Schmallenberg. Schmallenbergs Ärzte und Apotheker treten in den Streik. Warum das so ist und was das für Patienten bedeutet.
Am kommenden Mittwoch (15.11.) werden die meisten Apotheken und Arztpraxen in Schmallenberg ihre Türen geschlossen halten. Der Grund: Ärzte und Ärztinnen, Apotheker und Apothekerinnen sind am Limit. Sie treten in den Streik und hoffen, dadurch Patienten wachzurütteln. „Sie müssen den Druck an die Politik weitertragen“, sagt Katja Köhler, Ärztin aus Schmallenberg. „Dort will man ja Wahlen gewinnen. Und vielleicht ist das dann ein Grund, endlich auf uns zu hören.“
Die Funktionärin und Hausärztin
Offiziell streiken dürfen Ärzte nicht. Die Schmallenberger schließen daher zum Großteil ihre Praxen, um an internen Fortbildungen teilzunehmen. Katja Köhler hat die Praxisleitung ihrer Praxis 360 Grad Mensch in diesem Sommer an ihren Kollegen Martin Riffelmann abgegeben. Auch da war die aktuelle Entwicklung der Grund. „Ich bin Ärztin geworden, um Menschen zu behandeln, nicht um Formulare auszufüllen und mich mit Krankenkassen herumzustreiten.“ Indirekt tut sie das jetzt doch wieder. Seit zwei Wochen ist sie Mitglied im Vorstand des Hausärzteverbandes. „Man kann nicht immer nur meckern, man muss sich auch engagieren“, sagt sie und versucht so ihren Ärger zu kanalisieren.
Der Hausarzt
Ihr Kollege, Dr. Matthias Schmidt aus Bad Fredeburg, ist über die langjährige Entwicklung verärgert: „Die Praxen sterben weg und es interessiert niemand. 2015 gab es in Westfalen-Lippe nur einen Ort, wo eine Niederlassung als Hausarzt durch die Kassenärztliche Vereinigung gefördert wurde, weil niemand dorthin wollte. Heute sind es knapp 50 geförderte Niederlassungsmöglichkeiten, also Orte ohne Arzt auf der Liste und es werden ständig mehr.“
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Der Mediziner beklagt neben der ausufernden Bürokratisierung auch die chronische Unterfinanzierung und die seit 30 Jahren andauernde Budgetierung und nennt Beispiele: Während Kosten für Gehälter, Praxis-Software, Digitalisierung, Lieferanten, Reparaturen etc. ständig steigen, blieben die Gebührensätze der Ärzte deutlich unterhalb der Inflationsrate. „Selbst die oft genannten Sätze für Privatpatienten – ohne die das System schon längst zusammengebrochen wäre – liegen noch auf der gleichen Höhe wie vor etwa 30 Jahren – 10,72 Euro für eine ausführliche ärztliche Beratung“, so Schmidt.
Er möchte als Internist seinen Patienten qualifizierte Ultraschalldiagnostik anbieten, aber mit 16,43 Euro brutto für eine Bauch-Ultraschalluntersuchung könne man fünfstellige Anschaffungskosten für Geräte und teure Reparaturen nicht gegenfinanzieren. Das System sei chronisch unterfinanziert, deshalb müsse sich auch niemand wundern, dass für junge Mediziner eine Niederlassung als Hausarzt nicht attraktiv ist.
Ein großes Ärgernis sei auch die ständige Bedrohung durch Regresse der Krankenkassen: „Mit großem Engagement versorgen wir als Hausärzte unsere Patienten, müssen aber immer damit rechnen, verordnete Therapien bzw. Medikamente nach Einzelfallprüfung der Kassen im Nachhinein selbst bezahlen zu müssen, eine unerträgliche Zumutung, das muss ein Ende haben“
Für Schmidt und Köhler ist klar: Die Politik ist am Zug. Es könne nicht sein, dass in den Absprachen zwischen Krankenkassen und Kassenärztlicher Bundesvereinigung die Preise von den Kassen weiter diktiert würden. „Das ganze System ist krank.“
Der Apotheker
Das würde auch Jan-Wilhelm Prein so unterschreiben. Der Apotheker ist Inhaber von drei Filial-Apotheken in der Region, der Elisabeth-Apotheke in Ramsbeck, der Falken-Apotheke in Bestwig und der Löwen-Apotheke in Schmallenberg. Auch er beteiligt sich am Protesttag. Von der Politik fühlt er sich aber bereits verlassen. „Die Dinge, die unser Gesundheitsminister nach den letzten Protestaktionen gesagt hat, haben mich auch menschlich enttäuscht. Sie zeigen mir, dass er unsere Arbeit überhaupt nicht wertschätzt. Politik ist ignorant. Sie will gar nicht mehr sehen, was uns bewegt.“ Dabei hätten die Apotheken in der Coronazeit gezeigt, dass sie über ein funktionierendes, sicheres System verfügten.
Vor der aktuellen Entwicklung, dass zum Beispiel bestimmte Medikamente nicht zu haben sind, weil sie im Ausland hergestellt werden, habe man seit Jahren gewarnt. Wie bei den Ärzten werde es immer schwieriger, Nachfolger für Apotheken zu finden. „Pro Tag schließen zwei Kollegen ihre Türen für immer. Für 2023 werden um die 600! Schließungen prognostiziert – Tendenz steigend! “ Wir haben heute die geringste Apothekenanzahl in Deutschland seit 44 Jahren.
Beim Ertrag seien die Apotheken abgekoppelt vom Markt, „aber auch wir müssen die hohe Inflation tragen, zahlen höhere Gehälter und Energiekosten.“ Gesundheitsminister Lauterbach wolle nun, um die Kosten zu senken, die Qualität reduzieren. „Weniger Labore, weniger Apotheker, weniger Notdienste, Apotheken-light und zusätzlich die Installation von Gesundheits-Kiosken - damit zerstört er ein funktionierendes System.“