Meschede. Christof Jauernig ist Glücksbote. Der einst erfolgreiche Manger krempelte sein Leben um. Er teilt sein Wissen mit anderen - nun auch in Meschede.

Er versteht sich als Glücksbote. Christof Jauernig ist aber nicht der Mann mit dem Koffer voller Geld von der Lottozentrale. Sein Glück geht tiefer. In 60 Städten haben ihm insgesamt 1000 Menschen ihre ganz persönlichen Glücksmomente und wertvolle Lebensaugenblicke auf einen Zettel geschrieben. Daraus und aus seinen eigenen Erfahrungen hat er ein Buch und ein Bühnenprogramm gemacht. Am Samstag Donnerstag, 29. Oktober, 19 Uhr, kommt er ins Bürgerzentrum Alte Synagoge in der Kampstraße nach Meschede. Sein Fazit: Lebensglück ist die Summe der glücklichen Momente, die jeder von uns erlebt. Und wer es schafft, diese einzelnen Momente bewusst wahrzunehmen und ihren Zauber zu erkennen, dessen Leben ist reicher und glücklicher.

Christof Jauering eröffnet das VHS-Semester in Kleve.
Christof Jauering eröffnet das VHS-Semester in Kleve. © Jauernig | Privat

Sie haben mich neugierig gemacht: Was stand denn nun auf all diesen Zetteln?

Christof Jauernig: Die Aufgabenstellung lautete ja: „Ein besonderer Glücksmoment ist für mich...“ Und da war unter tausend nur ein einziger dabei, der die berufliche Beförderung genannt hat. Ansonsten waren es durchweg keine materiellen Traumschlösser, keine Gehaltserhöhungen. Die allermeisten haben kleine Momente des Alltags aufgelistet: Eine 58-jährige Diätköchin aus Lübeck hat geschrieben: „Für mich ist es der Moment, wenn ich zur Arbeit komme und 45 Kinder fragen: ‚Was gibt es zu essen?’“ Eine fast 80-jährige Dame aus Schwetzingen notiert: „Ich bin glücklich, wenn ich durch den lichtdurchfluteten Friedwald zu meinem Mann wandere und weiß, dass ich mal bei ihm sein werde.“ Ein 52-Jähriger aus Dreieich hat geschrieben: „Die Erinnerung, aus dem Koma erwacht zu sein.“ Da habe ich echt Gänsehaut bekommen. Man spürt zwischen den Zeilen die Wertschätzung für das Leben.

Und welcher Text ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Die eben genannten, aber auch die luftig-leichten: Eine 61-jährige Übersetzerin aus Oberhaching nannte einen Glücksaugenblick, bei dem immer das halbe Publikum schmunzelnd nickt: „Wenn meine Lieblings-Kaffeetasse im Schrank ist (also nicht in der Spülmaschine), wenn ich Kaffee trinken will.“ Solche Glücksmomente sind Erinnerungen an Situationen, die viele Menschen kennen, die sie aber oft vergessen haben.

Oder sie haben vergessen, sie wertzuschätzen. Bewegt hat mich die schlichte Schönheit und das zutiefst Menschliche, das in unzähligen der beglückenden Lebenssituationen zum Ausdruck kommt. Echtes Glücksgefühl scheint dabei nicht auf Hochtrabendes angewiesen zu sein. Die meisten Momente sind bescheiden, herzerwärmend und kostenfrei.

Gibt es regionale Mentalitätsunterschiede, Regionen, die glücklicher sind?

Der Sauerländer steht ja eher im Ruf, ein halb leeres Glas auf seinem Tisch stehen zu haben…Ich habe das Glück nicht in Zahlen abgefragt, sein vielleicht regionalunterschiedliches Niveau war insofern nicht Teil der Betrachtung. Aber es gibt Unterschiede in den Themen. Der Süddeutsche beschrieb eher seine Sonnenaufgangswanderung auf einen hohen Berg als Glücksmoment. Die Norddeutsche nannte eher einen schönen Augenblick am Meer. Aber die Schnittmenge ist bei beiden die Natur. Sie und unmittelbare Naturerfahrung scheinen ganz wesentliche Glückszutaten zu sein.

