Schmallenberg. Den Hausärzten fehlt der Nachwuchs. Wie Dr. Katja Köhler und Dr. Martin Riffelmann aus Schmallenberg erfolgreich junge Kollegen werben konnten.
Fachkräftemangel ist eines der beherrschenden Themen in vielen Bereichen - auch für Hausärzte. Die Praxis „360 Grad Mensch“ in Schmallenberg mit den Inhabern Dr. Martin Riffelmann und Dr. Katja Köhler ist froh, dass ihre Bemühungen aktuell Früchte tragen.
Die hausärztlichen Praxen hatten in den letzten Wochen extrem viel zu tun. Wie war das bei ihnen?
Dr. Katja Köhler: Ich will nicht unken, aber ich hatte das schon befürchtet. Zwei Jahre haben wir wegen Corona unsere sozialen Kontakte eingeschränkt, Masken getragen und unser Immunsystem runtergefahren. Mir war klar, dass es im Anschluss eine heftige Infektionswelle geben wird.
Und die haben wir jetzt. Wir haben täglich zwischen 20 und 35 Infektpatienten, dieser Ansturm ist aktuell neben der normalen hausärztlichen Arbeit kaum zu meister. Immer besteht die Sorge, dass man etwas übersieht oder den Patienten nicht gerecht wird. Erschwerend hinzu kommt das Medikamente aktuell nicht lieferbar sind, z.b. Codein, gegen Reizhusten.
Mit welchen Erkrankungen kamen und kommen ihre Patienten?
Wir haben viele Patienten mit der echten Influenza-Grippe, mit hohem Fieber, auch viele junge Erwachsene. Die Älteren hat es diesmal nicht so schwer getroffen, vermutlich weil sie - und da muss man sie ausdrücklich loben - sich mittlerweile sehr konsequent gegen Grippe impfen lassen. Das kann man nur jedem empfehlen, auch schon Kindern. Die Immunität baut sich dann von Jahr zu Jahr mehr auf. Für die Grippe-Schutz-Impfung gilt dann das Gleiche wie für die Corona-Impfung. Sie verhindert nicht die Erkrankung, wohl aber den schweren Verlauf. Ansonsten hatten wir auch bei Älteren RSV-Erkrankungen, die man mit schweren Verläufen vor allem von Kindern kennt. Hier zeigten sie sich oft in einem hartnäckigen Husten.
Welche Rolle spielte das Ende der Corona-Maßnahmen?
Es gibt wieder mehr soziale Kontakte, man trifft sich und steckt sich an. Dafür - und das merken wir auch - geht es den Menschen psychisch besser. Für die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen ist es unglaublich wichtig, dass die Schulen offenbleiben.
Doch zu den aktuellen Virusinfektionen kommt das normale Krankheitsgeschehen?
Ja, alle normalen Erkrankungen einer Hausarztpraxis von Herzproblemen über Bluthochdruck bis zu Bauchschmerzen. Für uns erschwerend ist, dass sich immer wieder die umliegenden Krankenhäuser für die Aufnahme von Patienten abmelden.
Zuletzt hatte ich eine Patientin mit Blinddarm-Durchbruch, die ich in den umliegenden chirurgischen Krankenhäusern nicht unterbringen konnte. Alle hatten sich abgemeldet, letztlich habe ich dann einen Platz für sie in Bad Berleburg gefunden, wo sie auch notoperiert wurde.
Eine gute Nachricht: Sie haben neue Kollegen einstellen können?
Da hatten wir wirklich großes Glück. Dr. Martin Riffelmann war 2019 unser erster Weiterbildungsassistent. Das sind junge Kollegen, die ihre Facharztausbildung machen und dafür ein bzw. zwei Jahre in einer Hausarztpraxis arbeiten.
