Sauerland. Der RE17 beginnt seine Fahrt in der Großstadt und beendet sie in Wäldern und Feldern – im Sauerland. Das Abenteuer einer Zugreise.
Früher Montagmorgen, die Uhr zeigt viertel nach Sieben. Noch ist es dunkel, die Gleise im Hauptbahnhof Hagen liegen – fast verlassen - im gelblichen Licht der Laternen auf dem Bahnsteig. Es ist leise, viele Menschen sind noch nicht unterwegs. Auf der Bahnhofsuhr schleicht der Zeiger einen Strich weiter, die digitale Anzeige informiert: Gleich kommt der RE17, der Sauerlandexpress, der hier seine Reise beginnt; zunächst durch das Tor zum Sauerland, dann die Obere Ruhrtalbahn entlang, über Arnsberg und Brilon Wald bis nach Kassel-Wilhelmshöhe in den Norden Hessens.
Hagen – 07.17 Uhr
Die Zugfahrt durchs Sauerland beginnt hier, am Hauptbahnhof Hagen. Auf den Bahnsteigen zwischen den Gleisen leuchten die Automaten mit Snacks und Softdrinks für die Fahrt, unten im zugehörigen Gebäude hat bisher nur der Kiosk seine Türen geöffnet – die Straße zum Bahnhof hin, die sonst vor bunter Leuchtreklame von Kneipen, Trinkhallen und Imbissen nur so strahlt, und voller Leben pulsiert, ist am heutigen Montagmorgen noch fast tot.
Der Zeiger auf der Bahnhofsuhr schreitet weiter voran, eine Durchsage ertönt: „Achtung. Einfahrt des RE 17 Richtung Kassel-Wilhelmshöhe auf Gleis Vier“. Die Reise kann starten. Raus aus der Großstadt, Richtung Landschaft, Richtung Gebirge. Der Zug lässt die hellen Lichter der Hochhäuser Hagens hinter sich, bahnt sich seinen Weg entlang der Ruhr. Erster Halt: Schwerte. Viel ist hier nicht los, ein paar steigen ein und aus. Es geht weiter.
Fröndenberg – 07.37 Uhr
Der Himmel wird immer lichter, das Schwarz der Nacht weicht dem tiefen Blau der Morgendämmerung. Langsam bremst der Sauerlandexpress ab, als der Bahnhof in Fröndenberg näher und näher kommt. Die Stadt direkt an der Grenze zwischen Ruhrgebiet und Sauerland schläft noch, einige Pendler und Studenten warten auf den ersten Zug nach Dortmund. „Fröndenberg ist im Bahnnetz ein Angelpunkt“, sagt die Touristeninformation der Stadt. Auf der einen Seite ist da der RE17 bis ins tiefste Sauerland und darüber hinaus, dann die Direkt-Verbindung nach Dortmund. „Und die Hönnetalbahn, der RB 54 fährt hier ja auch her.“ Heißt, auch nach Menden und Neuenrade geht es von Fröndenberg aus. Direkt am Bahnhof gibt es einen Supermarkt, eine Bäckerei und ein Blumengeschäft. Plus, nicht zu vergessen: Mahia und Tahir Sahin betreiben das Fröndenberger Grillhaus seit vielen Jahren, dazu auch das DB-Reisecenter direkt nebenan. Es ist eine Art „Insel in der Not“ geworden – doch dazu mehr im dritten Teil unserer Serie.
