Meschede. Am 9. November findet traditionell der Schweigemarsch in Meschede statt. Diesmal steht er unter den schwierigen Vorzeichen. Was das bedeutet.

Nach dem Überfall, der Hamas auf Israel mit 1400 Toten und 4600 Verletzten - dem tödlichsten Angriff auf Juden seit dem Holocaust - steht der Schweigemarsch in Meschede in diesem Jahr unter besonderen Vorzeichen. Gleichzeitig mehren sich die Angriffe auf Juden auch in Deutschland. Pater Guido Hügen OSB ist einer von Menschen aus verschiedenen Organisationen, die den Schweigemarsch tragen. Auch er blickt mit Sorge auf die Entwicklung.

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Wird die aktuelle Entwicklung Thema des Schweigemarsches sein?

Pater Guido Hügen: Unser Schweigemarsch lebt vom Schweigen und Erinnern. Es ist keine politische Demonstration, und es gibt daher auch kein aktuelles Thema. Es gibt allerdings Impulse von den drei beteiligten Schulen, einmal auf dem Stiftsplatz, am Jüdischen Friedhof und vor der Alten Synagoge und ich werde eine kurz begrüßen. Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht, was ich sagen werde, oder welchen Fokus die Schüler des Städtischen Gymnasiums zum Beginn setzen. Bisher hat unsere Vorbereitung vor dem 7. Oktober stattgefunden. Da war der Angriff der Hamas noch kein Thema. Es geht aber grundsätzlich darum, mithilfe des Erinnerns ein Bewusstsein zu schaffen, dass so etwas wie der Holocaust nie wieder passieren darf.

Alle Teilnehmer sind aufgerufen, eine Kerze mitzubringen. Hier ein Bild aus dem Jahr 2021.
Alle Teilnehmer sind aufgerufen, eine Kerze mitzubringen. Hier ein Bild aus dem Jahr 2021. © WP | Ute Tolksdorf

Sind Sie überrascht über die Judenfeindlichkeit in muslimischen Communitys und wie schätzen Sie die hier vor Ort ein?

Ich glaube nicht, dass das für uns hier zum Thema wird, da ja auch Muslime traditionell am Schweigemarsch und der Erinnerung an den Holocaust teilnehmen. Und Judenfeindlichkeit oder Ausländerhass trifft man leider vermehrt auch in der Mitte der Gesellschaft.

Machen Sie sich darüber konkret Sorgen?

Auf jeden Fall! Und das betrifft den Judenhass in Teilen der muslimischen Community genauso wie Judenhass und Ausländerfeindlichkeit in Teilen der deutschen Gesellschaft. Auch das bricht aktuell deutlich wieder auf. Oft reicht es von einer berechtigten Kritik an der Politik des israelischen Staates zu einer Feindlichkeit gegen alle Juden. Auch wer die anti-israelischen Demonstrationen verurteilt, darf nicht alle Muslime verurteilen. Wenn ich allerdings sehe, wie es die AfD schafft, Menschen für ihre Parolen zu begeistern, scheint es umso wichtiger, daran zu erinnern, dass so etwas wie im Nationalsozialismus hier nie wieder passieren darf.

Fürchten Sie nicht, dass auch der Schweigemarsch gestört werden könnte?

Ich rechne nicht damit. Bei der letzten Besprechung mit der Polizei hieß es von dort, man sei vor Ort, wachsam, aber nicht besorgt.

Es gab es im Vorfeld keine Diskussionen mit den teilnehmenden Muslimen?

Nein, keine. Ich halte es auch für gefährlich, wenn man jetzt versucht, die deutsche Bevölkerung zu spalten, indem man gegen „die Muslime“ hetzt. Die Situation in Israel ist nicht einfach, über die internationale Pfadfinderschaft habe ich Kontakte zu palästinensischen, jüdischen und christlichen Pfadfindern. In Israel sind rund 18 Prozent der israelischen Bevölkerung Araber. Und die Hamas sind nicht „die Palästinenser“. Es gibt sicher berechtigte Kritik an der Siedlungspolitik Israels, an dem riesigen Grenzzaun, an den aktuellen Angriffen - an unserer Haltung zu Israel gibt es aber nichts zu rütteln. Das hat Wirtschaftsminister Robert Habeck meiner Meinung nach sehr gut zusammengefasst. Und das sehen auch die friedlichen Palästinenser so. Das Leid dieses Krieges trifft alle.

Wie wollen Sie reagieren, wenn „Free Palästina“ zum Thema wird, Fahnen geschwenkt werden oder andere Symbole gezeigt werden?

Ich denke, dass ich dann zumindest auf dem Stiftsplatz noch mal zum Mikrofon greifen würde, um zu verdeutlichen, dass es hier nicht um eine politische Demonstration geht, sondern ums Erinnern. Ansonsten wäre das dann Sache der Polizei, das zu unterbinden.

Rechnen Sie mit mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer, weil die Situation in Israel und der Krieg im Gazastreifen die Menschen berührt?

Wir hoffen auf mehr Teilnehmende. Sicher auch wegen der derzeitigen Situation. Allerdings sind neben dem Städtischen Gymnasium und der Walburga-Realschule dieses Jahr auch Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums der Benediktiner aktiv.

Warum ist für Sie der Schweigemarsch in diesem Jahr besonders wichtig?

Weil es im Moment auch hier in Deutschland politische Entwicklungen gibt, die an 1938 erinnern. Uns ist es wichtig, rechtzeitig „Nein“ zu sagen und nicht zu warten, bis es wieder zu spät ist. Nie wieder ist jetzt!

Hintergrund

Seit über 30 Jahren erinnert der „Schweigemarsch Meschede“ an die Pogromnacht am 9. November 1938. In diesem Jahr unter dem Motto „Erinnerung ist der Schlüssel zur Zukunft“. Organisatoren und Unterstützer treten ein „für die Wahrung der Menschenrechte, widersprechen jeder Art von Judenhass, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, engagieren sich für Flüchtlinge und führen den Dialog über ethnische, kulturelle und religiöse Grenzen hinweg.“

Die Veranstalter schreiben: „Dass in diesem Jahr drei Schulen (neben den beiden Gymnasien auch die St.-Walburga-Realschule) den Schweigemarsch mit vorbereiten und am 9. November mitgestalten, zeigt wie aktuell das Thema ist.“ Nur da, wo junge Menschen sich einsetzten für Frieden und Gerechtigkeit, für Dialog und Demokratie könne ein wirksames Zeichen gegen Rechtsextremismus und Populismus gesetzt werden. „Wir sind dankbar dafür.“

Seit über 30 Jahren gingen Mescheder Bürgerinnen und Bürger verschiedener Religionen und Weltanschauungen gemeinsam schweigend auf die Straße. Sie zeigten die Kraft, die hinter solchen anscheinend kleinen Zeichen stehen. „Beweisen wir Mut! Verbreiten wir mit der Erinnerung Zuversicht gerade in unserer Zeit“, appellieren die Organisatoren.

Treffpunkt ist zum Schweigemarsch ist am Donnerstag, 9. November um 18 Uhr auf dem Stiftsplatz vor der St.-Walburga-Kirche. Die Teilnehmenden werden gebeten, Lichter mitzubringen (z.B. ein Teelicht in einem Glas), um so ein Lichtzeichen der Solidarität und Hoffnung setzen zu können.

Der Weg des Schweigemarsches führt vom Stiftsplatz zum Jüdischen Friedhof und zur Alten Synagoge. Er endet dort mit einem interreligiösen Friedensgebet.