Meschede/Werl. Der Mescheder Joachim Kemper ist als Bio-Gemüsebauer im Sauerland eine Ausnahme. Im Interview verrät er, wie er Bio fit für die Zukunft macht.

Joachim Kemper ist Bioland-Bauer aus Meschede. Sein Hof liegt in Werl. Dort baut er Gemüse an und verpackt es für Biosupermärkte von Alnatura und „dennree“ in ganz Deutschland. Unterstützt wird er dabei von seinem Sohn Peter und seiner Frau Birgit. Auch die Töchter greifen neben Job und Studium als Erntehelfer ins Rad. Wie er - ohne eigenen Hof - zum Landwirt wurde und warum er auf Bio setzt, verrät er im Interview.

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Biolandwirt im Gemüseanbau - das gibt es im Hochsauerland schon wegen der Böden selten.

Das stimmt so nicht ganz: Biolandwirte gibt es einige, in Grafschaft sind zum Beispiel alle Höfe auf ökologischen Landbau umgestellt. Dort liefern unter anderem drei Milchviehbetriebe ihre Milch an die Bio-Milcherzeugergemeinschaft (Bio-MEG) der Mittelgebirgsbauern, deren Vorsitzender ich bin. Insgesamt vermarkten wir für 70 Landwirte über 40 Millionen Kilogramm Milch an die Molkerei „Moers Frischeprodukte GmbH“.

Aber richtig ist: Gemüsebau ist eine Seltenheit im Sauerland. Dass wir ihn als Mescheder betreiben, kommt daher, dass wir 2015 wieder in mein Elternhaus gezogen sind und hier die Verwaltung und der Sitz der Firmen ist. Wegen der besseren Anbaubedingungen und optimalen Böden haben wir unsere Hofstelle in Werl-Büderich. Von hieraus bewirtschaften wir entlang der B1 allerbeste Bördeböden, die mit bis zu 90 Bodenpunkten zu den fruchtbarsten in ganz Deutschland gehören.

 Joachim  Kemper mit seinem Sohn Peter im Gemenge aus Triticale und Wintererbsen 2023
Joachim  Kemper mit seinem Sohn Peter im Gemenge aus Triticale und Wintererbsen 2023 © Privat | Privat

Wie kam es dazu und sind Sie da ein Idealist oder ein nüchterner Rechner?

Der Umstellungsgedanke auf den ökologischen Landbau kam 2001 nach einer schweren Erkrankung. Mit der Umstellung kam auch der Gedanke zur eigenständigen Vermarktung und unser Motto: „Wenn Bio von Herzen kommt“. Das soll heißen, wir stehen voll hinter dem was wir tun und wofür wir angetreten sind.

Der Hof liegt in Werl, Sie selbst leben in Meschede – was in der Industrie gang und gäbe ist, erscheint für den Landwirt ungewöhnlich. Warum machen Sie das so?

Weil wir uns als Sauerländer in Meschede wohl fühlen, hier zur Schule gegangen sind, unsere Familie und Freunde hier leben und wir hier einfach zu Hause sind. Unser Job verlangt von uns 24/7 im Einsatz zu sein, da ist ein räumlicher Abstand zum Betrieb von Vorteil, der technische Fortschritt macht es möglich.

 Im landwirtschaftlichen Betrieb der BIOLANDBAU Kemper GmbH wird auch ein Sä- und Hackroboter eingesetzt. Die Maschine merkt sich über GPS den Ablageort der Saat und hackt die Kultur ohne Beschädigung der Pflanzen. Die Jätestunden konnten um 75 Prozent gesenkt werden und der Mehrertrag stieg.
Im landwirtschaftlichen Betrieb der BIOLANDBAU Kemper GmbH wird auch ein Sä- und Hackroboter eingesetzt. Die Maschine merkt sich über GPS den Ablageort der Saat und hackt die Kultur ohne Beschädigung der Pflanzen. Die Jätestunden konnten um 75 Prozent gesenkt werden und der Mehrertrag stieg. © Privat | Privat

Neben Getreide bauen Sie vor allem Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln an – was macht da der Biolandwirt vor allem anders?

Entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg ist eine mindestens fünfgliedrigen Fruchtfolge und auch als Gemüsebaubetrieb ist hier das Kleegras von entscheidender Bedeutung. Klee ist eine Leguminose und speichert an den Wurzeln Stickstoff aus der Luft in Knöllchenbakterien, diese stehen den Folgekulturen dann wieder als Nährstoff zur Verfügung. Somit sparen wir den Einsatz von synthetischem Dünger. Durch mehrmaliges Schneiden hat Kleegras auch eine Reinigungsfunktion und hilft so bei der Beikrautregulierung. Den Aufwuchs tauschen wir mit befreundeten Bio-Betrieben und erhalten dafür Nährstoffe in Form von Substraten aus Bio-Biogasanlagen. Ansonsten unterscheidet uns, dass wir keinen Pflanzenschutz in Form von Pestiziden und Herbiziden einsetzen, wir spritzen ausschließlich Micronährstoffe wie Silicium, Schwefel, Molybdän, Bor oder Mangan und das auch nur, wenn wir Mangelerscheinungen an den Pflanzen feststellen. Ansonsten fördern wir das Bodenleben mit dem Anbau von Zwischenfrüchten und dem Einsatz von Gesteinsmehl.

