Heinrichsthal. In Heinrichsthal bei Meschede wurde die 100 Jahre alte Turbine erneuert. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt ein modernes Werk mit Geschichte.
Es braucht scheinbar nicht viel, damit 330 Einfamilienhäuser ein Jahr lang Strom erhalten. Auf den ersten Blick nur ein kleines Haus über der Ruhr. Welche Kräfte dahinterstecken und welche Fallstricke die Renovierung erschwerten, das erklären der Mescheder Architekt Jochen Senge und Turbinenwärter Willi Buss.
Die Geschichte
1915 ist das Wasserkraftwerk der Tuchfabrik Eickhoff, das die Webstühle antrieb, in Betrieb gegangen. Eickhoff stellte Stoffe fürs Militär her. Seit 1987 steht die alte Weberei inklusive Turbinen und alten Werkstätten unter Denkmalschutz. Doch während sich in den ehemaligen Werksräumen längst neue Firmen angesiedelt haben, lief die Turbine immer weiter und erzeugte Strom.
2017 wechselte die Tuchfabrik zuletzt den Besitzer. Die Deutsche Agrar AG mit Sitz in Algermissen, vertreten durch die Familie Weiterer, übernahm die Gebäude und beschloss, die Turbine zu erneuern. Dafür sollte das alte Turbinenhaus zurückgebaut und ein neues geplant werden. Ein Jahrhundert-Bauwerk war gewünscht. „Dessen Ziel sollte es aber vor allem sein, mit der Turbine Geld zu verdienen“, berichtet Architekt Jochen Senge, der sich vorher auch „noch nie mit Wasserkraft beschäftigt hatte. Aber mich faszinierte der Auftrag auch unter dem Gesichtspunkt, hier weiterhin CO2-neutral Energie zu erzeugen.“
VIer Jahre bis zur Fertigstellung
Vier Jahre dauerte es von den ersten Plänen bis zur Fertigstellung. Während die alte Turbine maximal 190 kW/h erzeugen konnte, schafft die neue in Spitzenzeiten bis zu 350kW/h. „Alles wird voll ins Netz eingespeist“, berichtet Senge. Er ist überzeugt: „Die alte Turbine hätte noch weitere Jahre funktioniert. Sie war gerade erst generalüberholt worden, doch der Eigentümer wollte die Leistung erhöhen.“ Heute kann Turbinenwärter Willi Buss die Anlage komplett digital überwachen. Ein Blick aufs Handy genügt.
Und wenn man so ein altes Bauwerk, das noch dazu unter Denkmalschutz steht, anfasst, sprechen plötzlich viele mit: Neben dem Landesumweltamt waren auch die Denkmalschutzbehörde, der Landesfischereiverband, die Obere Fischereibehörde und am Ende auch die Stadt Meschede und der örtliche Angelverein beteiligt.
Der Denkmalschutz
Manche Diskussion musste Senge mit dem Denkmalschutz ausfechten, der nicht immer direkt einsah, dass es sich zwar um ein Industriedenkmal handelt, aber ein voll funktionsfähiges. „So sollten wir die alte, himmelblaue Holztür wieder einbauen“, wundert sich Senge. Die wäre jedoch weder staub- noch einbruchsicher gewesen, kein wirksamer Schutz für die millionenschwere Investition. Das Satteldach, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden war, sollte wieder aufgesetzt werden, was weiterhin zu Undichtigkeiten geführt hätte. Die Stahltreppe und Podestanlage am neuen Turbinengebäude gefiel den Denkmalschützern auch nicht, aber sie ließen sich - wie beim Satteldach - überzeugen.
Das alte Bruchsteinmauerwerk des Untergrabens sollte eigentlich erhalten werden. „Das ging aber nur teilweise“, erklärt Senge, „weil das Nachbargebäude schon unterspült war.“ Er ließ eine Rinne betonieren, die das Wasser führen kann, ohne dass Werksgebäude weiter zu schädigen. „Die alten Eisen-Fenster gefielen zwar dem Denkmalschutz, aber nicht dem Bauordungsamt, das den Brandschutz sicherstellen wollte.“ So wurden sie im Innenbereich zugemauert.
Der Fischschutz
Zahlreiche Gespräche führte Senge auch mit den Anglern und der Fischereibehörde. Diese führten ebenfalls zu einer einvernehmlichen Lösung, „bei der sich der Angelverein sehr kooperativ verhielt“, lobt Senge. Ein wichtiger Punkt bei allen modernen Wasserkraftwerken. Im benachbarten Wasserkraftwerk in Wehrstapel gab es dazu eine langjährige Auseinandersetzung. In Heinrichsthal hat der Landesfischereiverband letztlich seine Zustimmung gegeben.
Das Problem: Am Wehr finden Fische keine Möglichkeit die Ruhr hinaufzuschwimmen. Dafür gibt es eine Fischaufstiegstreppe, die Willi Buss, er ist selbst Angler, regelmäßig kontrolliert. In die andere Richtung - vom Obergraben aus - könnten Fische im Turbinenwerk geschreddert werden, wenn die Abstände der Zinken im davorliegenden Rechen nicht schmal genug sind. „Bei uns beträgt dieser Durchflussspalt jetzt statt fünf nur noch 1,5 Zentimeter“, erklärt Willi Buss. Verirren sich Fische in den Obergraben, gibt es einen eigenen Durchlass, oder er kann sie über einen Schott, eine wasserdichte Schiebetür, zurück in die Ruhr schwimmen lassen.
Müll
Regelmäßig holt der Turbinenwärter Müll, darunter viele Flaschen, Fastfood-Verpackungen, Autoreifen und jede Menge Kondome aus dem Obergraben. Dazu kommen immer mal wieder Äste und ganze Baumstämme. „Für manches habe ich schon einen Bagger gebraucht.“ Nach dem Hochwasser im vergangenen Juli war sogar eine Kinderrutsche dabei. Offiziell hätte das Wasserkraftwerk eine Durchleitungserlaubnis, Buss könnte also den Unrat einfach weiter flussabwärts schicken. Doch das macht der Naturfreund nicht, der die Aufgabe des Turbinenwärters im Nebenerwerb betreibt und auch den Rasen mäht und die Hecke schneidet. „Das ist mein Ausgleich“, sagt er.
Der alte Generator-Raum
Wieder herrichten muss der Eigentümer auch den alten Generator-Raum. Dort sieht man noch die alten Steuerungstafeln, die aber lange schon nicht mehr in Betrieb waren. Und die daneben liegende Werkstatt mit Drehbank, Stanze, Säge und Bohrmaschine - alles Maschinen die sicher 100 Jahre alt sind, irgendwann elektrifiziert wurden und immer noch funktionieren - treiben sicher manchem Industrie-Historiker die Tränen der Rührung in die Augen.