>>> Wichtig: Diese Fahrt mit dem Sauerland-Express hat schon vor einigen Wochen stattgefunden. Im Zeitraum vom 4. Mai bis zum 25. August hat die Deutsche Bahn Zugausfälle und Ersatzverkehr zwischen den Stationen Olsberg und Brilon Wald angekündigt. Grund dafür sind umfassende Sanierungsarbeiten am Elleringhauser Tunnel und am Bahnhof Brilon Wald. Reisende müssen somit aktuell mit Schienenersatzverkehr auf der Strecke rechnen. <<<
Wickede – 07.43 Uhr
Der RE17 verlässt den Bahnhof Fröndenbergs wieder, folgt weiter der Spur der Ruhr. Endlich kommt nun auch die Sonne aus den Wolken hervor, lässt den Frost, der noch immer auf den Feldern entlang der Schienen liegt, glitzern. Sie taucht den Himmel in das helle Blau des Morgens, der Horizont erstrahlt gelb. Der nächste Stopp liegt in der Gemeinde Wickede – einen Abstecher in den Kreis Soest muss es ja auch geben. Er ist praktisch gelegen, direkt zwischen Fluss und Innenstadt. „Das Schöne ist, dass die Züge hier auch relativ spät noch fahren“, sagt Budde, Geschäftsführer des Colorado direkt am Bahnhof. Die kleine Kneipe summt und brummt während der Radsaison, der Sauerlandexpress kommt da nicht ungelegen.
Arnsberg – 07.57 Uhr
Zunächst aber hinein ins Sauerland: Der Zug nimmt wieder an Fahrt auf, beschleunigt für ein paar Minuten, und bremst zügig wieder ab. Mit dem Bahnhof Neheim-Hüsten erreichen wir die erste Station im Hochsauerlandkreis. „Das war damals, als die Bahn gebaut wurde, die Stelle, an der aus vielen Gleisen wenige wurden“, erklärt das Stadtarchiv Arnsberg. Auf einer alten Karte ist das Phänomen unschwer zu erkennen: Aus Richtung Hagen kommen einige Linien, die dann, ganz plötzlich, nur noch mit zwei Stück, weiter ins Sauerland gehen. „Gar nicht mal so einfach, wie die die Güter damals von einem Ende des Bahnhofs ans andere gebracht haben.“ Ein Rätsel, das sich über 100 Jahre später, kaum mehr lösen lässt. Die ehemalige Stadt Neheim jedenfalls hat der Bahn wohl bis heute viel zu verdanken – mit ihr konnte die Industrie vor Ort viel schneller und weiter wachsen, als an anderen Standorten.
Wenig später erreicht der Sauerlandexpress Arnsberg (Westfalen), die Station in Alt-Arnsberg. Schon von Weitem erstrahlt der historische Stadtkern im goldenen Licht der aufgehenden Sonne. Der Dampf aus dem Schornstein einer Recyclingpapierfabrik direkt in der Stadt macht den Anblick zum Gemälde. Der Zug fährt in den Bahnhof ein. Von hinten ist das Gebäude nicht schön, Schmierereien und Dreck zieren die hohen Fenster und Mauern. Ganz anders sieht es innen aus, wo Guido Schulte mit seiner Agentur „GlobRailer“ seit Jahrzehnten den Fahrgästen der Deutschen Bahn hilft, wo er kann. „Jetzt kommt natürlich wieder die Zeit des Interrail-Fahren“, sagt er. „Die Tickets gehen weg wie geschnitten Brot.“ Er freut sich, wenn er Touren planen kann, gerade, wenn es komplizierter wird. Er weiß auch, wie es geht: Schließlich hat er schon selbst mit der Bahn die ganze Welt bereist. Seine ganze Geschichte gibt es im Teil „Von Arnsberg nach Barcelona“ – an einem Tag.
Meschede – 08.15 Uhr
Die roten Türen der Bahn öffnen sich, lassen Gäste hinein, schließen sich wieder. Über Oeventrop und Freienohl erreichen wir die Kreisstadt Meschede. Der Bahnhof ist gut ausgestattet, hat seinen Busbahnhof sogar direkt nebenan. Ein Fast-Food-Geschäft, eine DB-Agentur, ein Späti. „Das Schönste hier, ist wie schnell man in der Innenstadt, aber auch am Hennesee ist“, sagt Norbert Ahrens von der Touristeninformation der Stadt. Ausflugsmöglichkeiten gibt es hier jedenfalls viele.
