Obersalwey. Nach 153 Jahren hat die Mühlenbäckerei Schulte aus Obersalwey den Betrieb eingestellt. Hintergrund sind gleich zwei schwere Schicksale.

Tausende Brötchen, hunderte Brote, Kuchen und unzählige Hefeteilchen haben in Spitzenzeiten Tag für Tag den Hof der Mühlenbäckerei Schulte in Obersalwey verlassen. Jetzt ist es still auf dem Betriebsgelände. Sehr still! Nach 153 Jahren haben die Schultes die Produktion eingestellt. Das Ende einer langen Familientradition. Leicht gemacht hat sich die Familie diese Entscheidung beim besten Willen nicht. „Aber es ging einfach nicht mehr anders“, sagt Dirk Schulte, während seine Frau Lydia zustimmend nickt.

Die Symptome kamen schleichend

Es war das Jahr 2007 als Dirk Schulte krank wurde. Was genau er hat, das wissen die Ärzte bis heute nicht. Der 55-Jährige bekommt schlecht Luft, leidet unter Gleichgewichtsstörungen, seine Stimmbänder sind gelähmt, das Sprechen fällt ihm schwer. Die Symptome kamen schleichend und wurden im Laufe der Zeit immer schlimmer. Doch für die Zukunft seiner Mühlenbäckerei war er stark, hat immer weiter gekämpft - gemeinsam mit seiner Frau und den beiden Kindern Laura (31) und Tim (28). Als Team hat die gesamte Familie bis zuletzt den Betrieb geleitet.

Ein gut gemeinter Rat der Ärzte

Dabei ist das Schicksal von Dirk Schulte nicht das einzige, das die Familie beschäftigt. Auch Sohn Tim ist krank. Er leidet seit seiner Geburt an einer Zerebralparese - eine ganze Reihe von Erkrankungen, die mit Bewegungsstörungen und Spastiken einhergehen. Es sei quasi ein Wunder, dass er noch nicht dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen sei, haben ihm die Ärzte vor einiger Zeit gesagt. Und wenn er wolle, dass es soweit nicht komme, sei es äußerst ratsam, die Lebenssituation zu ändern. Und genau das ist mit der Einstellung des Betriebes im Hause Schulte nun endgültig geschehen. Die Familiengeschichte, die 1870 mit zwei Verkaufswagen begann, endete am 1. August 2023. Weil die Gesundheit vorgeht!

Acht Filialen und ein Verkaufswagen

Tim Schulte zusammen mit Benjamin Geck von „Brötchentaxi“ das die Backwaren für Sonntagsfrühstück bis an die Haustür geliefert hat.
Tim Schulte zusammen mit Benjamin Geck von „Brötchentaxi“ das die Backwaren für Sonntagsfrühstück bis an die Haustür geliefert hat. © Jürgen Kortmann

Dabei liefen die Geschäfte gut. Dirk Schulte muss nicht lange überlegen, wann und wo seine Mühlenbäckerei ihre Filialen eröffnet hat. Die Daten kommen wie aus der Pistole geschossen: 1989 die erste an der Olper Straße in Cobbenrode, 1994 an der Oststraße in Schmallenberg, 1995 an der Hauptstraße in Eslohe, 1996 im Markant-Markt Siebrichhausen in Wenholthausen, 1997 im Rewe in Schmallenberg, 1998 im Rewe in Bad Fredeburg, 2000 eine weitere Filiale in Bad Fredeburg, 2012 in Altenhundem und nochmal in Bad Fredeburg, 2016 an der Briloner Straße in Meschede und 2019 im Hagebau in Meschede.

Zu Spitzenzeiten waren es acht Filialen, die die traditionsreiche Mühlenbäckerei gleichzeitig betrieben hat. Hinzu kam der Verkaufswagen der vornehmlich im Kreis Olpe und sogar im Märkischen Kreis unterwegs war. Und auf dem Wochenmarkt in Neheim war die Mühlenbäckerei Schulte ebenfalls zwei Mal in der Woche vertreten.