Martin Riffelmann hat dann im vergangenen Januar den Kassensitz und Praxisteil von Dr. Matthias Althaus übernommen. Im Laufe des Jahres konnten wir dann noch drei neue Weiterbildungsassistenten einstellen. Alle drei wollen im Anschluss im Sauerland bleiben. Dr. Anna Noeke stammt aus Meschede, Dr. Nils Völkel und Nadine Hömberg leben in Schmallenberg. Wir sind sehr froh, dass wir diese fähigen Kollegen haben. Aber wir sind auch insgesamt ein tolles Team mit allen Mitarbeitern und Praktikanten.
Und wie ist es Ihnen gelungen, die drei fürs Sauerland zu begeistern?
Die jungen Frauen sind aus familiären Gründen im Sauerland, das ist schon mal eine gute Voraussetzung. Nils Völkel hatte schon im Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft gearbeitet und will auch gern hierbleiben. Letztlich aber geht das nur mit ganz viel persönlichem Engagement und Netzwerkarbeit. Ich halte Seminare und engagiere mich im Hausärzteverband.
Dort gibt es das Projekt „Werkzeugkasten Niederlassung“, das junge Kollegen vor ca. zehn Jahren Ins Leben gerufen haben, um dem Nachwuchs im betriebswirtschaftlichen Sinne fit für die Niederlassung zu machen. Als ich darüber einen Vortrag hielt, sprach mich im Anschluss beispielsweise Anna Noeke an. Nadine Hömberg und Martin Riffelmann kannten sich privat. Niemand kann erwarten, dass sich die jungen Mediziner bei uns melden, die Praxen müssen auf sie zugehen. Dafür braucht man eine Weiterbildungsberechtigung. Die haben in Schmallenberg allerdings aktuell laut KV nur wenige Kollegen.
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Lange war es nicht so beliebt, Hausarzt zu werden. Hat sich das geändert.
Ich denke schon. Die Studierenden, die ich über die Kooperation mit den Unis in Bochum, Witten-Herdecke und Marburg getroffen habe, sagen meist, sie könnten sich das schon vorstellen, würden aber gern erst ihre Anfangsjahre in der Stadt, in großen Häusern etc. verbringen, um möglichst ein breites Spektrum der Medizin kennenzulernen. Diese Sichtweise ist sehr zu unterstützen, da es sehr häufig unterschätzt wird, wie komplex die Allgemeinmedizin ist. Dass sie zurückkommen ist ein vages Versprechen, natürlich, aber trotzdem eine wichtige Investition, um die hausärztliche Zukunft langfristig zu sichern und den jungen Kollegen zu zeigen, wie vielseitig dieser Beruf ist.
Wie ist der Kontakt zu den Universitäten zustande gekommen und was bedeutet das praktisch?
Jede Hausarztpraxis kann Lehrpraxis werden, das ist relativ einfach. Im Laufe ihres Studiums müssen die Studierenden dort Praktika und so genannte Famulaturen absolvieren. Die Unis stellen dann den Kontakt her. Zuletzt meldete sich jetzt Bochum bei mir, weil man dort nach einer Lehrpraxis suchte, die sich um den medizinischen Nachwuchs im HSK kümmert.
Regelmäßig wechselnde Praktikanten - ist das auch eine Belastung für Sie?
Ja, es bringt Unruhe ins System. Die jungen Leute müssen für kurze Zeit untergebracht werden. Oft habe ich das privat übernommen. Aber nur so kommen wir weiter und können die hausärztliche Versorgung in der Region sichern.
Und zum Teil sind die jungen Leute auch schon eine echte Entlastung. Gerade die Studierenden der Uni Witten-Herdecke haben oft schon eine Ausbildung im pflegerischen Bereich. Zuletzt hatten wir einen jungen Kollegen, der uns auch nach seinem Praktikum weiterhin bei vielen Dingen in der Praxis unterstützt hat.
Ist das aktuelle Modell als Vorbild denn auch für andere Praxen geeignet?
Natürlich. Man muss bereit sein, sich zusätzlich zum Alltag für dieses Ehrenamt zu engagieren. Und viel Spaß an der Lehre haben.