Olsberg – 08.28 Uhr
„Alle einsteigen bitte!“ – die Fahrt geht weiter. Parallel zur Autobahn A46, die in Bestwig ihr Ende findet und als Bundesstraße weiter nach Olsberg führt, lässt der Sauerlandexpress in entspannter, monotoner Fahrt einen Kilometer nach dem anderen hinter sich. Direkt unter der B7 führt seine Strecke entlang; die Brücke ragt wie ein Monument mehrere Meter in die Höhe, ihre Pfeiler wirken massiv vom Erdboden aus.
Dann erreicht der R17 den Bahnhof in Olsberg, der erst neulich von Grund auf modernisiert worden ist. Ein Lehrer korrigiert mit Rotstift seine Unterlagen, packt diese zusammen, als der Zug an Geschwindigkeit abnimmt. Die Bahnsteige hier sind neu, in der Unterführung zum Busbahnhof zeigt ein Olsberg-Graffiti eine Menge von dem, was die Stadt zu bieten hat. Schüler strömen durch den Gang auf den Vorplatz des Berufskolleg Olsberg. „Wir werden auch häufig für ein Bahnhofsgebäude gehalten“, sagt Doktor Jörg Schünemann, Leiter des Gebäude Neun des BKO. Hier hat sich ein Bildungsparadies entwickelt, und das Gebäude Neun ist das Tor zu ihm.
Brilon Wald – 08.36 Uhr
Und raus aus dem lebendigen Schulalltag geht es schnell weiter. Wo vorher entlang der Bahnschienen Häuser und Menschen schon weniger geworden sind, ist das Phänomen ab Olsberg noch heftiger. Bäum zur Linken, noch mehr Bäume zur Rechten. Hier und da mal ein Hüttchen, vielleicht ein Hof, doch die Weitläufigkeit scheint wie aus einer anderen Welt, als es noch Hagen zum Beginn der Reise war. Felder erstrecken sich über Kilometer, die Landschaft: beeindruckend.
Dass wir am Bahnhof Brilon Wald ankommen, wird nur durch das Gebäude klar, das noch aus den Anfangszeiten der Ruhrtalbahn hier steht. Alte Wagons, die zur Erinnerung hergebracht wurden, erwecken Sehnsucht nach alten Zeiten. Der Waldbahnhof Brilon ist mittlerweile wieder bewirtschaftet – Restaurant und Hotel sind für alle Gäste des Sauerlands da. Und der Weg nach Willingen oder Winterberg ist kaum mehr ein Katzensprung. „Die Bürger aus Brilon Wald könnten noch häufiger vorbeikommen“, sagt Natascha Schellhardt, Geschäftsführung des Waldbahnhofs. Auch von ihr gibt es noch mehr zu hören…
Marsberg – 08.58 Uhr
Über Hoppecke und Bredelar erreicht der RE17 schließlich den Halt in Marsberg. Die Sonne gibt mittlerweile ihre ganze Power, und es ist auch wieder mehr los als noch in Brilon Wald. Nur das Bahnhofsgebäude steht quasi leer – direkt an den Gleisen fehlt der Anlaufpunkt für Besucher der Stadt. Dafür liegt das Deutsche Haus als Restaurant mit Kegelbahn in der Nähe, und im Stadtkern ist man auch recht schnell. Es ist der letzte richtige Halt unserer Zugreise durchs Sauerland.
Kassel-Wilhelmshöhe – 09.56 Uhr
Nach Westheim, Scherfede und Warburg ist der RE17 an seiner Endstation angelangt: Kassel-Wilhelmshöhe. Wir sind nun in Hessen, irgendwo im Nichts.
Und nehmen von der Reise mehr mit, als nur eine kleine Geschichte: Es ist schon eher eine Sammlung, ein Märchenbuch voller Menschen, die direkt an den Gleisen ihr Leben leben, ihrer Arbeit nachgehen und Erzählungen weitergeben. Sie verdanken ihm viel, und er ihnen auch: Der Sauerlandexpress.