Unerträgliche Stille beim Frühstück

Vor allem Freitagabends und Samstagmorgens herrschte Hochbetrieb auf dem Gelände in Obersalwey. Ruhige Minuten waren da eine Seltenheit. Entsprechend ungewohnt ist nun die Stille, die beim Samstagsfrühstück herrscht. „Daran muss man sich erst gewöhnen“, sagt Dirk Schulte. Und weil diese Stille am ersten Samstag nach der Schließung nahezu unerträglich war, ist Sohn Tim während des gemeinsamen Frühstücks nach unten gegangen und hat einfach noch mal eine der Maschinen im Betrieb angeworfen. Kein Vergleich zum Rumoren des Mehlsilos, den rollenden Mehlwagen und den abfahrenden Lieferwagen - aber immerhin.

Die Mühlenbäckerei Schulte war ein Unternehmen mit einer langen Familientradition.
Die Mühlenbäckerei Schulte war ein Unternehmen mit einer langen Familientradition. © Privat

53 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hatte die Mühlenbäckerei Schulte zuletzt - in der Produktion, im Verkauf und im Büro. Die allermeisten sind in anderen Bäckereien untergekommen.

Dort hat man sich über neue Kolleginnen und Kollegen gefreut, die zuvor oftmals händeringend gesucht worden waren. Wie viele andere Branchen, leiden auch die Bäckereien unter Personalproblemen. Neben der eigenen Gesundheit war auch das eine der Herausforderungen, die die Mühlenbäckerei Schulte in den vergangenen Jahren immer wieder umgetrieben hat.

Rührende Worte im Gästebuch

Zur großen Abschiedsfeier waren am Wochenende noch einmal alle da. Auch einer der Gesellen, den Dirk Schulte damals eingestellt hatte und der inzwischen einen eigenen Betrieb mit rund 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an drei Standorten betreibt. Seine rührenden und persönlichen Worte, die er im Gästebuch der Mühlenbäckerei hinterlassen hat, sagen viel über Dirk Schulte als Chef aus: „Vor genau 18 Jahren hast du als einziger an einen 18-jährigen Jungen - der nichts außer Ehrgeiz besaß - geglaubt. Du hast allen Widersprüchen, fehlenden Erfahrungen und Risiken zum Trotz an ihn geglaubt und in ihn investiert“, steht dort geschrieben. „Du warst der beste Lehrmeister und hast großen Verdienst an meinem heutigen Erfolg.“ Worte, die gut tun. Ebenso wie der Besuch des Mitarbeiters, der heute extra noch einmal gekommen ist, weil er es versäumt hatte, bei der Abschiedsfeier ins Gästebuch zu schreiben.

„Irgendwas wird schon gehen“

Trotz der Einstellung der Produktion und der erfolgten Abschiedsfeier gibt es erstmal noch eine ganze Menge zu tun, bis der Betrieb endgültig abgewickelt ist. „Eigentlich haben wir aktuell fast noch mehr Stress als vorher“, sagt Lydia Schulte und lächelt. Aber es kommen andere Zeiten. Ganz sicher.

Über die berufliche Zukunft vom Tim Schulte entscheidet nun auch das Berufsförderungswerk München mit. „Gemeinsam werden wir schauen, welche Arbeit bei meiner Krankheit möglich ist“, sagt der 28-Jährige. Irgendwas werde nach einer Umschulung trotz seiner Zerebralparese schon gehen, ergänzt er. Und wenn es nur für vier oder fünf Stunden am Tag sei.

Seine 31-jährige Schwester Laura Hafner, die inzwischen zweifache Mutter ist, hat sich als Schulbegleiterin beworben und möchte künftig Kinder mit körperlicher, seelischer oder geistiger Behinderung im Schulalltag unterstützen. Ähnliche Aufgaben habe sie schon damals als „große Schwester“ übernommen. Das Soziale liege ihr also auch, sagt sie und lächelt. Ebenso wie in die Mühlenbäckerei sei sie dort quasi auch hineingewachsen.

  • Die Filiale am Wehrscheid in Bad Fredeburg übernimmt die Bäckerei Tismes aus Bödefeld.
  • Die Filiale im Nahkauf in Schmallenberg sowie im Markant in Bad Fredeburg hat die Landbäckerei Sommer übernommen.
  • Die Filiale in Altenhundem baut die Metzgerei Merte um, um dort zu erweitern.
  • Für die Filiale an der Hauptstraße in Eslohe wird aktuell noch an einer Lösung gearbeitet.