Meschede. Eine Frau in ständiger Angst: Sie leidet unter dem Terror eines Stalkers - darunter tausenden Anrufen, unter anderem am Arbeitsplatz in Meschede.

Auch das Gericht spricht von einer „Katastrophe“, die da über eine Frau hereingebrochen ist. Seit 26 Jahren wird sie von einem Stalker terrorisiert – zuletzt sogar auch an ihrem Arbeitsplatz in Meschede. Jetzt muss der Mann lange in Haft. Aber was passiert danach? Geht alles weiter? Auch das Gericht befürchtet: Vermutlich ja.

Hohe Haftstrafe für 52-Jährigen

Vier Jahre kommt der 52-Jährige ins Gefängnis. Das ist in dieser Höhe wie eine Rekordstrafe am Amtsgericht Meschede, zu der ihn das Schöffengericht verurteilte. Drei Jahre Haft sind für Nachstellung, so heißt Stalking juristisch, eigentlich die Höchststrafe.

Das Gericht konnte hier höher gehen, weil es aus mehreren Taten eine so genannte Gesamtstrafe bilden konnte: Denn wegen desselben Deliktes, desselben Opfers, ist der Mann in Meschede schon 2021 zu zwei Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden – erst danach wurde aber weiterer Terror bekannt. Jetzt wurden alle diese Taten zusammengefasst. Die Strafe von damals verbüßt der Mann jetzt in Bayern in der JVA Straubing: Nun wird er dort länger in Haft bleiben.

Täter findet auch geheime Telefonnummern heraus

Seine Masche vor Gericht ist, Verhandlungen durch plötzliche Krankheit zu verhindern – zuletzt machte er wegen eines angeblichen Zusammenbruchs kurz vor Sitzungsbeginn in Meschede seinen Prozess unmöglich. Jetzt wurde er in Handfesseln aus der Haft vorgeführt. Der 52-Jährige hat früher als Elektrotechniker und Industrieelektroniker gearbeitet. Sein Wissen nutzt er dafür, um der Frau nachzustellen. Er versteht sich auch darauf, vermeintlich geheime Telefonnummern zu finden.

Am Amtsgericht in Meschede ist ein 52 Jahre alter Stalker verurteilt worden. Vier Jahre muss er ins Gefängnis.
Am Amtsgericht in Meschede ist ein 52 Jahre alter Stalker verurteilt worden. Vier Jahre muss er ins Gefängnis. © Jürgen Kortmann

Staatsanwältin Pia Humpert las minutenlang zig Anrufe vor, mit denen der Mann die Frau zwischen November 2018 und Dezember 2021 belästigte – privat, aber auch am Arbeitsplatz bei der Agentur für Arbeit in Meschede.

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Vor Gericht gestand er zwar alle diese Nachstellungen. Er zeigte aber weder Reue noch entschuldigte er sich. Im Gegenteil: Er sagte überhaupt nichts über seine Hintergründe; darüber, warum er diese Frau terrorisiert. Das ist sein Recht als Angeklagter. Aber es hinterlässt eben nur Fragen. „Die Gründe sind für uns alle unerklärlich“, räumt Vorsitzender Richter Dr. Sebastian Siepe ein: „Mit unbefriedigend ist das noch harmlos umschrieben.“ Auch Verteidiger Otto Entrup konnte keine Erklärungen für das Verhalten seines Mandanten liefern. Er bat um „ein gerechtes Urteil“.

Opfer sagt: „Ich weiß nicht, wie der auf mich gekommen ist“

Das Opfer fragt sich: „Warum ich?“ Seit 26 (!) Jahren wird sie von dem Mann verfolgt. Die heute 49-Jährige sagt: „Ich kenne den Mann gar nicht. Ich weiß nicht, wie der auf mich gekommen ist. Plötzlich bekam ich Anrufe.“ Die Terror-Anrufe, die jetzt verhandelt wurden, seien nur ein Ausschnitt, sagt sie: Er habe vor ihrem Haus gestanden, es gab beleidigende Mails, ihr Auto sei zerkratzt worden, sie wisse, dass er auch andere Frauen belästigt habe. Die Frau berichtet von „tausenden anonymen Anrufen“: Fünfmal, zehnmal in der Minute, „wo niemand etwas sagt“. Anruf, Stille, Auflegen, dann wieder Anruf, Stille, Auflegen usw. usw. Sie wehrte sich mal mit der Trillerpfeife am Telefon. Es ging immer weiter.

Bei der Agentur für Arbeit gibt es inzwischen die Anweisung, ihre dienstliche Telefonnummer nicht herauszugeben. Der Mann versuchte es dennoch. Im jetzt angeklagten Zeitraum gab es 300 Anrufe - am Tag. Eine Arbeitskollegin fragte sie: „Wie hältst du das aus seit 26 Jahren?“ Die Frau bekennt: „Ich habe Angst.“ Ihr Mann gab seine Schichtarbeit auf, es wurde ein Hund angeschafft, eine Kamera am Haus, Fangschaltungen beantragt. Vor jeder Fahrt wird das Auto kontrolliert, ob alles in Ordnung ist. Natürlich ist sie selbst durch den Terror krank geworden.

Keine psychische Erkrankung: Es geht Täter um Macht

Der Mann ist inzwischen elfmal vorbestraft, durchaus auch wegen Körperverletzungen. Er saß mehrfach im Gefängnis, er war auch im Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter. Aber dort stellte sich heraus: Er ist nicht psychisch krank, was vielleicht zumindest eine hilflose Erklärung für seine Taten liefern könnte. Das Mescheder Gericht verlas noch einmal die fachärztliche Beurteilung: Der Mann habe zwar eine unsichere Persönlichkeit mit Minderwertigkeitskomplexen – aber keine krankhaften Züge, er habe keine Persönlichkeitsstörung. Im Gegenteil: Er geht planvoll vor. Nur in einem Nebensatz im Gutachten kommt ein mögliches Motiv auf: Er verspüre Macht.

Ruhe hat das Opfer nur, wenn der Mann im Gefängnis ist: „Dann hört es abrupt auf“, sagt die Frau. Sie weiß aus Erfahrung: „Das fängt wieder an, wenn er aus dem Gefängnis rauskommt. Das war immer so. Ich will doch nur meine Ruhe haben.“ Vier Jahre könnte die Ruhe jetzt dauern.