Um Glück richtig wertschätzen zu können, muss man manchmal erst am unteren Ende der Glücks-Messlatte angekommen sein. Wie war das bei Ihnen?

Vor acht Jahren habe ich nach einer tiefen persönlichen Krise einen Schlussstrich unter meine betriebswirtschaftliche Arbeit in der Bankenbranche gezogen. Das war ein Job, der am Anfang Spaß gemacht hat. Aber mir wurde immer deutlicher, dass das nicht meins ist. Ich habe mich mit Dingen befasst, für die die persönliche Relevanz fehlte. Die inneren Widerstände wurden immer größer. Anfangs habe ich sie ignoriert, aber irgendwann reagiert der Organismus. Und wenn der Mensch nicht hören will, muss er fühlen. Ende 2013 war ich an einem Punkt, an dem es nicht mehr ging. Ich habe gesagt:Ich weiß nicht, was kommt, aber ich lasse mich darauf ein.

Für Sie war das ein großer Wendepunkt. Nach ihrem letzten Arbeitstag haben Sie eine sechsmonatige Rucksackreise durch Südostasien gemacht. Wie war das für Sie?

Sehr eindrucksvoll. Und obwohl ich keinen Plan für danach hatte, gelang es unterwegs erstaunlich gut, sehr bewusst in der Gegenwart zu leben, ohne Sorge, wie es nach der Reise für mich weitergehen würde. Das Jetzt war auf einmal entscheidend. In meinem alten Beruf hatte ich Daten aus der Vergangenheit analysieren und sie für die Zukunft bewerten müssen. Dabei und auch sonst in meinem Leben war die Gegenwart buchstäblich zu kurz gekommen. Damit war jetzt Schluss, und seitdem hat der jetzige Moment in meinem Leben sehr an Bedeutung gewonnen. Es ist der einzige, in dem das Leben wirklich spielt. Die vielen intensiv erlebten Glücksmomente dieser Reise waren so auch ein Anlass, sich mit dem Thema generell zu befassen und andere daran teilhaben zu lassen.

Was würden Sie Menschen raten, die ähnlich wie Sie damals vor der Entscheidung nach einer Veränderung stehen, um persönliches Glück zu suchen?

Grundsätzlich kann ich aus meiner Erfahrung sagen, dass Dinge, die für einen selbst „dran sind“ und die man mit einem Vertrauensvorschuss angeht, oft sehr gut laufen. Die Sorge vor allem, was schief gehen könnte, stellt sich später oft als unbegründet heraus. So erlebe ich das oft, und vieles wendet sich auf wundersame Weise zum Guten. Bei meinem Job, den ich jetzt mache, fahre ich sehr auf Sicht, spätestens seit Corona. Ich kann, wenn überhaupt, immer nur die nächsten sechs Monate planen. Und trotzdem läuft es insgesamt so beruhigend gut, dass ich das für mich mittlerweile die Verlässlichkeit des Unverlässlichen nenne. Meine Geschichte ist dabei nicht als Blaupause für die Lebenskrisen anderer Menschen gedacht, denn keine Lebenssituation ist vergleichbar. Aber da, wo es eine Schieflage gibt, wo nicht mehr das Leben geführt wird, das das eigene ist, da empfehle ich, ehrlich zu sich selbst zu sein und eine ehrliche Bestandsaufnahme zu machen. Und danach zu handeln, so gut es möglich ist. In solcher Weise achtsam und selbstfürsorglich sein – das sehe ich als die Basis an, um Leistungsfähigkeit auf Dauer zu erhalten. Und das kommt ja auch dem eigenen Umfeld zugute.

Ist Glück nur die Abstinenz von Pech oder wie würden Sie Glück für sich definieren?

