handy signalisiert: Beide Tüten sind verkauft. Damit hat die Bäckerei Hamich wieder Backwaren gerettet.
So einfach wie wirkungsvoll
Sandra Rickert betreibt gemeinsam mit ihrem Mann Ralf die Bäckerei Hamich in Ramsbeck sowie eine weitere Filiale in Siedlinghausen. Gemeinsam haben die beiden der Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt. Die Idee hinter den Überraschungstüten ist so einfach wie wirkungsvoll: Überschüssige Backwaren werden am Ende des Tages nicht weggeworfen, sondern in Tüten verpackt und über die Plattform „Too Good To Go“ zu einem Bruchteil des normalen Preises an Kunden verkauft. Für gerade einmal drei Euro gibt es Waren im Wert von mindestens neun Euro. „Hier steht allerdings niemand mit dem Taschenrechner daneben, wenn wir die Tüten befüllen“, sagt Sandra Rickert. Nicht selten gehe der Wert sehr deutlich über neun Euro hinaus. Eigentlich sei immer mehr drin, als drin sein müsste. In der Regel werde versucht, den Inhalt der Tüten zu Dritteln, sagt Rickert und zählt auf: „Ein Drittel Brot, ein Drittel Süßes und ein Drittel Körnerbrötchen“. Einfache Weizenbrötchen sucht man in den Rettertüten hingegen vergebens. Sie werden zu Paniermehl verarbeitet.
Ein gutes Gefühl
Mit mindestens sechs solcher Tüten machen Sandra und Ralf Rickert Tag für Tag Menschen glücklich. Und sich selbst auch. Denn es sei schließlich ein gutes Gefühl, die Sachen nicht wegzuwerfen, sondern sie in gute Hände zu geben, sagt Sandra Rickert. Und bei Bedarf sind es eben auch mehr als sechs Tüten. So wie an diesem Tag, an dem Rickert nach einem kurzen prüfenden Blick in die noch üppig gefüllte Auslage entscheidet: Heute wird es acht solcher Rettertüten geben.
Eine Bäckerei zu führen, die keinen Überschuss produziert, sei quasi so gut wie unmöglich, sagt Sandra Rickert. Außer vielleicht, wenn man in Kauf nehme, dass zu vorgerückter Stunde viele Kunden den Laden enttäuscht und sogar verärgert wieder verlassen, weil sie kein Brot oder keine Körnerbrötchen mehr bekommen. „Das kann man sich einfach nicht leisten“, sagt sie. Denn im schlimmsten Fall sehe man einen verärgerten Kunden nie mehr wieder und es hagele im Nachgang noch eine unfaire schlechte Google-Bewertung. Weil in einer Bäckerei eben kein Tag wie der andere sei, lasse sich die Produktion nie hundertprozentig kalkulieren. „Aus meiner Sicht sind Bäckereien deswegen wie geschaffen für ‚Too Good To Go‘“, betont Rickert.
Unbegründete Sorge
Dass ihre Bäckerei im Raum Bestwig, Meschede, Eslohe und Schmallenberg die einzige ist, die auf diesem Weg Rettertüten anbietet, ist für sie daher schwer nachzuvollziehen. „Vielleicht haben andere einfach die Sorge, sich damit das eigene Geschäft kaputtzumachen, weil sie glauben, dass Kunden nur darauf warten, bis die günstigen Rettertüten angeboten werden“, vermutet Sandra Rickert. Dem aber, so kann sie beruhigen, sei mitnichten so. Die Erfahrung habe gezeigt, dass vielmehr das Gegenteil der Fall ist. Wer seine Rettertüte abhole, nehme auf diesem Wege oft gerne auch noch etwas anderes mit.
Überzeugung und Idealismus
Bei den Abholern handele es sich nämlich nicht ausschließlich um Menschen, die jeden Cent dreimal umdrehen müssen, bevor sie ihn ausgeben, betont Rickert. Viele der Stammkunden, die es für die Überraschungstüten inzwischen gebe, handelten aus Überzeugung und Idealismus, weiß sie. „Weil sie eben bewusst verhindern wollen, dass Lebensmittel, die immer noch gut sind, im Müll landen.“
Trotz der Überraschungstüten kommt auch die Mescheder Tafel weiterhin dreimal in der Woche in den Genuss von Backwaren aus der Bäckerei Hamich. Sie hole andere Überschüsse ab, als die, die in den Überraschungstüten landen, erklärt Rickert und ergänzt: „Die Tafel kommt wegen der Tüten nicht zu kurz“.
Kunden nicht nur aus Ramsbeck
Reich könne man mit den Rettertüten für drei Euro natürlich nicht werden, sagt Sandra Rickert und lächelt. Neben dem guten Gefühl sei es aber auch durchaus ein Image-Gewinn, den die Rettertüten im Laufe der Zeit für die Bäckerei Hamich mit sich gebracht hätten. Die Idee komme bei den Kunden gut an. Und die kommen längst nicht nur aus Ramsbeck, sondern inzwischen unter anderem auch aus Velmede, Bestwig und Meschede. Und oft sind auch Urlauber unter den Backwaren-Rettern. „Viele kennen das Prinzip und die App bereits aus der Stadt“, so Rickert.