Solarbetriebene Geräte werden im Gemüsebau immer mehr Einzug halten. Der Betrieb Kemper hat in diesem Jahr den ersten „Flieger“ zum Beikraut jäten auf Solarbetrieb umgestellt und somit einen Schlepper eingespart.
Solarbetriebene Geräte werden im Gemüsebau immer mehr Einzug halten. Der Betrieb Kemper hat in diesem Jahr den ersten „Flieger“ zum Beikraut jäten auf Solarbetrieb umgestellt und somit einen Schlepper eingespart. © Privat | Privat

Die Arbeit ist personalintensiv – Facharbeiter sind knapp, wie steuern Sie gegen?

Unsere Produktionsweise unterscheidet sich erstmal nicht von der konventionellen Landwirtschaft, wir pflügen, ackern und säen genauso wie unsere Kollegen. Allerdings striegeln oder hacken wir die Kulturen, um das Beikraut zu regulieren. Im Gemüsebau ist das natürlich deutlich arbeitsintensiver, hier können wir bei den Spezialkulturen im Vorauflauf das Beikraut abflämmen, danach werden Hackmaschinen eingesetzt und zum Schluss erfolgt die Handjäte. Bei Möhren und Zwiebeln benötigen wir ca. 300 Arbeitsstunden pro Hektar. Hierfür haben wir von Mitte Mai bis Mitte Juli Saisonarbeiter beschäftigt. Um dem Personalmangel vorzubeugen, hat unser Sohn Peter in dieser Saison zum ersten Mal für den Zwiebelanbau einen solarbetriebenen Sä- und Hackroboter eingesetzt. Die Maschine merkt sich über GPS den Ablageort der Saat und hackt die Kultur ohne Beschädigung der Pflanzen. Die Jätestunden konnten um 75 Prozent gesenkt werden und der Mehrertrag stieg. Solarbetriebene Geräte werden im Gemüsebau immer mehr Einzug halten, so haben wir dieses Jahr den ersten „Flieger“ zum Beikraut jäten auf Solarbetrieb umgestellt und somit einen Schlepper eingespart, was dem Klimawandel sehr entgegenkommt.

Spüren Sie den Klimawandel und wie versuchen Sie dem zu begegnen?

Ja, wir spüren den Klimawandel mit all seinen Auswirkungen. Teilweise über die langen Trockenphasen aber dann auch wieder durch enorm lange Regenperioden. Für die Trockenphasen haben wir uns eine komplette Beregnungsanlage angeschafft. Dabei haben wir darauf geachtet, dass das Wasser sparsam über kleine Tropfen in einem „Düsenwagen“ dem Boden zugeführt wird. Speziell für den Auflauf der Feinsämereien wie Möhren und Zwiebeln haben wir eine Pflanzenschutzspritze umgebaut, die mit Duschköpfen versehen, nur die Saatfläche bewässert, das spart 75 Prozent der Wassermenge. Ackerbaulich muss man sich auf andere Sorten einstellen. Das haben wir 2022 deutlich gesehen. Bei über 40 Grad haben einige Kartoffelsorten sofort den Kopf hängenlassen, andere waren weiterhin grasgrün und sind problemlos gewachsen. Schlimmer sind allerdings die langen und heftigen Regenperioden wie in diesem Jahr. Da hilft als Vorsichtsmaßnahme nur eine Hagel- bzw. Elementarversicherung.

Wie reagieren konventionelle Landwirte, wenn Sie von Ihren Anbaumethoden berichten?

In den ersten Jahren war das noch recht schwierig, heute ist das anders. Viele Berufskollegen akzeptieren uns Bio-Betriebe, die ihre Nische gefunden haben und mittlerweile gibt es einen guten Austausch untereinander. Manche Maßnahmen haben auch im konventionellen Landbau Einzug halten. Dadurch rücken wir wieder näher zusammen. Wir wollen alle mit der Natur im Einklang leben. Wichtig ist, dass wir uns nicht politisch von Parteien und Verbänden vor den Karren spannen lassen.

Für den Zwiebelanbau wird der Sä- und Hackroboter eingesetzt.
Für den Zwiebelanbau wird der Sä- und Hackroboter eingesetzt. © Privat | Privat

Auch im Biolandbau gibt es Vorgaben, wie die geernteten Früchte für den Markt aussehen müssen. Wie viel geht da im Jahr in die Tonne?