Glück liegt im Auge des Betrachters. Die für sich kraftvollsten Glückszutaten kennt jede und jeder deshalb nur selbst. Für mich persönlich ist es Glück, ein Leben zu führen, in dem ich mich mit mir selber, mit meinen inneren Wahrheiten, so gut wie möglich im Einklang fühle. Wenn ich also so authentisch sein kann wie möglich – dann ist das Glück für mich. Verglichen mit meinem vorherigen Leben tue ich jetzt Dinge, für die ich brenne. Was gibt es Schöneres, als durchs Land zu fahren und mit Menschen Glücksmomente zu teilen. Ein Leben zu führen, wo ich den Eindruck habe, das passt zu mir. Ich muss mich nicht verstellen, meine Arbeit und mein Leben sind kein Widerspruch mehr, alles ist sehr organisch miteinander verbunden. Wenn ich sagen müsste, was Glück für mich am prägnantesten charakterisiert, dann ist das die Erkenntnis, dass Glück vor allem eine gegenwärtige Erfahrung ist. Lebensglück ist für mich die Summe der kostbaren Momente, die ich erlebe. Und wenn ich es schaffe, diese einzelnen Glücksmomente bewusst wahrzunehmen und ihren Zauber erkenne und sie würdige, dann ist das etwas, das mein Leben glücklicher macht.

Offen gestanden habe ich Schwierigkeiten, mir den Ablauf des Abends vorzustellen: „Großformatige Leinwandprojektionen mit selbst komponierter und eingespielter Musik sowie gesprochenen Worten kombiniert, die poetisch anstatt wissenschaftlich daherkommen“.

Das klingt ein wenig nach einer Dia-Schau mit klugen Tipps, ist es aber vermutlich nicht…Glück lässt sich schwer erklären. Natürlich gibt es Fachleute aus der Hirnforschung, die das über chemische Prozesse versuchen. Aber das ist nicht mein Ansatz. Ich habe ganz persönliche Glückserinnerungen vieler Menschen gesammelt. Viele davon haben mich sehr bewegt und dieses Glücksgefühl möchte ich, kombiniert mit meinen eigenen Erfahrungen zum Thema, in dieser Veranstaltung atmosphärisch spürbar machen. Es gibt deshalb frei gesprochene Texte, Fotografien und selbst eingespielte musikalische Improvisationen, zu denen mich die Glücksmomente der 1000 Menschen inspiriert haben. Im günstigsten Fall begegnen sich die Menschen selbst in diesem Programm.

Wird es mein Leben - oder mal vorsichtig kalkuliert - meinen 29. Oktober glücklicher machen, wenn ich mir Ihren Auftritt anschaue?

Das wäre meine Hoffnung. Ich wünsche mir – und das wird mir häufig zurückgespiegelt – dass Menschen sagen, sie sind an viele Glücksmomente erinnert worden, die sie kennen, aber vergessen haben. Und viele nehmen sich vor, wieder genauer hinzuschauen und eine neue Art der Wertschätzung dafür zu entwickeln. Die Veranstaltung ist eine Auszeit. Es geht nicht um das intellektuelle Durchkauen von Glück und Co. Es geht darum, sich auf das Gefühl einzulassen, das aus den verschiedenen Momenten und den Darstellungsformen zu uns spricht. Wenn es dann gelingt, mit mehr Wertschätzung in den Alltag zu gehen, habe ich viel geschafft. Man muss nicht nach Glück streben. Es gibt ganz viele magische Dinge, die sich im Leben ereignen. Leider sind wir durch die Herausforderungen des Alltags und unsere Lebensführungen okkupiert, sodass wir die Momente oft übersehen. Vorhanden sind sie.

HINTERGRUND

„Eintausendmal Lebensglück - Erinnern, was zählt (…jetzt erst recht!)“- unter diesem Motto steht die Veranstaltung am 29. Oktober, 19 Uhr im Bürgerzentrum Alte Synagoge in Meschede, Kampstraße 8. Christof Jauernig hat seine Glücksimpressionen in 60 Städten eingesammelt und bezeichnet sein Programm als „Collage aus Wort, Bild und Klang“. Veranstaltet wird der Abend von Volkshochschule HSK, Stadtbücherei Meschede und Förderverein der Stadtbücherei Meschede.

Die Veranstaltung ist entgeltfrei, die Veranstalter bitten jedoch aufgrund der begrenzten Sitzplätze in der Synagoge um eine Anmeldung über www.vhs-hsk.de oder Tel. 0291 / 94 5130. Weitere Infos zu Christof Jauernig gibt es unter www.unthinking.me.