Grafschaft. Olivia Friedhoff hat ein Freiwilliges Soziales Jahr im Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft absolviert. Sie erzählt über ihre Erfahrungen.
Zukunftsträume nach dem Abitur verwirklichen, praktische und zielstrebige Begabungen einsetzen, aber dabei die Realität im Auge behalten. Genau das hatte Olivia Friedhoff im Visier, als sie vor gut einem Jahr ihr Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Fachkrankenhaus Kloster Grafschaft anstrebte. Sie wusste schon zu diesem Zeitpunkt relativ sicher, dass dieses Jahr für sie das Sprungbrett zum Einstieg ins Medizinstudium werden sollte, aber sie wollte es nicht überstürzen. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen, Einstellungen und Zukunftspläne.
Warum hast du dich für ein FSJ im Krankenhaus entschieden und gab es noch andere Alternativen ?
Olivia Friedhoff: Ich habe es realistisch betrachtet und mir war klar, dass man ein Medizinstudium nicht mal so eben aus dem Ärmel schütteln kann. Ein praktisches Jahr könnte für die Bewerbung um einen Studienplatz sicher von Vorteil sein, dachte ich mir, als ich mich für den Einsatz im Krankenhaus entschied. Vorab eine dreijährige Krankenpflegeausbildung anzustreben, war nur sehr kurz gedanklich ein Thema, denn dadurch hätte sich der Studienstart zu sehr verzögert.
In welchem Fachbereich im Kloster Grafschaft warst du eingesetzt und wie gestaltete sich die Umstellung vom Schulalltag ins Arbeitsleben ?
Mein Einsatzbereich lag auf der Pneumologie (Lungenfachkunde) und auf der Isolationsstation, quasi sehr nah am Coronageschehen. Coronainfiziert habe ich mich aber nicht auf diesem Wege, sondern über meine jüngere Schwester, die das Virus aus der Schule mitgebracht hatte. Ich spreche von Glück, dass ich im Schichtdienst nur in Frühschichten arbeiten musste, da ich so den Tag noch vor mir hatte. In den ersten Wochen habe ich das frühe Aufstehen schon gemerkt und war mittags so erschöpft, dass ich nach der Arbeit einen Mittagsschlaf brauchte.
Wie war deine Schicht strukturiert und welche Aufgaben hast du unter Anleitung oder im Verlauf sogar selbstständig übernommen?
Nach der morgendlichen Übergabe durch die Nachtschicht, haben wir uns an die Pflege begeben. Am Anfang bin ich mitgelaufen und habe zugesehen, später durfte ich Patientinnen und Patienten unter Aufsicht bei der Morgenpflege betreuen. Meine Praxisanleiterin schätze meine Fähigkeiten gut ein und traute mir diese Aufgabe dann nach und nach selbstständig zu. Außerdem verteilte und reichte ich den Erkrankten Mahlzeiten an, erledigte Botengänge zu anderen Stationen und hatte im Blick, wenn etwas aufgeräumt werden musste.
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Was ist dir leicht gefallen und gab es auch Erlebnisse, die dich bedrückt haben?
Ich habe recht schnell gesehen, wo Arbeit anfiel und habe sie erledigt. Das haben mir die Pflegekräfte lobend bestätigt und so konnten von der Zusammenarbeit beide Seiten profitieren. Es ist schön, dass man als FSJ-lerin viel Zeit hat, die man den kranken Menschen durch persönliche Gespräche schenken kann. Auf diese Weise habe ich zu manchen Patienten eine Bindung aufgebaut und bekam durch ihre Freude viel zurück. Umso mehr beschäftigte es mich dann persönlich, wenn ein Patient verstarb, womit wir nicht gerechnet hatten. Denn wie schnell verabschiedet man sich zum Schichtende ganz neutral und glaubt, sich am nächsten Tag wieder zu sehen.
Was hast du aus diesem Jahr für deine Persönlichkeitsentwicklung gewinnen können ?
Anfangs war ich etwas zurückhaltend, aber das hat sich sehr schnell gedreht und ich bin viel offener geworden. Meine Kollegen gaben mir schnell die Rückmeldung, dass es toll ist, wie ich mich entwickelt habe.
Wie stehst du zur Wiedereinführung des Pflichtdienstes?
Ich kann mich nur schwer dafür oder dagegen richten, weil es immer zwei Seiten gibt, die zu bedenken sind. Grundlegend täte es unserer Generation mal ganz gut sich mit anderen Menschen auseinander zusetzen. Ich denke durch Social Media kommt der Kontakt zu anderen Menschen, die Fürsorge für andere und einen offenen Blick um sich herum etwas zu kurz. Andererseits würden junge Leute, die zur Arbeit verpflichtet werden, ihren Arbeitsplatz nach Priorität auswählen. Dabei würden bessere Arbeitszeiten und geringer körperlicher Einsatz wahrscheinlich auch eine Rolle spielen. Ebenfalls muss es auch durchdacht werden, dass ein Pflichtdienst finanziell tragbar ist, weil nicht alle jungen Menschen elterliche Unterstützung bekommen und somit schon eher auf ein Ausbildungsgehalt und einen eigenständigen Sozialversicherungsstatus angewiesen sind.
Wie planst du deinen beruflichen Werdegang weiter und was würdest du anderen für ein FSJ raten ?
Ich habe mich deutschlandweit für einen Studienplatz für Medizin eingeschrieben und mein Test ist sehr gut ausgefallen. Ich rechne schon mit einer Zusage und bin ganz offen, dass ich raus vom Land in eine der größeren Städte ziehe. Bei der Entscheidung für ein FSJ verlässt man die eigene Komfortzone und im Pflegebereich arbeitet man auch schon mal zehn bis elf Tage am Stück, aber das sollte nicht abschreckend sein. Das Positive sind die neuen Strukturen. Man lernt das Arbeitsleben mit Höhen und Tiefen kennen und wächst mit den Aufgaben.
Hintergrundinformationen
Einsatzorte für ein FSJ sind in sozialen, gesundheitlichen und gesellschaftlichen Institutionen im Rahmen der Vollzeitbeschäftigung. Starttermin ist jeweils zum 1. August oder 1. September mit einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Vergütung beträgt monatlich 420 Euro.
Der Anspruch auf Kindergeld bleibt weiterhin bestehen. Der IN VIA Diözesanverband Paderborn bietet Stellen in verschiedenen Bereichen im Raum Meschede, Bestwig, Schmallenberg und Bigge an. Er organisiert und begleitet die FSJler neben ihrer praktischen Arbeit bei Seminaren und Erste Hilfe Kursen. Nähere Informationen und Bewerbungen unter www.inviadiv-paderborn.de oder telefonisch unter 05251/209-288.