Vorgaben über Größe, Aussehen und Qualität gibt es bei unseren Abnehmern auch. Oft schüttelt man mit dem Kopf, Möhren zu dick, zu lang oder zu krumm. Der Ausschuss geht in die Saftindustrie oder wird von den Milchviehbetrieben der BIO-MEG verfüttert. Oft hören wir dann, dass kann man doch bedenkenlos verwerten, die Qualitätsmanager des Handels sehen das allerdings anders, von unserer geernteten Menge sind das bis zu 30 Prozent, die nicht in den Lebensmittelhandel fließen.

Konsumenten beklagen, dass Lebensmittel so viel teurer geworden sind. Wie viel vom Preis kommt da vom Erzeuger und wie viel vom Händler?

Grundsätzlich sind alle Lebensmittel teurer geworden, das ist so, allerdings hat in den letzten Wochen eine Studie eines führenden Lebensmittelkonzerns gezeigt, dass konventionelle Markenprodukte überdurchschnittlich teurer geworden sind und sogar deutlich über den Bio-Markenprodukten kosten. Das heißt, dass Bioprodukte aktuell günstiger sind als konventionelle Markenprodukte. Leider scheint der Verbraucher dies noch nicht erkannt zu haben. Das liegt mit Sicherheit am Handel, der den Verbraucher in 2021 und 2022 total irregeführt hat. So kostete im Frühjahr des vergangenen Jahres ein Liter Bio-Milch beim Discounter 1,69 Euro statt vorher 1,04 Euro. Das waren 65 Cent auf einen Schlag mehr! Bei uns Bio-Milchviehhaltern sind aber nur 2 Cent mehr Milchgeld angekommen. Mittlerweile kostet die Milch nur noch 1,35 Euro, das entspricht den Mehrkosten für Transport und so weiter, doch wir Landwirte bekommen jetzt 10 Cent weniger Milchgeld, da fragt man sich, wer sich das Geld in die Tasche steckt? Wo sind da die Verbände wie Bioland, die uns an die großen Discounter verkauft haben, Bioland an Lidl, Naturland an Aldi. Alle machen sich die Tasche voll nur beim Erzeuger kommt nichts an. Im Naturkosthandel allerdings ticken die Uhren noch etwas anders. Die Preisverhandlungen werden auf Augenhöhe geführt und entsprechend honoriert.

Bisher bekommt man Ihre Produkte nicht in Meschede. Wäre ein Hofverkauf an Ihrem Haus im Mescheder Norden oder über andere Hofläden eine Option?

Wir sind zur Zeit ausschließlich auf den Großhandel ausgelegt. Unsere Ware geht palettenweise mit einer Spedition auf die Reise. Für Direktvermarkter und den regionalen Lebensmitteleinzelhandel haben wir allerdings eine eigene Verpackung entworfen und können uns vorstellen, dieses weiter auszubauen. Einen Verkauf ab unserem Haus in Meschede werden wir derzeit nicht forcieren.

HINTERGRUND

Joachim Kemper ist 59 Jahre alt, verheiratet und hat mit seiner Frau Birgit vier Kinder.

Nach dem Besuch der Höheren Handelsschule machte er eine kaufmännische Ausbildung im Landmaschinenhandel. 1997 pachtete er als Quereinsteiger einen landwirtschaftlichen Betrieb, im Jahr 2001 erfolgte die Umstellung auf den ökologischen Landbau. Seitdem gehört sein Betrieb Deutschlands größtem Anbauverband „BIOLAND“ an. Seit 2023 ist der Betrieb auch „Naturland“ zertifiziert.

Das Unternehmen hat zwei Standbeine: Einmal den landwirtschaftlichen Betrieb, die „BIOLANDBAU Kemper GmbH“, dort werden auf ca. 170 ha – 40 ha Kartoffeln und 30 ha Gemüse (Möhren und Zwiebeln) angebaut, ansonsten 60 ha Speise.- und Futtergetreide wie Dinkel, Winter-Weizen, Erbsen und 30 ha Kleegras sowie 18 ha Grünland für eine kleine Milchviehhaltung.

Die Leitung der Außenwirtschaft hat Peter Kemper (28) als staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt. „Er ist ein begnadeter Ackerbauer und setzt durch den Einsatz von zukunftsweisender Landtechnik neue Akzente“, freut sich der Vater. Außerdem beschäftigt die „BIOLANDBAU“ zwei landwirtschaftliche Gehilfen, einen Auszubildenden und bis zu 16 Saisonarbeiter.

Das zweite Standbein ist die „BIOGEMÜSE Kemper GmbH“, hierüber werden alle Erzeugnisse der eigenen Landwirtschaft vermarktet. Hauptabnehmer sind 150 Biosupermärkte von Alnatura, die über ganz Deutschland verteilt sind. Kempers verpacken für Alnatura seit fast 20 Jahren Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln. Seit 2022 gehören auch die 60 in NRW gelegenen Bio-Supermärkte von „dennree“ zu den Kunden.

Das alles leistet der Betrieb mit zwölf Mitarbeitern in der Produktion und der Unterstützung von Birgit Kemper, die für die Buchführung und die Personalangelegenheiten der Betriebe verantwortlich ist.