Velmede. Es sollte ein romantischer Heiratsantrag werden. Doch auf dem Weg kracht ein betrunkener Autofahrer in den Wagen des Velmeders André Hester.

Er habe inzwischen seinen Frieden gemacht mit dem tragischen Schicksal seines Sohnes, sagt Dieter Hester. Und trotzdem muss er sich immer wieder die Tränen aus den Augen wischen, wenn er von den Ereignissen am 6. August des Jahres 2018 und der schlimmen Zeit danach berichtet.

Gefühle und Erinnerungen kommen wieder hoch. Erinnerungen, die nur schwer zu ertragen sind: Gerade einmal 28 Jahre alt war Dieter Hesters Sohn André, als er bei einem schweren Verkehrsunfall in der Karibik aus dem Leben gerissen wurde, weil ein betrunkener Autofahrer aus den Niederlanden mit seinem schweren SUV frontal in den kleinen weißen Fiat Picanto raste, in dem André Hester mit seiner Freundin Anika unterwegs war.

Auf dem Weg zum Heiratsantrag

18 Uhr ist es an jenem Montag, als sich das Unglück auf der Straße Kaminda Monica Kapel-Matheeuw in Willemstad auf Curaçao ereignet. André Hesters Ziel ist der Strand. Gemeinsam mit Anika geht es Richtung Sonnenuntergang. Am Strand will er ihr einen romantischen Heiratsantrag machen. Doch dort kommen die beiden nie an. 4,4 Promille, so werden die Beamten auf Curaçao später bei einer Blutprobe feststellen, hat der SUV-Fahrer im Blut, als er von der Fahrbahn abkommt und mit dem kleinen Fiat kollidiert.

In einer Tasche wird wenig später der Ring gefunden, den André Hester für seinen geplanten Antrag besorgt hatte. Seine Freundin Anika überlebt den Unfall mit schweren Verletzungen, unter denen sie noch heute leidet. Auf einem Foto, das nach dem Unglück im Krankenhaus entstanden ist, trägt sie den für sie bestimmten Ring am Finger und lächelt bemüht und mit sichtbaren Verletzungen in die Kamera.

Der Fiat Picanto wird durch die Wucht des Aufpralls schwer beschädigt. André Hester stirbt bei dem Unfall, seine Freundin Anika überlebt schwer verletzt.
Der Fiat Picanto wird durch die Wucht des Aufpralls schwer beschädigt. André Hester stirbt bei dem Unfall, seine Freundin Anika überlebt schwer verletzt. © Privat

Vier Jahre ist all das inzwischen her. Auf dem Esstisch in André Hesters Elternhaus erinnert heute ein Stein mit seinem Foto an ihn. „Geliebt und unvergessen in unserem Herzen“, steht darauf. Und auch im Wohnzimmer lächelt André Hester von einem Bild an der Wand. „Jetzt schaut er gemeinsam mit seiner Mutter im Himmel auf uns runter“, sagt Dieter Hester. Seine Frau Erika starb vor wenigen Wochen nach langer Krankheit.

Die schwere Zeit nach Andrés Tod haben die beiden seinerzeit gemeinsam durchgemacht. Erfahren haben sie vom tragischen Tod ihres Sohnes damals erst am nächsten Morgen um 7.30 Uhr per Telefon. „Anikas Vater hat uns angerufen“, sagt Dieter Hester und erinnert sich noch genau an dessen Worte: „André hat’s nicht überstanden“. Stille! Es braucht seine Zeit, um diese schlimme Nachricht zu realisieren.

Wut mischt sich in die Trauer

Je mehr Einzelheiten Dieter Hester danach über die Umstände des Unfalls erfährt, desto mehr Wut mischt sich in die Trauer. „4,4 Promille, das muss man sich mal vorstellen“, sagt er heute und zeigt auf die vierseitige Zusammenfassung des Urteils, das auf dem Küchentisch in Velmede liegt. Bei Gericht habe sich später herausgestellt, dass der Unfallfahrer nicht nur betrunken war, sondern auch Medikamente gegen Herzrhythmus-Störungen genommen hatte. Eine gefährliche Mischung, die er trotz seines fachlichen Wissens ignorierte. „Der Mann ist Apotheker“, sagt Dieter Hester.

André Hesters Freundin Anika im Krankenhaus auf Curaçao. Am Finger trägt sie den Ring, der für sie bestimmt war.
André Hesters Freundin Anika im Krankenhaus auf Curaçao. Am Finger trägt sie den Ring, der für sie bestimmt war. © Privat

Immer wieder habe er sich damals die Frage gestellt, ob der Unfall wohl glimpflicher ausgegangen wäre, wenn sich André und Anika nicht für einen Fiat Picanto sondern für einen größeren Mietwagen entschieden hätten. Irgendwann aber habe er aufgehört, sich mit dieser Frage zu quälen. „Das bringt ja nichts“.

Und von seiner einstigen Wut gegen den Fahrer hat er sich inzwischen ebenfalls verabschiedet. „Auch das bringt ja nichts“, hat Hester für sich erkannt. Eine Zeit lang seien bei jedem gelben Nummernschild, das er auf der Straße gesehen habe, die Emotionen wieder hochgekommen. Das hat sich gegeben.

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Zu Gesicht bekommen hat Dieter Hester den Unfallfahrer erstmals bei der Gerichtsverhandlung, die als Live-Stream von Curaçao nach Deutschland übertragen wurde. Gemeinsam mit Andrés Freundin Anika haben die Hesters damals vor dem Bildschirm gesessen und den Prozess verfolgt. Es dauerte nicht mal eine Stunde, bis das Gericht den Unfallfahrer „wegen fahrlässiger Tötung durch bewusste Fahrlässigkeit unter Einfluss von Alkohol“ zu einer zweijährigen Haftstrafe und einem vierjährigen Entzug des Führerscheins verurteilte. Kein Wort des Bedauerns sei über seine Lippen gekommen. Keine Entschuldigung! Nichts! Im Gegenteil: Bewusst habe er sich auf der Anklagebank immer von der im Saal installierten Kamera abgewendet.

Das letzte Geleit

Drei Wochen hatte es damals gedauert, bis die Urne von André Hester nach Deutschland überführt wurde und in Frankfurt landete. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Unfallfahrer bereits erreicht, aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden. Gegen Zahlung einer Kaution von 5000 Euro. Während für ihn inzwischen nicht nur die zweijährige Haftstrafe, sondern mittlerweile auch das vierjährige Fahrverbot erledigt sind, erinnert sich Dieter Hester an die Bestattung seines Sohnes auf dem Velmeder Friedhof.

Rund 200 Menschen nehmen damals auf dem Velmeder Friedhof Abschied von André Hester.
Rund 200 Menschen nehmen damals auf dem Velmeder Friedhof Abschied von André Hester. © Privat

Rund 200 Menschen waren damals mit dabei. Darunter Feuerwehrkameraden aus Bestwig und aus Münster, wo André Hester zuletzt gelebt hat. Sie standen mit Fackeln Spalier für ihren Kameraden. Und auch die Briefe von Unternehmen, für die André Hester als IT-Spezialist gearbeitet hat, haben Dieter Hester beeindruckt. „Ich habe gestaunt, wie viele Briefe gekommen sind“, sagt er. Es habe ihm gezeigt, wie beliebt André bei seinen Geschäftspartnern, Freunden und Kameraden war. „André war immer hilfsbereit und engagiert“, ergänzt er.

Die Holzpaneele, die Dieter Hester damals gekauft hat, um für seinen Sohn im eigenen Haus an der Oststraße in Velmede eine kleine Wohnung für seine vielen Besuche in der Heimat einzurichten, liegen derweil noch immer in ihrer Originalverpackung in der Ecke. „Den Umbau habe ich seitdem nicht mehr angepackt. Wofür?“, fragt Hester rhetorisch.

Geliebt und unvergessen

Ein Flug in die Karibik, um sich ein Bild von der Unfallstelle zu machen, sei für ihn nie ein Thema gewesen. „Das muss ich mir nicht antun“, sagt Dieter Hester. Immerhin habe er aber inzwischen wieder Urlaub in Holland machen können. Ohne Groll! Sein Urlaubsort war damals gerade einmal 20 Kilometer von der Adresse des Unfallfahrers entfernt. „Ich hätte ihm so viel zu sagen gehabt“, erinnert sich Hester. Er hat es bewusst nicht getan. „Weil man ja irgendwann auch mal einen Abschluss machen muss, wenn man nicht daran kaputtgehen will.“

Geliebt und unvergessen bleibt André trotzdem - genau so wie es auf dem Stein mit seinem Foto auf dem Esstisch steht.